Deutschlands schwärzestes Gewerbe trifft sich am helllichten Tag in Visselhövede, einem Örtchen in der Lüneburger Heide zwischen Hamburg und Hannover. Der Parkplatz vor dem Seminarhotel steht voller Taxen, geladen hat der niedersächsische Landesverband der Taxibetreiber. Es ist eine Krisensitzung, die Branche steht am Pranger, mal wieder. „Taxi-Unternehmen betrügen systematisch“, war gerade in vielen Zeitungen zu lesen, der Boulevard sah sogar eine „Taxi-Mafia“ am Werk, es ging um Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe, bundesweit.
Michael Müller kennt diese Schlagzeilen. Seit fünf Jahren führt der gemütliche Herr mit den weißen Haaren als Präsident den Deutschen Taxiverband, nun spricht er beim Regionaltreffen in Niedersachsen zu rund 200 Taxiunternehmern. Müller will seine Branche endlich sauber machen. Statt für weniger Regulierung wirbt der Verbandspräsident im Seminarhotel von Visselhövede für mehr, er fordert bessere Kontrollen seiner Fahrer durch den Staat, eine sehr ungewöhnliche Forderung für einen Lobbyisten. Aber Müller weiß, dass es so nicht weitergehen kann. „Wir brauchen die Fiskaltaxameter. Nur so kommen wir aus der Schmuddelecke raus“, sagt er. „Wir wollen nicht länger am Pranger stehen, nur weil das Bundesfinanzministerium seine Hausaufgaben nicht macht.“
Was Müller anspricht, sorgt seit Monaten für Zwist zwischen allen Beteiligten. Es geht um die nächste Generation der Wegstreckenzähler, die sogenannten Fiskaltaxameter. Die Europäische Union schreibt ihren Einsatz ab November 2016 vor. Künftig sollen so Daten wie Fahrgastzahl, Kilometerstand und Fahrpreis erfasst, unveränderbar gespeichert und von den Behörden ausgelesen werden können. Damit bliebe kaum Spielraum für die teuren Betrügereien, die heute auf Deutschlands Straßen Alltag sind.
Doch Müllers Forderung stemmt sich ausgerechnet der Mann entgegen, der seit Jahren gegen Steuerbetrug wettert: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Geht es nach dem Willen seiner Beamten im Bundesfinanzministerium (BMF), dürfen bisher eingesetzte Taxameter weiter betrieben werden. Zudem soll es den Taxiunternehmen nach wie vor erlaubt sein, ihre Bücher händisch zu führen. Die interne Begründung von Schäubles Beamten: Sonst seien die neu anfallenden Bürokratiekosten zu hoch.
Gerade erst ließ Schäuble eine große Chance verstreichen, in der Taxibranche aufzuräumen. Noch vor der Sommerpause beschloss das Kabinett das sogenannte „Ladenkassengesetz“, verfasst vom BMF. Elektronische Registrierkassen etwa in Biergärten oder Restaurants müssen demnach künftig über eine „Sicherheitseinrichtung“ verfügen, die Umsätze unverfälschbar erfasst. Betriebsprüfer der Finanzämter sollen zudem unangemeldet kontrollieren können. Wer gegen das neue Gesetz verstößt, muss den Plänen zufolge bis zu 25.000 Euro Geldbuße zahlen. Der Bund hofft auf Milliarden Euro an Steuereinnahmen, die bislang hinterzogen wurden.
Maximal 30 Prozent versteuert
Es wäre leicht gewesen, auch Taxen in diese Regelung mit einzubeziehen. Doch Taxameter gelten den Beamten nicht als Kasse – und fallen somit aus dem Gesetz. Überhaupt gibt es in der Bundesrepublik, anders als etwa in Österreich, keine Vorschrift, eine Registrierkasse zu führen. Dies hält das Bundesfinanzministerium für unzumutbar: „Eine Einzelaufzeichnung der baren Betriebseinnahmen“, schrieben Schäubles Beamte am 17. Mai 2016 an einen Taxiunternehmer, sei „nicht erforderlich, wenn Waren von einem geringen Wert an eine unbestimmte Vielzahl nicht bekannter und auch nicht feststellbarer Personen verkauft werden“.
