Rüstungsdebatte Iris-T-SLM und 12 weitere Waffensysteme für die Ukraine – das sind die Probleme

IRIS-T: Radar- und Flugabwehrsysteme für den Ukrainekrieg Quelle: imago images

Olaf Scholz hat in der Generaldebatte im Bundestag am Mittwoch die Lieferung moderner Flugabwehr an die Ukraine angekündigt. Was das System Iris-T-SLM kann und wo die Probleme mit den Waffen aus Deutschland liegen.

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Wer hätte eine solche Erschütterung der deutschen Rüstungspolitik vor wenigen Monaten noch für möglich gehalten. Kein Jahr ist es her, da ließ die Bundesregierung nicht einmal die Lieferung halbziviler Güter in friedliche Regionen zu, verweigerte etwa Partnerländern wie Frankreich notwendige Bauteile für Hubschrauber. 

Seit dem historischen Beschluss des Bundestags Ende April ist nun aber sogar die bislang undenkbare Lieferung von Kampfpanzern an die aktive Kriegspartei Ukraine möglich. Zur bereits gelieferten Panzerfaust gesellt sich der Flugabwehrpanzer und nun noch sieben Panzerhaubitzen 2000.  

Dabei stellte sich die Ampel beim Export von „schwerem Gerät“ eigentlich bislang quer. Geschützte Mannschaftstransporter, Schützenpanzer, Fluggerät und bewaffnete Schiffe, all das ging nicht. Die Bundesregierung hatte zum Unmut ihrer westlichen Partner noch bis kurz vor Kriegsbeginn solche Ausfuhren verhindert. Aber dann kam die berühmte Zeitenwende-Rede von Olaf Scholz (SPD) und seitdem ist alles anders.

Revolution in der Rüstungspolitik

Bei der deutschen Sicherheitspolitik habe sich seit dem russischen Überfall mehr getan als in den gut zwei Jahrzehnten davor, beschreibt ein Rüstungsmanager verwundert die plötzliche Liberalisierung.

Fast täglich kommen nun neue Systeme auf die Lieferlisten für die Ukraine. Anfang Februar waren es nur die vielfach belächelten Schutzhelme am Rande der technischen Haltbarkeit, von denen die Ukraine selbst bessere herstellte. Später kamen dann einfache Waffen wie die Panzerfaust dazu. Dann standen sogar Hightech-Systeme wie die sieben Panzerhaubitze 2000, von der nicht einmal die Bundeswehr selbst genug hat, auf der Liste. Jetzt kommt mit Iris-T-SLM eines der weltweit führenden Luftabwehrsysteme dazu, das nicht einmal die Bundeswehr selbst hat, wie Bundeskanzler Scholz Anfang Juni im Bundestag ankündigte.

Längst ist ein unübersichtliches „Könnte mehr, Sollte mehr und Müsste mehr“ entstanden, wenn es um Waffenlieferungen an die Ukraine geht. „Das baut einen grausamen politischen Druck auf – und das leider nicht nur von Medien und Politikern ohne große Erfahrung in der Sicherheitspolitik, sondern auch von Rüstungsunternehmen, die es eigentlich besser wissen sollten“, erklärt ein führender Rüstungsmanager. „Was im aktuellen Aktionismus manchmal untergeht: Jede Exportentscheidung ist eine Gratwanderung.“

Welche Probleme hinter den Waffenlieferungen stecken

Einerseits brauche die Ukraine schnelle Hilfe und schweres Gerät, damit sie die russische Invasion aufhalten und möglichst auch zurückdrängen kann. Andererseits dürfe jeder Export, auch der viel beschriebene Ringtausch mit osteuropäischen Staaten, nicht zu riskante Nebenwirkungen führen.

Eine davon: Das ukrainische Militär braucht für viele der neueren Geräte wie den Flugabwehrpanzer Gepard teilweise mehrmonatige Schulungen. Das kann wertvolle Ressourcen binden, die das Land möglicherweise anderweitig einsetzen sollte. Dazu gehört auch, dass die schweren Geräte wie die Schützenpanzer Marder aus dem Westen des Landes an die Front im Osten gebracht werden müssen. Das ist ein aufwändiges Unterfangen über eine Entfernung von gut 1000 Kilometern und Straßen oder Bahnlinien, die nach den gezielten Angriffen Russlands auf die Infrastruktur zumindest beeinträchtigt sind.

Aber auch für Deutschland gibt es Risiken. Durch die Lieferungen anspruchsvoller Waffen sowie der umfangreichen Schulungen könnte das Land in die Rolle einer aktiven Kriegspartei rutschen – mit der möglichen Folge, dass „sich dieser Konflikt über die Ukraine hinaus ausweitet und noch tödlicher, noch gefährlicher und zerstörerischer wird“, wie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg fürchtet.

Dazu gilt es zu verhindern, dass die technisch topmodernen Systeme in russische Hände geraten. Militärexperten befürchten, dass Putin die Waffen analysieren und kopieren könnte. 

