Russlandkrise „Wir bleiben auf russisches Erdgas angewiesen“

Ein ukrainischer Marinesoldat blickt auf die Trennlinie zu den prorussischen Rebellen in der Region Donezk. Quelle: dpa

Oliver Hermes, Vorsitzender des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, über die wachsende Kriegsgefahr, die verheerende Wirkung neuer Russland-Sanktionen und die Konsequenzen für deutsche Unternehmen vor Ort.

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WirtschaftsWoche: Herr Hermes, an der Ostgrenze der Ukraine stehen 100.000 russische Soldaten, der Westen und die Nato warnen Moskau vor einem Krieg. Worauf müssen sich die deutschen Unternehmen vor Ort einstellen?
Oliver Hermes: Die jüngste Eskalation machen uns große Sorgen. Damit wächst die Gefahr neuer, harter Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Gelingt keine Entspannung, drohen beiden Seiten erhebliche wirtschaftliche Schäden. Angesichts der Rückschläge durch die Corona-Pandemie und der anstehenden Herausforderungen, wie der Bewältigung des Klimawandels, wäre dies das letzte, was wir jetzt gebrauchen könnten. In unserer Geschäftsklimaumfrage zu Russland hatten sich die deutschen Unternehmen im Russland-Geschäft gegen Jahresende wieder optimistischer gezeigt. Die Umsatz- und Exporterwartungen für 2022 sind gegenüber der Vorjahresumfrage gestiegen. Die aktuellen politischen Spannungen könnten den positiven Ausblick aber in Frage stellen.

Es gibt immer noch zahlreiche deutsch-russische Foren und Konferenzen - hält der Ost-Ausschuss trotz der russischen Drohungen daran fest?
Bestehende Gesprächsformate einzustellen, würde uns doch keinen Schritt weiterbringen. Im Gegenteil: Gerade in der bestehenden Situation können wir gar nicht genug Dialogformate und Gesprächskanäle haben. In unseren Gesprächen mit der russischen Seite spüren wir ein ungebrochen großes Interesse an Deutschland. Solange gemeinsame wirtschaftliche Interessen bestehen, gibt es auch Möglichkeiten, in beiderseitigem Interesse zu deeskalieren. Das ist leider keine Garantie gegen politische Krisen, aber eben doch eine Basis für gegenseitiges Verständnis.

Kann die Wirtschaft eine Vermittlerrolle einnehmen?
In erster Linie ist natürlich die Vermittlungsfähigkeit der Politik gefragt. Wir sehen gerade in dieser Woche einen sehr intensiven Dialog mit Russland auf der politischen Ebene. Das ist gut. Die Wirtschaft kann zur Deeskalation beitragen, indem sie ihre Dialogkanäle nutzt. Ich bin fest davon überzeugt, dass mehr geschäftliche Kontakte mit Russland, mehr Austausch und Dialog zu einem besseren Verständnis beitragen und damit helfen, Spannungen abzubauen. Ohne Russland ist eine Lösung vieler europäischer und internationaler Probleme nicht machbar, egal ob es um Umwelt, Sicherheits- oder Wirtschaftsfragen geht. Mut macht mir, dass auch die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag den Wunsch nach einem konstruktiven Dialog mit Russland und nach substanziellen und stabilen Beziehungen unterstrichen hat. Russland wird beispielsweise als Partner für den Klimaschutz benötigt. Hier gibt es eine Basis für eine Zusammenarbeit.

Oliver Hermes, Vorsitzender des Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft Quelle: WILO

Hat sich die Krise bereits auf die Handelsbeziehungen zwischen Deutschland und Russland ausgewirkt?
Auf das laufende Geschäft hat sich in den letzten zwei Jahren vor allem die Coronakrise mit ihren Reisebeschränkungen und konjunkturellen Folgen ausgewirkt. Seit dem Frühjahr 2021 sehen wir aber eine spürbare Belebung der deutschen Ausfuhren nach Russland. In den ersten elf Monaten 2021 sind die deutschen Exporte nach Russland gegenüber dem Vorjahr um 15 Prozent gestiegen. Noch stärker war der Anstieg bei den deutschen Importen aus Russland. Diese legten um gut 48 Prozent zu, vor allem aufgrund preis-, aber auch mengenmäßig steigender Öl- und Gaslieferungen.

