Sachverständigenrat Sind Ältere die besseren Zentralbanker?

Wirtschaftsweise Quelle: Berkeley/Haas

Die neue Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier könnte dem Sachverständigenrat mit ihren Forschungen frische Impulse geben – und dazu beitragen, dass die EZB die Inflation entschiedener bekämpft.  

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Lange hat es gedauert. Doch jetzt ist der Sachverständigenrat für Wirtschaft, besser bekannt als die fünf Wirtschaftsweisen, wieder komplett. Aus dem vorübergehend zu einem Trio geschrumpften Gremium ist wieder ein Fünfer-Club geworden. Nachdem die Arbeitgeber bereits im Mai den Bochumer Sozial- und Demografie-Experten Martin Werding als Nachfolger für den ausgeschiedenen Geld- und Währungsexperten Volker Wieland nominiert hatten, hat die Bundesregierung nun auch die zweite freie Stelle vergeben.

Sie geht an die in den USA lehrende deutsche Ökonomin Ulrike Malmendier. Malmendier übernimmt damit den Posten von Lars Feld, der im Spätwinter 2021 aus dem Sachverständigenrat ausgeschieden war, weil sich die Bundesregierung nicht auf eine Vertragsverlängerung für den ordoliberalen Ökonomen einigen konnte. 

Neben Malmendier und Werding sitzen künftig weiterhin Veronika Grimm von der Universität Erlangen-Nürnberg, Monika Schnitzer von der LMU München und der von den Gewerkschaften nominierte Ökonom Achim Truger von der Universität Essen-Duisburg in dem Gremium. Mit Malmendier wird erstmals ein Mitglied in den Sachverständigenrat berufen, das im Ausland forscht und dort seinen Lebensmittelpunkt hat. Das muss nicht von Nachteil sein, fördert der Blick auf die wirtschaftlichen Geschehnisse in Deutschland von jenseits der Grenzen doch zuweilen frische Einsichten zu Tage. 

Steile akademische Karriere 

Die 1973 in Köln geborene Malmendier begann ihre akademische Karriere mit dem Studium der Volkswirtschaftslehre und der Rechtswissenschaft in Bonn. Im Jahr 2000 schloss sie das Jurastudium in Bonn mit der Promotion ab. Anschließend wechselte sie an die US-Eliteuni Harvard, wo sie Betriebswirtschaftslehre studierte und das Studium 2002 ebenfalls mit der Promotion abschloss. Anschließend lehrte sie an den Universitäten in Chicago, Stanford und seit 2005 an der Universität von Kalifornien in Berkeley, wo sie seit 2013 den Lehrstuhl für Finance innehat. 

Die mit mehreren Preisen dekorierte Ökonomin zählt zu den fünf Prozent der weltweit am meisten zitierten Wirtschaftswissenschaftler. Ihren Forschungsschwerpunkt bildet die Verhaltensökonomie. Diese versucht unter Verwendung von Labor- und Feldexperimenten, Erkenntnissen der Psychologie und der Gehirnforschung das Verhalten von Menschen zu erklären. 

In ihren Arbeiten wendet Malmendier das Instrumentarium der Verhaltensökonomie auf Fragen der Unternehmensfinanzierung, des Managerverhaltens und der Erwartungsbildung an. So konnte sie zeigen, dass CEOs mit übersteigertem Selbstvertrauen zu überteuerten Investitionsprojekten neigen. Verstärkt werden deren Fehlentscheidungen dadurch, dass sie häufig CFOs mit ähnlich übersteigertem Selbstvertrauen anheuern. 

Die Erfahrung bestimmt die Erwartungen 

Von hoher aktueller Relevanz sind die Arbeiten Malmendiers zur Erwartungsbildung der Menschen, allen voran zu den Bestimmungsgründen für die Inflationserwartungen. Diese haben über ihren Einfluss auf die Lohn- und Preisbildung große Bedeutung für das Ausmaß und die Persistenz von Inflationsprozessen. Zusammen mit ihrem Kollegen Stefan Nagel fand Malmendier heraus, dass die Inflationserwartungen der Menschen maßgeblich von ihren persönlichen Inflationserfahrungen geprägt werden. So hegen Über-60-Jährige deutlich höhere Inflationserwartungen als jüngere Menschen. Das dürfte nicht zuletzt darauf zurück zu führen sein, dass sie die Hochinflationsphase der Siebzigerjahre am eigenen Leib erlebt haben. 