„Bei aller berechtigten Kritik am langen Zögern – bei der Entscheidung möchte ich nicht in der Haut von Bundeskanzler Olaf Scholz stecken“, so ein führender Rüstungsmanager. Dessen Regierung schickt offenbar bereits seit langem direkt oder indirekt über andere Länder mehr Kriegswerkzeug in Richtung Osten, als bisher bekannt war. Das habe verhindern sollen, dass Russland Transportwege ausspioniert und angreift, sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD): „Sie sind solange sicher, wie wir nicht öffentlich darüber reden.“ Was die bisher für die Ukraine vorgesehenen Waffensysteme können und dem Land nützen, ist sehr unterschiedlich zu bewerten. 



Hier eine Übersicht der in Rede stehenden Waffensysteme:


Iris-T Flugabwehr

Deutschland liefert das IRIS-T Flugabwehrsystem an die Ukraine Quelle: imago images

Was kann das System?

Mit Iris-T will Deutschland sein modernstes und im Prinzip auch teuerstes Luftabwehrsystem an die Ukraine liefern. Es gibt mehrere Versionen des Infra Red Imaging System Tail/Thrust Vector-Controlled genannten Raketenprograms. Die einfachste Form ist eine drei Meter lange Luft-Luft-Rakete. Mit der geschätzt bis zu einer Million Euro teuren Lenkwaffe können Kampfflugzeuge wie der Eurofighter andere Jets oder auch Raketen bekämpfen. Weil die Waffe ihr Ziel selbstständig sucht und verfolgt, ohne dass der Pilot sie nachsteuern muss, kann sie jeder Jet quasi aus der Deckung abfeuern.

Später folgte eine leistungsgesteigerte Variante als Teil eines Iris-T-SLS und später -SLM genannten kompletten Verteidigungssystems mit einem 360-Grad-Radar, Bedienzentrum und Abschussgerät. Es kann vom Boden aus Kampfjets, Hubschrauber, Drohnen und Lenkflugkörper mit Ausnahme von ballistischen Raketen in bis zu 40 Kilometern Umkreis abschießen. Dazu ist es relativ flexibel, weil es sich verhältnismäßig leicht transportieren lässt und auf vielen Fahrzeugtypen montieren lässt.

Wann und von wem gebaut?
Entwickelt hat Iris-T ab den 90er Jahren eine heutige Tochter des Nürnberger Diehl-Konzerns. Das Unternehmen arbeitet derzeit mit dem Rüstungselektroniker Hensoldt an einer besseren Version mit deutlich größerer Reichweite. Die ersten Flugzeugraketen kamen 2005 zur Luftwaffe. Das SLM-System folgte ab 2014.  Die deutsche Luftwaffe nutzt bisher aber lediglich die einfache Rakete. Das komplette System ist bislang nur in Norwegen, Schweden und Ägypten im Einsatz.

Was bringt es der Ukraine und hilft es?
Die Iris-T-Rakete ist gerade in der neueren Version ein effektives Mittel gegen Flugzeuge und einfachere Lenkwaffen. Darum würde es der Ukraine bei der Abwehr russischer Angreifer sehr helfen. Bekommt die Ukraine wie erwartet ab Oktober ein Dutzend der kompletten SLM-Systeme, kann das Land seine Städte deutlich besser schützen als bisher.  

Kann die Ukraine es nutzen?
Während die Luftwaffe der Ukraine die Flugzeugraketen relativ schnell nutzen kann, braucht das komplette Abwehrsystem wie alle modernen Programme eine längere Ausbildung. Doch bis zur Auslieferung der Systeme im Herbst dürfte genug Zeit dafür sein.

D-30 Haubitze

D-30 Haubitze Quelle: REUTERS

Was kann das System?
Die mobile Kanone, die mit einem Kaliber von (knapp) 122 Millimetern als mittlere Haubitze gilt, kann aus dem fünf Meter langen Rohr pro Minute bis zu acht Granaten über bis zu 22 Kilometer abfeuern. Dazu kann die von sieben Soldaten zu bedienende Haubitze auch panzerbrechende Munition verschießen.

Wann und von wem gebaut?
Die D-30 entstand in den 50er Jahren. Das Werk Sawod No. 9 aus dem zentralrussischen Swerdlowsk baute es ab 1960 bis mindestens in die achtziger Jahre. In Lizenz fertigten auch Staaten wie China. Fast 60 Nutzerländer bis hin zu Israel und Pakistan machten das Gerät zur wohl meistgebauten Kanone aller Zeiten.

Was bringt es der Ukraine und hilft es?
Das Gerät ist zwar weniger präzise als die heutigen, digital und mit GPS-Daten gesteuerten moderne Systeme. Doch erfahrene Geschützführer treffen mit der D-30 auf wenige zehn Meter genau etwa in Gefechtsverbände oder größere Stellungen. Dazu gilt die Kanone als extrem robust und kann wegen ihres vergleichsweise geringen Gewichts relativ leicht die Stellung wechseln, was besonders bei den aktuellen mobileren Attacken Russlands ein Vorteil ist.

Kann die Ukraine es nutzen?
Die Ukraine hatte selbst größere Bestände und kann die D-30 ohne große Schulung einsetzen.

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