Rüstungsexperte Christian Mölling „Die Deutschen sind unzuverlässig“

Das israelische U-Boot «Rahav» im Dock der Werft ThyssenKrupp Marine Systems in Kiel Quelle: dpa

Laut Bundeswirtschaftsministerium wurden 2018 deutlich weniger Rüstungsexporte genehmigt. Die Planlosigkeit der deutschen Politik habe nicht nur für die Industrie negative Folgen, sagt Experte Christian Mölling.

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WirtschaftsWoche: Die Bundesregierung hat 2018 fast ein Viertel weniger Rüstungsexporte genehmigt als im Vorjahr. Der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV) klagt über die „unvorhersehbare“ und für Kunden und Partnerländer „durch überraschende Wendungen oft nicht nachvollziehbare“ Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung. Zu Recht?
Christian Mölling: Die Rüstungsexportpolitik ist nicht verlässlich. Für die deutsche Rüstungsindustrie ist das ein Problem. Der Genehmigungsprozess wird ständig politisch übersteuert. Was an einem Tag genehmigt wurde, wird vielleicht am nächsten Tag nicht mehr genehmigt. Die Begründungen für Ausfuhrgenehmigungen sind oft inkohärent. Es geht da nicht nur um den prominenten Fall der Patrouillenboote für Saudi-Arabien. Es gibt sogar Fälle mit Nato-Partnern. Litauen wollte deutsche Panzer kaufen, doch die erste Reaktion in Berlin war: Nein. Es gab auch schon andere schräge Fälle, da konnten Lastwagen geliefert werden, aber nicht die Anhänger dazu.

Klingt, als würde alles willkürlich entschieden.

Rüstungsgeschäfte gehen meist über eine sehr lange Zeit. Die Unternehmen liefern das Endprojekt oft über Jahre hinweg aus. Dazu kommt, dass Rüstungsprodukte gewartet werden müssen. Und das oft im Herstellungsland. Die Israelis schicken zum Beispiel regelmäßig ihre U-Boote nach Deutschland zur Wartung. In anderen Fällen gab es auch schon Probleme, wenn diese gewarteten Produkte dann nicht wieder ausgeliefert werden durften. Deutsche Rüstungsunternehmen haben also manchmal Waffensysteme auf dem Hof stehen, die einem fremden Staat gehören, aber nicht mehr an diesen geliefert werden dürfen. Für den Empfängerstaat bedeutet das dann natürlich: Die Deutschen sind unzuverlässig.

Leidet darunter die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Rüstungswirtschaft?

Ja, sehr.

Haben die Drohungen des BDSV mit Schadenersatzforderungen also Aussicht auf Erfolg?

Das hätten sie vermutlich. Aber es traut sich wohl niemand, das zu machen, weil man Angst hat, dass das die Stimmung kaputt macht. Also dass man dann künftig erst recht keine Ausfuhrgenehmigungen mehr bekommt. Angesichts dieser neuen Unsicherheit und der langen Dauer solch eines Gerichtsverfahrens versucht man vermutlich eher, die Patrouillenboote woanders los zu werden.

2015 hatte die Bundesregierung noch ein Zehn-Punkte-Programm zur Stärkung der nationalen Verteidigungsindustrie beschlossen, in dem zum Beispiel Panzer und U-Boote als deutsche Schlüsseltechnologien angesehen werden, die auf Exportunterstützung und bevorzugte Auftragsvergabe rechnen können. Was ist daraus geworden?

Dieses Papier ist in seiner Entwicklung weitgehend 2015 stehen geblieben. Seither sind keine weiteren Umsetzungsdokumente erarbeitet worden. Die fehlen jetzt auf allen Seiten. Viele Entscheidungen, die die deutsche und europäische Rüstungsindustrie betreffen, stecken wegen der Haltung der Bundesregierung fest. Wichtigstes Beispiel ist die deutsch-französische Kooperation beim Bau eines neuen Kampfflugzeuges und eines neuen Kampfpanzers. Die französische Seite will natürlich diese Flugzeuge und Panzer später auch exportieren. Aber die Bundesregierung ist nicht in der Lage zu sagen, welches Verfahren dafür angewendet werden soll. Man äußert sich einfach nicht, während bei den Franzosen die Uhr läuft und der Frust wächst. Die brauchen sowohl auf der staatlichen als auch auf der industriellen Seite Klarheit. Die Bundesregierung wird da offen kritisiert.

Mindert die Schwächung der deutschen Rüstungswirtschaft auch die generelle Fähigkeit Deutschlands, sein Versprechen wahr zu machen, mehr „internationale Verantwortung“ zu tragen?

Deutsche Unternehmen produzieren gerade im Bereich der Landstreitkräfte weltweit führende Produkte. Die sind zwar ziemlich teuer, aber auch sehr gut. Darauf sollte natürlich die Bundeswehr eigentlich nicht verzichten. Außerdem ist die Rüstungswirtschaft auch ein Kooperationspotenzial. Und bei diesen Kooperationen kann man dann mitbestimmen, wo welche Waffen produziert werden. All das geht nicht ohne ein gewisses Maß an Eigenständigkeit.  

In der deutschen politischen Öffentlichkeit scheinen auf dem Feld der Rüstung moralische Ansprüche Vorrang zu haben.

Es gibt da einen Widerspruch, den keiner auflöst. Eine grundlegende Debatte über den Sinn und Unsinn von Rüstungsexporten findet nicht statt. Man debattiert immer nur über Einzelentscheidungen, wenn ein Skandal hochgezogen wird. Es sollte einmal grundlegend erörtert werden, unter welchen Bedingungen wir in eine Region Waffen liefern oder nicht. Man kann das eben nicht am Einzelfall diskutieren, der oft der Geheimhaltung unterliegt, aber man sollte eine prinzipielle Linie festlegen. Dann gäbe es auch etwas mehr Verlässlichkeit.

Dr. Christian Mölling ist stellvertretender Direktor des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Er befasst sich mit Fragen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie Rüstungsindustrie.

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