Russland-Ukraine-Krise „Die Bundesregierung hat verstanden, dass diese Krise kein Intermezzo ist“

Ukrainische Veteranen und Zivilisten bereiten sich Mitte Februar in Kiew auf eine russische Invasion vor. Quelle: imago images

Der Russland-Ukraine-Konflikt erreicht eine neue Eskalationsstufe. Deutschland muss seine Verteidigungs- und Sicherheitspolitik grundlegend überdenken, sagt Rüstungsexperte Christian Mölling. 

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In den vergangenen 24 Stunden ist ein Krieg in der Ukraine noch ein Stück wahrscheinlicher geworden, aller diplomatischen Bemühungen zum Trotz. Russlands Präsident Wladimir Putin hat die selbst ernannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk als unabhängige Staaten anerkannt und russische Truppen in die Separatistengebiete in der Ost-Ukraine entsandt. Die EU und die USA verhängten noch am Montagabend umgehend erste Sanktionen gegen Moskau. Weitere sollen folgen. Nun blicken alle noch gebannter auf die Entwicklungen in der Ost-Ukraine – und die Reaktion des Westens. Wie gut ist die Bundesrepublik strategisch auf dieses neue Zeitalter der Konfrontation vorbereitet? Antworten von Christian Mölling, Forschungsdirektor und Leiter des Programms „Sicherheit und Verteidigung“ der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

WirtschaftsWoche: Herr Mölling, die Lage an der ukrainischen Grenze spitzt sich immer weiter zu. Der Bundeskanzler wie auch die Verteidigungsministerin haben noch auf der Münchner Sicherheitskonferenz am Wochenende die Bedeutung der Sicherheitspolitik betont – und auch die umfangreicheren Rüstungsausgaben. Was erleben wir da genau – eine politische Trendwende?
Christian Mölling: Die Bundesregierung hat offenbar verstanden, dass diese Krise an der ukrainischen Grenze kein Intermezzo ist, das schnell wieder verschwindet. Und dass unsere ausländischen Partner mit Recht darauf pochen, dass wir mehr beitragen müssen. Die Zeit des schlanken Fußes ist für Deutschland endgültig vorbei. Diese Erkenntnis muss nur nachhaltig umgesetzt werden.

Haben denn Olaf Scholz und Christine Lambrecht Sie mit ihren Einlassungen überrascht?
Unerwartet war jedenfalls die Offenheit, mit der insbesondere Lambrecht davon gesprochen hat, dass sich die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr am äußeren Ende befände. Heer, Marine und Luftwaffe benötigen dringend mehr Geld, da hat sie absolut recht. Wenn Scholz und auch Finanzminister Christian Lindner da nun sekundieren, ist das nur zu begrüßen.

Woran fehlt es denn Stand heute genau, um international robuster auftreten zu können, wenn nötig?
Genaugenommen fehlt es der Bundeswehr an allem. An Finanzmitteln, an einem funktionierendem Beschaffungswesen, am beherzten politischen Zugriff. Das System ist insgesamt schleichend kaputtgegangen, man muss es so deutlich sagen.

Erwarten Sie ein baldiges Wiederaufflammen der Nato-Debatte, ob – und gegebenenfalls wann – die Bundesrepublik das Zwei-Prozent-Ziel für Rüstung erfüllt?
Das könnte so kommen. Diese Diskussion drohte aber erneut in einem folgenlosen rituellen Streit zu verenden. Was wir dringend brauchen, ist eine ordentliche und ehrliche Analyse. Erstens: Was ist nötig für deutsche Bündnisfähigkeit? Zweitens: Was kostet das? Und drittens: Wollen wir es uns leisten?

Was antworten Sie?
Nur ein Beispiel: Noch unter der großen Koalition wurde eine Liste mit zahlreichen Projekten verabschiedet. Allerdings ist nur ein Teil der nötigen Mittel dafür freigegeben. So funktioniert aber die Industrie nicht. Es fehlt an verlässlicher, nachhaltiger Finanzplanung, mit der sich sinnvoll Rüstungsbeschaffung organisieren ließe.

Im eskalierenden Konflikt mit dem Westen hat Wladimir Putin noch einige Joker in der Hinterhand, sagt Osteuropa-Experte Richard Grieveson. Und das, obwohl die geplante Transformation der Wirtschaft gescheitert sei.
von Bert Losse

Was sollte Ihrer Meinung nach gegen diese Rüstungspolitik nach Kassenlage getan werden?
Mehrere Lösungen wären denkbar. Ein eindeutiges Gesetz beispielsweise oder ein Sondervermögen. Alles eine Frage des politischen Willens...

...den die Ampelkoalition besitzt oder nicht besitzt?
Nun, Konfliktfähigkeit und außenpolitische Robustheit gehören nicht zur DNA deutscher Bundesregierungen, da bildet die amtierende keine Ausnahme. Die jüngsten Äußerungen erklären sich durch die Erfahrung der Russlandkrise, die Erkenntnis entstammt also äußerem Druck. Aber: Es ist ein Anfang. Nun müsste man durchhalten.

Also nochmal gefragt: Wird die Ampelregierung das schaffen?
Die Deutschen sind friedenssüchtig. Wir, das heißt Deutschland im europäischen Verbund, müsste sich aus der reaktiven Rolle befreien. Da habe ich offen gestanden meine Zweifel.

Aber es wäre aus Ihrer Sicht die einzig richtige Strategie?
Es wäre dringend geboten. Wir denken noch immer zu sehr in der Schwarz-Weiß-Kategorie von Krieg oder Frieden. Sie stimmt einfach nicht mehr. Worauf wir uns in der Zukunft einstellen müssen, ist ein Szenario des systematischen Unfriedens. Wir werden uns in labilen, dynamischen und komplexen außenpolitischen Lagen bewegen. Nur reagieren zu können oder womöglich gar nicht die Fähigkeiten für wirksames Handeln zu besitzen – das wird künftig einfach nicht mehr reichen.

Mehr zum Thema: Olaf Scholz hat bei der Münchner Sicherheitskonferenz eine Rede gehalten, die nur vordergründig der Russlandkrise galt. Vielmehr ging es um Europas wohl letzte Chance, eine „Macht unter Mächten“ zu sein – und zu bleiben.

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