Sammelabschiebung „Ich will nicht zurück. Ich habe Angst!“

Mehrere Bundesländer haben abgelehnte Asylbewerber am Dienstagabend vom Düsseldorfer Flughafen zurück nach Afghanistan geschickt – unter Protesten. Mehr als 100 Demonstranten zogen mit Plakaten durch die Flughafenhalle.

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Viele Demonstranten glauben, dass Afghanistan nicht sicher ist. Quelle: Reuters

Düsseldorf Eine junge Frau hält zitternd ein bemaltes Bettlaken in die Höhe - darauf ist in großen schwarzen Buchstaben zu lesen: „Asyl ist Menschenrecht.“ Die Studentin hat Tränen in den Augen, als sie mit lauten „Abschiebung abschaffen“-Rufen durch den Düsseldorfer Flughafen läuft - stets begleitet von der Bundespolizei. Mit ihr sind etwa 150 andere Menschen gekommen: Frauen, Männer, Junge, Alte, Familien.

Sie alle demonstrieren gegen die geplante Sammelabschiebung von mindestens zwölf Menschen zurück nach Kabul, der Hauptstadt von Afghanistan. „Das ist ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Kabul ist nicht sicher“, erklärt die Studentin ihre Teilnahme an der Demo gegen den Beschluss der Bundesländer. Nach Angaben des Flüchtlingsrates NRW hat Bayern am Dienstagabend sechs und NRW vier abgelehnte Asylbewerber abgeschoben. Zum Teil soll es sich um Straftäter handeln, mehr ist über die Sammelabschiebung nicht bekannt.

Unmittelbar vor dem Abflug kritisiert die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne), dass die Situation in weiten Teilen Afghanistans keineswegs sicher sei. „Was mich mit großer Sorge umtreibt, ist die hohe Zahl an Opfern unter der Zivilbevölkerung“, sagt sie.

Damit ist die Politikerin nicht alleine. Eine Demonstrantin sorgt sich ebenfalls um das Wohlergehen der Afghanen. Sie kennt durch ihre ehrenamtliche Arbeit in einem Flüchtlingscafé viele junge Asylbewerber - und ihre Fluchtgründe. „Sie wollen einfach nicht mehr verletzt werden und in Sicherheit leben“, sagt sie mit brüchiger Stimme während der Protestaktion. „Das ist unerhört von Herrn de Maizière!“

Auch viele andere der Demonstranten am Flughafen äußerten sich wütend. „Die schicken die Menschen doch in den sicheren Tod. Afghanistan ist einfach nicht sicher“, sagt ein junger Student.

Genau das befürchtet auch Spiegel. Aufgrund der Vor-Ort-Informationen von Nichtregierungsorganisationen könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sichere Gebiete in Afghanistan gebe. Der jüngste Zwischenbericht von Auswärtigem Amt und Bundesinnenministerium zur Lage in Afghanistan beachte nach vorliegenden Informationen zu wenig, wie sich die Sicherheit der Zivilbevölkerung entwickle, so die Ministerin.

Mitarbeiter der Diakonie sind auch aus diesem Grund zum Flughafen gekommen. Eine Beraterin für Asylverfahren hilft schon seit Jahren jungen Afghanen und hat gute Einblicke in die Geschichten der einzelnen Asylbewerber. „Sie würden dort in ständiger Angst leben“, sagt sie.

Die Organisatoren der Demonstration sehen in der Sammelabschiebung vor allem eine politische Aktion. „Die Politiker versuchen mit dem Abschiebeflug, im rechten Flügel Stimmen zu fangen“, erläutert Nico Teuber, Pressesprecher von Afghanischer Aufschrei. Selbst wenn es sich bei den abgelehnten Asylbewerbern zum Teil um verurteilte Straftäter handeln sollte, habe Deutschland die Todesstrafe nicht wieder eingeführt. „Trotzdem nimmt Deutschland mit der Abschiebung den Tod in Kauf“, sagt Teuber.

Am Ende der Aktion reiht sich eine kleine Familie samt Kinderwagen in den Protestzug durch den Flughafen ein. Der Vater erklärt, dass er, seine Frau und die drei kleinen Kinder seit zwei Jahren in Deutschland lebten. Ihr Asylverfahren wurde abgelehnt, wie es jetzt weitergeht, wüssten sie nicht. Der Vater kenne keinen der zwölf Afghanen. Er sei aus persönlichen Gründen bei der Demo dabei: „Ich will selbst nicht zurück. Ich habe Angst.“

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