Rückkehr ins Spitzenamt Diese vier Baustellen warten auf Andrea Nahles

Drei Monate Zeit zur Einarbeitung: Die ehemalige SPD-Vorsitzende und Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles fängt bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) an – im August übernimmt sie deren Vorstandsvorsitz. Quelle: dpa

Andrea Nahles beginnt bei der Bundesagentur für Arbeit, im August wird sie deren neue Chefin. Ihr selbst wird die Arbeit in den kommenden Jahren nicht ausgehen – auch wegen des anspruchsvollen Koalitionsvertrags.

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Für Andrea Nahles markiert der heutige Tag die Rückkehr in ein herausgehobenes Amt – und man darf davon ausgehen, dass sich die 51-Jährige sehr darauf freut; nachdem sie zuletzt, als frühere SPD-Vorsitzende und Bundesarbeitsministerin, die im Wortsinn untergeordnete Bundesanstalt für Post und Telekommunikation in Bonn geleitet hatte. Am Tag nach dem Tag der Arbeit jedenfalls beginnt Nahles an diesem Montag bei der Bundesagentur für Arbeit (BA), zunächst, um sich einzuarbeiten. Im Sommer soll sie BA-Chefin werden.

Sie wird dann auf Detlef Scheele folgen, der Ende Juli in Ruhestand geht. Der Verwaltungsrat der Behörde, der sich aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern zusammensetzt, hatte sich bereits im Januar auf Nahles als neue Vorstandsvorsitzende geeinigt und sie inzwischen auch formal vorgeschlagen, die Bundesregierung hat zugestimmt. Nun muss Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Nahles noch ernennen, bevor sie am 1. August ihr neues Amt antreten kann. 

Ein bemerkenswertes Comeback. Mit Nahles übernehme „eine Frau, die sich wie kaum jemand sonst mit Arbeitsmarktpolitik auskennt“, sagt ihr Nachfolger im Bundesarbeitsministerium, Hubertus Heil (SPD). Sie wird ihre Expertise aber auch brauchen. Denn bei der Arbeitsagentur warten einige Herausforderungen, denen sich Nahles in den kommenden Jahren stellen muss.

1. Laufendes Kurzarbeitergeld ab- und gegebenenfalls weiterentwickeln

Die Auswirkungen der Coronapandemie waren noch nicht vollständig bewältigt, da wurden die Folgen des Kriegs Russlands gegen die Ukraine bereits spürbar: unterbrochene Lieferketten, rasant steigende Energiekosten, geringeres Wachstum – und damit in bestimmten Branchen wieder zunehmende Kurzarbeiterzahlen, beispielsweise, weil in der Automobilindustrie Kabelbäume aus der Ukraine und Rohstoffe aus Russland fehlen.

Er rechne nicht mit einem substanziellen Anstieg der Arbeitslosenzahl, sagt Arbeitsminister Heil zwar, aber Kurzarbeit werde eingesetzt, „solange es die Lage erfordert“ – trotz der enormen Kosten. Eine Formulierung mit Folgen für die Arbeitsagentur: 2020 und 2021 hat die BA ihre üppige Rücklage von etwa 26 Milliarden Euro quasi aufgebraucht – und war auf Zuschüsse des Bundes in Höhe von etwa 24 Milliarden Euro angewiesen.

Die meisten Menschen in Kurzarbeit, etwa sechs Millionen Personen, registrierte die Arbeitsagentur im April 2020. Allein in der letzten Märzwoche 2020 gab es mehr Kurzarbeitsanzeigen als in der gesamten Finanzkrise. Und auch, wenn die Zahlen nun insgesamt rückläufig sind, sie nur in von der russischen Invasion betroffenen Branchen begrenzt steigen, werden die Auswirkungen des Instruments viele Mitarbeiter der Behörde noch lange beschäftigen.

Denn Kurzarbeitergeld wird zunächst vorläufig bewilligt. Später überprüft die BA die Angaben in den Anträgen, sichtet Arbeitszeitnachweise und Lohn- und Gehaltsabrechnungen – und fordert Rückzahlungen ein, sollte aufgrund unrichtiger Angaben des Arbeitgebers zu Unrecht Geld geflossen sein. Experten erwarten, dass dies die Behörde noch bis weit ins Jahr 2024 hinein beschäftigen wird.

Man habe sich vorgestellt, dass die BA aus ihrer Rücklage jede Krise würde finanzieren können, sagte einmal BA-Vorstandsmitglied Christiane Schönefeld. Dass dem nicht so war, hat sich gezeigt. Daher stellt sich auch die Frage, ob Kurzarbeit als Instrument für solch flächendeckende und lange andauernde Krisen wie die Coronapandemie taugt. Darauf wird Andrea Nahles gemeinsam mit den betroffenen Bundesministerien eine Antwort finden müssen.

2. Geflüchtete aus der Ukraine in Arbeit bringen

Knapp 400.000 Menschen sind mittlerweile wegen des Kriegs aus der Ukraine nach Deutschland geflohen. Die Normalität einer geregelten Arbeit sei womöglich die beste Integrationshilfe, sagt Heil. Von Juni an sollen die Menschen wie Hartz-IV-Bezieher Grundsicherung erhalten. Dann sind die Jobcenter ihre zentrale Anlaufstelle – auch für die Arbeitsvermittlung.

Konzentrierte sich die BA bisher darauf, Menschen erst einmal schnell in den Arbeitsmarkt zu integrieren, soll es diesmal anders laufen. Viele Geflüchtete, die seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, arbeiten in der Zeitarbeit. Jede und jeder sechste Beschäftigte in Leiharbeit kommt aus einem Asylherkunftsland, zeigen Auswertungen der Behörde – unter Geflüchteten sind das demnach deutlich mehr Menschen (13 Prozent) als bei Beschäftigten insgesamt (zwei Prozent).

Die geflüchteten Ukrainerinnen und wenigen Ukrainer wolle man dagegen nun „möglichst ausbildungsadäquat beraten und in Arbeit bringen, die ihrer Ausbildung entspricht“, sagt Noch-BA-Chef Scheele. Doch dafür gibt es Hürden, die nicht bei der Behörde liegen: Um reglementierte Berufe wie im Gesundheitssektor ausüben zu dürfen, müssen Menschen mit Abschluss aus dem Ausland Sprachkenntnisse nachweisen und ihre Qualifikation anerkennen lassen. Zu uneinheitlich, zu langwierig, zu unwägbar – so lautet bisher die einhellige Kritik an den Verfahren.

Komme jemand in die Jobcenter, der schnell auf eigenen Beinen stehen und arbeiten wolle, „werden wir sie oder ihn nicht davon abhalten, zunächst einen vielleicht niedriger qualifizierten Job anzunehmen“, schränkte daher auch Scheele ein. 

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