Dass die Lebenserfahrung die Erwartungsbildung stark prägt, ist auf die Konstruktion und Arbeitsweise des menschlichen Gehirns zurückzuführen, schreibt Malmendier. Die Synapsen im Gehirn verdrahten sich neu, wenn sie längere Zeit bestimmten Stimuli wie etwa stark steigenden Preisen ausgesetzt sind. Die moderne Gehirnforschung zeige, dass sich das Gehirn ein Leben lang verändert und an die Erfahrungen anpasst. Gehirnstrukturen, die häufigen Stimuli ausgesetzt und somit besonders aktiv sind, bilden sich stärker aus, andere hingegen sterben im Laufe der Zeit ab. 

Malmendiers Erkenntnisse dürften große Bedeutung für die aktuelle Wirtschaftslage und die geldpolitische Diskussion haben. Denn je länger die Inflationsraten hoch bleiben, desto wahrscheinlicher ist es, dass diese Erfahrung sich in das Hirn der jungen Menschen einbrennt. Sie könnten dann langfristig höhere Inflationsraten erwarten als bisher. Finden diese Erwartungen Eingang in die Lohn- und Preisbildung, wird es für die Zentralbanken schwierig, die Inflation zu besiegen. Malmendiers Forschungen sprechen daher dafür, dass die Zentralbanken zügig und entschieden gegen die Geldentwertung vorgehen. 

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Ältere Zentralbanker sind die besseren Inflationskämpfer

Ob ihnen das gelingt, hängt auch davon ab, welchen Alterskohorten die Zentralbanker selbst angehören. So zeigen die Studien Malmendiers für die Fed, dass ältere Zentralbanker, die selbst Erfahrung mit hohen Inflationsraten gemacht haben, höhere Inflationserwartungen hegen als ihre jüngeren Kollegen und daher eher für Zinsanhebungen stimmen, auch wenn sie damit von der Mehrheit im geldpolitischen Offenmarktausschuss abweichen. Malmendiers Studien könnten eine Überlegung wert sein, gerade in Zeiten hoher Inflationsraten ältere Notenbanker mit Inflationserfahrungen in die Währungsbehörden zu entsenden. 

Erheblichen Einfluss haben die Inflationserwartungen auch auf das Spar- und Anlageverhalten der Menschen. Malmendier fand in ihren Untersuchungen heraus, dass Menschen mit hohen Inflationserwartungen dazu neigen, ihr Geld in Immobilien zu stecken und den Kauf lieber mit Festzinskrediten finanzieren als mit variabel verzinsten Darlehen. 

Eine Umfrage Malmendiers und ihrer Kollegin Steiny Wellsjo unter 700 Eigenheimbesitzern in Europa ergab, dass für eine Mehrheit von 72 Prozent der Schutz vor Inflation das wichtigste Motiv für den Hauskauf war. Alle anderen Motive wie Steuervorteile, höhere Wohnqualität oder die Aussicht auf steigende Häuserpreise waren nur von untergeordneter Bedeutung. Das könnte darauf hindeuten, dass sich der Immobilienboom in Europa und den USA mittelfristig fortsetzt, sollte es den Zentralbanken nicht gelingen, die Inflation in den Griff zu bekommen.  

Flucht in Immobilien

Malmendiers Analysen bieten zudem eine Erklärung dafür, warum der Anteil der Immobilienbesitzer unter Südeuropäern und unter Älteren höher ist als unter Nordeuropäern und jungen Menschen. So litten die Südeuropäer in der Vergangenheit unter deutlich höheren Inflationsraten als die Menschen im Norden Europas. Das dürfte sie veranlasst haben, vermehrt Schutz vor der Geldentwertung durch den Kauf Immobilien zu suchen. 

Man darf gespannt sein, wie sich Malmendier vor dem Hintergrund ihrer Forschungsergebnisse künftig zur Geldpolitik der EZB positioniert. Nach dem Abgang von Wieland spricht die Expertise der Berkeley-Ökonomin dafür, dass ihr im Sachverständigenrat schwerpunkmäßig die Aufgabe zufällt, die Geld- und Währungspolitik der EZB kritisch zu begleiten. 

Für den Vorsitz im Sachverständigenrat wird die Novizin aus Berkeley wohl noch nicht in Betracht kommen. Gleichwohl muss sie sich Gedanken machen, wen sie zu wählen gedenkt. Denn den Chefposten besetzen die Weisen aus ihrer Mitte. Als Favoritinnen für den prestigeträchtigen Posten gelten Monika Schnitzer und Veronika Grimm. 

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