Taxibranche vs. myTaxi – die Fakten
Die Daimler-Tochter myTaxi hatte Mitte Mai in Deutschland und international mit Rabatten von bis zu 50 Prozent für Fahrten geworben, die über die App vermittelt und bezahlt werden. Nach Einschätzung der Stuttgarter Taxi-Auto-Zentrale ist das wettbewerbswidrig. Denn eigentlich gelten von den lokalen Behörden festgelegte Preise für Taxifahrer. Diese dürften laut Personenbeförderungsgesetz weder über- noch unterschritten werden.
Das Personenbeförderungsgesetz ist auch dazu da, Taxifahrer vor ruinösem Wettbewerb zu schützen. MyTaxi argumentiert, dass das Gesetz nicht für die App gilt, da nur Fahrten vermittelt werden. Außerdem hätten die Fahrer, die durch das Gesetz geschützt werden sollen, den vollen Fahrpreis erhalten. Lediglich den Rabatt an den Kunden habe myTaxi erstattet und diesen so „zu einer Taxifahrt“ eingeladen, argumentierte der Anwalt vor Gericht.
Die gibt es. Anbieter von öffentlichem Nahverkehr (ÖPNV) schießen zum Beispiel kleine Beträge für Frauen-Nacht-Taxis zu. Allerdings vermitteln die ÖPNV-Betriebe keine Taxifahrten. Und diese Koppelung war zumindest vor dem Stuttgarter Landgericht der springende Punkt.
Die Richterin vor dem Stuttgarter Landgericht machte in der Verhandlung klar, dass die einstweilige Verfügung, die bislang in Stuttgart, Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen gilt, gute Chancen auf Bestand hat. Die Daimler-Tochter trage das unternehmerische Risiko zum Beispiel für Zahlungsausfälle, da die Zahlungen auch über die App abgewickelt werden und die Taxifahrer ihre Forderungen an die Fahrgäste abtreten können. „Um ein Taxiunternehmen zu sein, ist es nicht erforderlich, dass die Beförderung auch durch das Unternehmen erfolgt“, so die Richterin. Dadurch werde myTaxi „in die Nähe“ von Taxiunternehmen gerückt.
Nach der ersten Verhandlung sieht es so aus, als würden die Rabatte von myTaxi zumindest in Stuttgart, Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen verboten. Nach vorläufiger Rechtsauffassung sei die Aktion wohl wettbewerbswidrig, sagte die Richterin während der Verhandlung Anfang Juni. Denn der Taxifahrer erhalte „nur grundsätzlich“ den vollen Tarif.
Eher nicht. Die Richterin machte klar, dass es nicht um den Schutz der Taxizentralen vor Konkurrenten gehe. Diese betreiben teilweise schon ihrerseits Apps, die ähnliche Dienste wie myTaxi anbieten.
Das tut er bereits: Der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband (BZP) hat seinerseits eine einstweilige Verfügung gegen die Rabatte von myTaxi vor dem Landgericht Hamburg erwirkt. So solle unter anderem verhindert werden, „dass weiter in irreführender Weise flächendeckend bundesweit mit einem 50-prozentigen Rabatt auf Taxifahrten“ geworben werde. Die Branche befürchtet, dass Aktionen wie die von myTaxi die herkömmlichen Vermittlungszentralen Kunden kosten und die Strukturen des Gewerbes zerstören.