Viele der Wirtschaftssanktionen sind bereits ausgeschöpft. Ist die Entfernung von Russland aus dem Swift-Abkommen für den internationalen Zahlungsverkehr das letzte Mittel?
Russland ist viel stärker in die Weltwirtschaft integriert als etwa der Iran. Eine Abtrennung von Swift würde deshalb auch bei uns zu erheblichen Marktverwerfungen führen. Natürlich wären die Auswirkungen vor allem auf die russische Wirtschaft massiv. Diese müsste sich, um derartige Turbulenzen überleben zu können, noch viel stärker an China binden. Gewonnen wäre dadurch nichts.
(Lesen Sie hier, was Swift zur ultimativen Sanktionswaffe gegen Russland machen würde.)



Würde ohne den gegenseitigen Zahlungsverkehr das Geschäft vollständig zum Erliegen kommen?
Westliche Banken und Kreditgeber würden Milliarden verlieren, und das laufende Geschäft würde so sehr beeinträchtigt und verkompliziert, dass sich viele Geschäfte nicht mehr lohnen würden. Getrennte Zahlungs- und IT-Strukturen erhöhen die Transaktionskosten für die Unternehmen und führen letztlich zur Abkoppelung von Wirtschaftsräumen. Russlands aktuelle Lokalisierungsstrategie ist letztlich eine Reaktion auf diese Decoupling-Spirale. Diese Spirale müssen wir wieder umkehren.

Das größte Druckmittel für Russland ist der Gasexport. Wie abhängig sind Deutschland und die deutsche Wirtschaft vom russischen Gas?
Die letzten Monate haben uns sehr deutlich gezeigt, dass wir im Zuge der europäischen Energiewende auf Erdgas angewiesen bleiben. Wir können nicht gleichzeitig aus Atom, Kohle und Gas aussteigen, bevor alternative Energieträger in ausreichender Zahl verfügbar sind. Die neue Bundesregierung hat Erdgas im Koalitionsvertrag zu Recht für eine Übergangszeit als unverzichtbar bezeichnet.

Das bedeutet mit Blick auf Russland...
... dass wir mittelfristig eher mehr als weniger Gasimporte aus Russland brauchen. Russisches Pipelinegas, das langfristig geordert wurde, war zuletzt deutlich günstiger als Gas auf dem Spotmarkt. Dabei würde ich nicht von Abhängigkeit, sondern von Partnerschaft sprechen: Europa braucht Energie aus Russland, um wirtschaftlich erfolgreich zu bleiben. Umgekehrt ist aber auch das russische Wirtschaftsmodell genau auf diese Konstellation ausgerichtet. Ohne diese Partnerschaft wäre keine Seite wirtschaftlich erfolgreich. Das ist ein Faktor, der zur Deeskalation beiträgt.

Ist es theoretisch denkbar, dass wir im Kriegsfall den Bezug von russischem Gas von einem Tag auf den anderen einstellen?
Theoretisch ist alles denkbar. Aber Russland hat bei Energielieferungen kein Monopol, es gibt auch andere Anbieter und Reserven. Ausbleibende Einnahmen würden die russische Wirtschaft dann schnell in große Probleme stürzen. Aber die Preisturbulenzen auf dem europäischen Markt wären auch erheblich. Deshalb kann sich niemand ein solches Szenario wünschen.

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Ist vor diesem Hintergrund die Pipeline Nord Stream 2 noch akzeptabel?
Zunächst einmal: Europäische Energieunternehmen haben im Vertrauen auf unseren Rechtsstaat viel Geld in diese Pipeline investiert und dieser sieht entsprechende Genehmigungsverfahren ohne politische Einflussnahme vor. Genau diese Rechtslage setzt die Bundesregierung um, und das ist auch gut so. Eine verlässliche und moderne Gasinfrastruktur leistet einen wichtigen Beitrag zur Energiewende. Erdgas baut uns eine Brücke ins Wasserstoffzeitalter. Auch Nord Stream 2 kann mittelfristig eine wichtige Rolle in der Wasserstoffwirtschaft spielen. In Kombination mit Carbon Capture & Storage-Technologien (CCS) lässt sich der CO2-Fußabdruck von Erdgas auf ein Minimum reduzieren, während parallel der Ausbau der grünen Technologien das benötigte Tempo aufnehmen kann. Sehr gut ist es daher, dass Russland im Koalitionsvertrag ausdrücklich als Partner für Zukunftsthemen wie Klima, Umwelt und Wasserstoff genannt wird.

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