

![Bildungsreformen"Die Hilfsschule hieß deshalb Hilfsschule, weil die Schüler, die dort waren, besondere Hilfe benötigten. Dies so offen zu sagen empfand man irgendwie als taktlos bzw. diskriminierend. So wurde die Hilfsschule zuerst zur Sonderschule - das klang aber immer noch zu abgesondert - und schließlich zur Förderschule. Das klang besser, war aber sachlich ganz unsinnig, denn jede gute Schule sollte eine Förderschule sein, indem sie das vorhandene Begabungspotential bestmöglich zur Geltung bringt. Zudem wurde ja die grundlegende Diskriminierung nicht abgeschafft, dass man Kinder nach ihren Begabungen sortierte. [...] Durch diese Operationen sind die sichtbaren Formen der Ungleichheit zwischen begabten und weniger begabten Schülern abgeschafft worden." Quelle: dpa](/images/anteil-juengerer-lehrer-gestiegen/9519418/3-format10620.jpg)


Soziale Gerechtigkeit ist langfristig wahrscheinlich das Thema, über das in den vergangenen 30 Jahren am häufigsten gestritten wurde.
Sarrazin: Jeder von uns – ich auch – empfindet große Einkommensunterschiede als sozial ungerecht. Das möchten die Menschen nicht akzeptieren, sie fühlen sich damit unwohl. Was vielen schwer fällt ist zu erkennen, dass es angeborene Unterschiede in der Begabung und im Temperament gibt. Und die führen auch in der gerechtesten Gesellschaft immer wieder zu ungleichen Ergebnissen. Der eine hat bei allem Bemühen eben die Hauptschule nur knapp geschafft und arbeitet in einem Blumenladen, und der andere ist leitender Ingenieur. Der eine verdient, wenn er eine Stelle hat, 1500 Euro, der andere vielleicht 7000 oder 8000 Euro im Monat. Das wirkt ungerecht, weil sich beide bemüht haben. Natürlich müssen wir da angleichen und etwas umverteilen – deshalb bin ich ja Sozialdemokrat geworden. Aber wir müssen es in dem Bewusstsein tun, dass die Menschen ungleich sind und wir gerade die begabtesten unter ihnen brauchen. Sonst wird das finanziell nicht funktionieren.
Wie viel Gleichheit verträgt denn ein ökonomisches System?
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Sarrazin: Ich behaupte, nur 10 Prozent der Bevölkerung wären überhaupt in der Lage, ein Mathematikstudium zu schaffen. Ich gehöre übrigens nicht dazu. Ich habe schon mit Mathematik für Volkswirte genug zu kämpfen gehabt. Aber aller technischer Fortschritt hängt von Mathematik ab, [TR3] also von einer kleinen Minderheit. Diese Knappheit muss bezahlt werden.
Das Einkommen kann dann aber auch wieder abkassiert und umverteilt werden.
Sarrazin: So einfach geht das nicht mehr. Bei vielen Freunden und Bekannten beobachte ich, dass sie alle ihre Kinder für eine Zeit ins Ausland schicken, auch damit sie gut Fremdsprachen lernen. An den deutschen Universitäten werden Vorlesungen und Übungen teilweise auf Englisch gehalten. Wir ziehen also eine international bewegliche Elite heran, die jederzeit woanders hingehen kann. Diese Falle hat die deutsche Politik noch gar nicht bemerkt. Wir können unsere Steuern nicht mehr beliebig erhöhen. Schon heute hindert die Steuerlast die jungen Leute daran, Vermögen zu bilden. Wir untergraben damit die Kapitalbildung unserer Leistungsträger. Irgendwann sagen die sich: Dann gehe ich in die Schweiz, da verdiene ich brutto mehr und die Steuern sind auch noch geringer.
Wer legt gesellschaftlich fest, wie viel Umverteilung sein darf oder sein muss?
Sarrazin: Es gibt keine objektiven Gerechtigkeitsmaßstäbe. Das ist ein Ergebnis des gesellschaftlichen Diskurses. Wobei man wissen muss: Wenn man es in die eine oder andere Richtung übertreibt, fängt man sich Nachteile ein. Wir hatten eine jahrzehntelange Debatte über die richtige Höhe der Unternehmensbesteuerung. Es war ein Meilenstein, als wir endlich die Definitivbelastung deutscher Unternehmen auf 28,5 Prozent gedrückt haben.