Sie beziehen sich in dem Schreiben, das der WirtschaftsWoche vorliegt, auf ein Urteil des Bundesfinanzhofs aus dem Jahr 1966. Damals dachte wohl keiner der Richter daran, dass es eines Tages Menschen geben würde, die ihre Taxen per App buchen und mit Kreditkarte zahlen – geschweige denn, dass ein „intelligentes“ Taxameter all dies speichern und den Behörden automatisch zugänglich machen kann. Taxifahren ist also längst im 21. Jahrhundert angekommen, die Regulierung steckt im 20. Jahrhundert fest.
Wie leicht sich dies ändern ließe, ist auf dem Taxikrisentreffen in Visselhövede zu bestaunen. Dort präsentiert Unternehmensberater Dirk Tangemann dem Publikum seinen cabman BCT. Das Wundergerät in der Größe eines Smartphones kommt aus den Niederlanden und Belgien, wo Fiskaltaxameter seit Jahren vorgeschrieben sind. Dort müsse jede Bewegung des Taxis abgebildet werden, sagt Tangemann. Deshalb könne der cabman auch Pausen managen, als Telefon genutzt werden, außerdem sei in den Drucker ein Magnetkartenleser für das bargeldlose Bezahlen integriert. Alle Daten würden gespeichert und seien jederzeit verfügbar – bei Bedarf auch für das Finanzamt. „Wir haben den deutschen Markt analysiert und uns entschlossen, nun anzubieten“, so Tangemann.
Er hätte kaum einen besseren Zeitpunkt wählen können. Über 20 000 Taxiunternehmen gibt es derzeit in der Bundesrepublik. Und der Großteil von ihnen, so stellen es Gutachter immer wieder fest, nimmt es mit der Steuerehrlichkeit nicht sehr genau. Gerade enthüllte eine Studie im Auftrag des Berliner Senats: Vier von fünf Taxibetrieben in der Hauptstadt hinterziehen Steuern. Über 50 Millionen Euro, schätzen die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, entgehen dem klammen Bundesland dadurch pro Jahr – genug, um alle Schlaglöcher der Hauptstadt zu stopfen. In anderen Kommunen der Republik sieht es nicht besser aus: 46 Prozent Betrugsquote in Stuttgart, 40 in Frankfurt, 38 in München, 27 in Düsseldorf. Auf über eine Milliarde Euro bezifferte der niedersächsische Landtag den bundesweiten Steuerschaden schon 2001. Inzwischen dürfte dieser weit höher liegen.
Wie leicht die Trickserei funktioniert, erläutert ein Taxifahrer während einer längeren Stadtrundfahrt durch eine deutsche Metropole. Der Mann ist etwa 40 Jahre alt und seit mehreren Jahren als Fahrer angestellt. Er will zwar unerkannt bleiben, aber reden. Schließlich litten alle ehrlichen Kollegen unter den Schwarzfahrern. „Entweder arbeitet man nur mit Schichtzetteln. Da kann man am Ende des Tages reinschreiben, was man will“, erzählt der Mann. „Oder der Betrieb hat ein elektronisches System wie wir. Da wird die Fahrt danach einfach im System storniert.“ Maximal 30 Prozent der Einnahmen würden überhaupt bei der Steuer angegeben, vermutet der Fahrer. „Für mich sind das hier fast griechische Verhältnisse, dort macht ja auch keiner das Taxameter an.“ Sein düsteres Fazit: „Wer ehrlich ist, kann mit Schwarzfahrern kaum mithalten.“
Antiquierte Regulierung
Entsprechend geschönt sind viele Umsatzzahlen. So sollen, ergab die Berliner Studie, professionelle Taxen in der Hauptstadt nur einen Überschuss von 5400 Euro im Jahr erwirtschaftet haben, nicht einmal die Hälfte der deutschen Armutsgrenze. Würde das stimmen, wären die meisten Taxiunternehmer rollende Sozialfälle.
