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Sarrazin entmachtet Nichts Halbes und nichts Ganzes

Der Streit um die Äußerungen von Thilo Sarrazin erreichen einen neuen Höhepunkt: Der Bundesbank-Vorstand muss Kompetenzen abgeben. Doch auch sein Chef ist ein Verlierer.

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Berlins Finanzsenator Thilo Quelle: dpa

Aus dem Ruder gelaufene Kollegen wieder einzufangen, gehörte früher zu den Kernkompetenzen eines Bundesbankpräsidenten. Die Chefs der Landeszentralbanken, meist alt gediente Länder-Politiker, die in den Zentralbankrat, das Führungsgremium der Bank, berufen wurden, machten dort munter mit dem weiter, was sie als Politiker  gelernt hatten: Quasseln, sobald ein Mikrofon in Sichtweite war.

Für Journalisten der Nachrichtenagenturen war es ein beliebter Wettkampf: Wer schafft es heute, im Interview mit diesem oder jenem Bundesbanker den Dollar kurzfristig hoch-  oder Anleiherenditen runterzureden. Der Bundesbankpräsident, zuletzt Hans Tietmeyer, betrieb dann Schadensbegrenzung, relativierte, entschuldigte, verpasste seinen Kollegen Maulkörbe.

Mit dem Euro verloren die Bundesbanker stark an Bedeutung. Keiner hörte mehr auf sie, jetzt war der Rat der Europäischen Zentralbank das entscheidende Gremium, das Leitzinsen senkte und erhöhte und über die Stabilität der Währung wachte. „Die geldpolitischen Beschlüsse des EZB-Rates setzt die Bundesbank in Deutschland um“, heißt es in deren eigener Aufgabenbeschreibung. Geblieben sind Verantwortlichkeiten für die Stabilität der deutschen Banken, den Zahlungsverkehr und die Bargeldversorgung sowie eine große Forschungs- und Analyseabteilung.

Mit der Existenz im Schatten haben die Institution Bundesbank und ihre 10.000 Angestellten an 47 Standorten bis heute zu kämpfen. Immerhin musste Bundesbank-Präsident Axel Weber nicht mehr den medialen Zuchtmeister spielen.

Sarrazin bleibt im Amt - ohne Bargeld

Durch die Finanzkrise schien die Bundesbank endlich eine neue Rolle im öffentlichen Bewusstsein gefunden zu haben. Axel Weber war an allen wichtigen Rettungsaktionen beteiligt, avancierte zu einem der obersten Krisenmanager und genießt heute bei den meisten Bankmanagern hohes Ansehen. Kein Wunder, dass CDU und FDP gleich zu Beginn der Koalitionsverhandlungen beschlossen, seine Kompetenzen zulasten der BaFIN zu erweitern.

Es schien gut zu laufen. Bis Thilo Sarrazin kam und sich wenig um das Gebot der Neutralität und die Bedenken seines Chefs scherte. Mit seinen Äußerungen zur Ausländerpolitik hat der Ex-Finanzsenator seine Ex-Kollegen, die eher über Zins, Dollar oder Konjunktur schwadronierten, weit in den Schatten gestellt. Früher wurden die Abweichler meist schnell auf Linie gebracht. Irgendwann wurde jeder vom stabilitätspolitischen Geist, der innerhalb der höchsten Gremien herrschte, infiziert. Dauerprovokateur Sarrazin ist ein härteres Kaliber. Als Strafe für die kalkulierte Entrüstung muss er nun Kompetenzen abgeben und darf sich künftig nur noch um das Risikocontrolling und die IT kümmern.

Die Entscheidung ist nichts Halbes und nichts Ganzes, Sarrazin bleibt zwar im Amt, aber das Amt ist nicht mehr das Gleiche, weil ihm das wichtige Thema Bargeld fehlt. Diese Lösung ist ein lauwarmer Kompromiss, der keinen glücklich macht. Weber wäre Sarrazin wohl gerne losgeworden, durfte ihn aber nicht entlassen. Als Ergebnis steht er nun öffentlich als Mann da, der bei den wichtigen Fragen zwar mitreden, sie aber nicht entscheiden darf.  

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