Schäuble statt Steinmeier Der bessere Präsident

Der Abschied des scheidenden Bundesfinanzministers ist auch ein Probelauf für seine Zeit als Bundestagspräsident. Und er zeigt: Schäuble wird dem Bundespräsidenten mächtig Konkurrenz machen.

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Der Noch-Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) soll Bundestagspräsident werden. Quelle: REUTERS

Überall, wo Wolfgang Schäuble in diesen Tagen hinkommt, hängen sie an seinen Lippen, feiern ihn und bitten um einen vielleicht letzten Rat, eine Analyse, eine Prognose. US-Finanzminister Steven Mnuchin lädt ihn zum Abendessen, IWF-Generalsekretärin Christine Lagarde windet ihm öffentliche Kränze („a rock, a giant“), und selbst der französische Präsident Emmanuel Macron lädt den Nur-Finanzminister zu sich in den Elysee-Palast, was im Mutterland der diplomatischen Etikette schon etwas heißen soll. Es sind Schäubles letzte Tage als Finanzminister, doch die Abschiedstour ist in seinem Fall auch etwas anderes – ein Vorgeschmack auf sein künftiges Wirken als Bundestagspräsident.

Wenn Schäuble am 24. Oktober zum Präsidenten des Deutschen Bundestages gewählt wird, dann ist der 75-jährige beileibe nicht aus der Welt. Formell wird er das zweithöchste öffentliche Amt bekleiden, nach dem Bundespräsidenten. Und wer seine Abschiedstour begleitet, der kann zu dem Schluss kommen: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier muss fürchten, von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble öffentlich an die Wand gespielt zu werden.

Zwar erklärte Schäuble etwa in Washington gleich mehrfach, er befinde sich „im Abklingbecken“, müsse sich also mit politischen Äußerungen zurückhalten. Was ihn im nächsten Moment aber nicht davon abhält, sich zum Zustand Europas, der Welt und auch in Deutschland zu äußern. Er verteilt eine Spitze gegen US-Präsident Donald Trump, der gerade die Unesco-Mitgliedschaft der USA kündigt, indem er sagt: „Multilaterale Kooperation ist die einzige Möglichkeit, um globale Fortschritte zu erzielen.“ Schäuble gibt der FDP sein Pro-Europa-Prädikatssiegel, als Journalisten bei den Freidemokraten Eurobond-kritische Töne vermerken und sagt selbst, dass für ihn eine Vergemeinschaftung von Staatsschulden in der EU nicht in Frage komme. Und er bleibt gelassen, was die AfD angeht.

Schäuble, der alte fiskalistische Sturkopf und Grantler („Ein Finanzminister darf nicht allzu freundlich dreinblicken“), hebt sich ab vom langjährigen Oberdiplomaten Steinmeier, der in den ersten sieben Monaten im Amt des Bundespräsidenten noch keinen wirklichen Eindruck bei den Bundesbürgern hinterlassen hat. Wo Steinmeier in langen, adverb-schwangeren Sätzen mögliche Botschaften versteckt, spricht Schäuble klare Worte. Während Schäuble bisher jedes seiner Ämter als CDU/CSU-Fraktionschef, als Bundesinnenminister oder als Bundesfinanzminister gefüllt und geprägt hat, wirkt Steinmeier immer noch als Mann hinter den Kulissen (wo er etwa als Kanzleramtschef unter Gerhard Schröder durchaus prägend war als Architekt der Agenda 2010).

Wer Schäuble in diesen Tagen zuhört, bekommt eine Vorstellung seiner künftigen Agenda als Parlamentspräsident. Zunächst wird er, der 1942 mitten im Krieg geborene, das Projekt Europa weiter vorantreiben. Die „Schwanengesänge“ auf Europa, sagt er, seien inzwischen verstummt, nach Griechenland-Krise und Brexit-Wahl könne der Kontinent neue Kraft schöpfen. Dass es dabei nicht unbedingt im Sinne von Macron gehen werde, lässt Schäuble schnell durchblicken. Europa brauche noch einen langen Prozess der nachhaltigen Konsolidierung, bevor es etwa zu einer weiteren haushalterischen Vergemeinschaftung komme.

Ein weiteres Herzensanliegen ist für den Badener Afrika. Der von ihm initiierte Compact with Africa soll im Rahmen der führenden G20-Länder zusammen mit willigen afrikanischen Ländern den ordnungspolitischen Rahmen für private Investitionen in diesen Ländern schaffen. Nur wenn der schwarze Kontinent eigene wirtschaftliche Perspektiven entwickle, könne der Migrationsdruck auf Europa sinken.

Und dann ist natürlich die Demokratie, der Parlamentarismus für Schäuble im eigenen Land ein Herzensanliegen. Der Parlamentsvorsitz dürfte Schäuble auf den Leib geschneidert sein, um mögliche Provokationen von AfDlern mit scharfer rhetorischer Klinge zu parieren. Hier, im Reichstag, wird Schäuble viel näher als etwa Steinmeier im Schloss Bellevue im Zentrum des Geschehens und auch viel öfter in der Lage sein, um sich mit den Rechtspopulisten auseinanderzusetzen. Schäuble braucht dafür nicht formell der erste Mann im Staate sein. Es wird ihm auch so Spaß machen – oder besser: Befriedigung als Politiker, als Staatsdiener verschaffen.

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