Auch in ländlichen Regionen blüht die Trickserei, etwa in einer niedersächsischen Stadt, wo staunende Finanzbeamte unter 50 Taxibetrieben gerade mal einen fanden, der mit seinem angemeldeten Gewinn die Gewerbesteuer-Freigrenze von 24.500 Euro übertraf. Die restlichen 49 Unternehmen nahmen angeblich weniger ein. „Dennoch wurden in einer Zeitungsannonce 100.000 Euro für zwei Taxikonzessionen geboten“, sagt Edo Diekmann von der zuständigen Oberfinanzdirektion Oldenburg. „So schlecht wie vorgegaukelt kann die Ertragslage offenbar nicht sein.“
Aber auch angestellte Taxifahrer können tricksen. Beispiel: Ein Taxiunternehmer stellt den Fahrer offiziell für vier Stunden am Tag an und zahlt ihm dafür etwa 1000 Euro brutto im Monat. Nur dieser Betrag gilt dann für die Berechnung von Steuern und Sozialabgaben. Tatsächlich sitzt der Fahrer wesentlich länger hinter dem Steuer – und bekommt Tausende Euro schwarz vom Arbeitgeber. So sparen am Ende beide Seiten. Verlierer sind die Sozialkassen, die in krassen Fällen den offiziell verarmten Kutschern mit Gehalts- und Rentenaufstockungen aushelfen müssen.
Ein Skandal. Doch es fehlt oft schlicht an Personal für wirksame Kontrollen. In Berlin etwa muss ein einzelner Mitarbeiter des Landesamtes für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten 800 Taxen überwachen.
Mit dem flächendeckenden Einsatz von Fiskaltaxametern würden sich die Kräfteverhältnisse zwischen Prüfern und Taxiunternehmern schlagartig verändern. Finanzprüfer Diekmann aus Oldenburg hält damit eine vollständige Betriebsprüfung innerhalb von drei Tagen für möglich. Momentan dauert so etwas mindestens zwei Wochen. Der größte Vorteil der Fiskaltaxameter aber wäre die Nachprüfung. Mit validen Daten könnten die Finanzämter die ärgsten Betrüger der vergangenen Jahre nachträglich entlarven: Wer mit Fiskaltaxameter-Daten etwa auf einen sechsstelligen Jahresumsatz kommt, vorher aber immer nur wenige Tausend Euro bei der Steuer angegeben hat, ist kaum noch glaubwürdig. Das Finanzamt könnte die Firma nachträglich „schätzen“ – und entgangene Steuern nachfordern.
In den Bundesländern gibt es daher wenig Verständnis für die Zurückhaltung der Bundesregierung bei dem Thema. Wenn das Bundesfinanzministerium die Nutzung technischer Möglichkeiten für nachprüfbare Umsatzerfassung nicht für geboten halte, „fällt es hinter die eigenen Bemühungen der Taxizentralen weit zurück“, sagt etwa Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD). „Wer bei Steuerbetrug zulasten der Allgemeinheit die Augen zudrückt, stellt jeden ehrlichen Unternehmer als Deppen hin.“
Aber Länder und Kommunen könnten selbst eingreifen. Wie das geht, zeigt das Beispiel Hamburg. Dort sind Fiskaltaxameter seit einigen Jahren im Umlauf. 2004 förderte ein Gutachten mafiöse Strukturen in der Hansestadt zutage. Mehr als jeder zweite Taxibetrieb missachtete gesetzliche Arbeitszeiten, meldete Mitarbeiter nicht an oder hinterzog Steuern. Der Senat reagierte und bezuschusste den Einbau eines Fiskaltaxameters. Zwei Drittel der Taxiunternehmer machten mit, die Behörden konzentrierten sich in der Folge bei den Kontrollen auf den Rest. Heute fahren in Hamburg fast 900 Taxen weniger als damals, die Flotte ist so klein wie zuletzt 1966. Und weil nun nichts mehr verschwiegen werden kann, ereignete sich über Nacht ein kleines Wirtschaftswunder: Der Umsatz der verbliebenen Firmen stieg um 50 Prozent.