Der CSU ist es durch die als Bürgersorge verschleierte Erpressung der Bundeskanzlerin gelungen, die EU an den Rand der Handlungsunfähigkeit zu führen. Chapeau! Das muss man erst mal schaffen. Und wollen. Da hat jemand in einer bayrischen Amtsstube seinen Schumpeter gelesen. Nur leider nicht verstanden. Denn bei dem Ökonomen Joseph Schumpeter dient die Zerstörung der Problemlösung durch Schaffung des Neuen. Die aber ist in der nun zu Europas Schicksalsfrage hochgejazzten Asylproblematik nicht in Sicht. Selbst wenn nun einige Länder die Ankommenden besser registrieren oder effektiver abweisen sollten.
Es steht ja außer Frage, dass endlich eine ganz grundsätzliche Lösung her muss, wie Europa künftig mit dem Asyl- und Migrationsthema umgehen will. Zu viele Fehler sind gemacht worden. Schon zu lange bastelt die EU lediglich an Zwischenlösungen. Zu unterschiedlich sind die Interessen. Zu wenig hat sich die EU zu einem politischen Bollwerk entwickelt, das tatsächlich in der Lage wäre, in einer veränderten Weltlage seine Interessen durchzusetzen.
Wer sich selbst nicht auf die Reihe kriegt, kann nicht erwarten, dass andere, die USA, China, ihn als Partner auf Augenhöhe betrachten. In dieser Gemengelage gibt sich die CSU als Teilchenbeschleuniger für die rechtspopulistischen Zentrifugalkräfte her, die überall in der Welt an Fahrt aufnehmen, auch in Europa. Deutschland hat jetzt eine bislang christlich-bürgerliche Partei, die sich darin gefällt, an der Entstehung einer nationalistischen Internationale mitzuwirken. Vorbei die Zeiten des „geordneten Multilaterialismus“, so der bayrische Ministerpräsident Markus Söder. Jeder ist wieder sich selbst der Nächste.





Es fällt ja auch leicht, im Angesicht der bayrischen Landtagswahl zwischen fotogenem Schweinestreicheln und kantigen Bierzeltsätzen immer mal wieder an der Grundlage des europäischen Wachstums- und Friedensprojekts zu zündeln. Mit Begriffen wie „Asyltourismus“ und „Asylgehalt“ versucht Söder, ganz wie in der griechischen Tragödie des Aischylos, als Orest der Gegenwart die Rachegötter und -göttinnen der AfD zu besänftigen, um ihrem Angriff auf die Ergebnisprozente bei der Landtagswahl zu entkommen. Doch die sind nie zufrieden, wollen immer mehr. Währenddessen wenden sich die bürgerlichen Kräfte angewidert von solchen Spielchen ab. Die Folgen werden weit über den 14. Oktober, an dem die Bayern wählen, hinausreichen. Sicher werden sich dann auch in der CSU ein paar Wohlgesinnte finden, die sich beklagen, ihre ehrlichen Absichten seien für ein Werk benutzt worden, das sich als schlecht und verderblich erwiesen habe.
Mit dem Vorschlag, registrierte Flüchtlinge an der Grenze im nationalen Alleingang zurückzuweisen, hat die CSU den Moral Hazard in der Politik salonfähig gemacht. Jenes Verhalten, bei dem man sich für eine Handlung entscheidet, weil den Schaden schon irgendjemand tragen wird. Wenn alle national zurückweisen würden, landeten die Flüchtlinge in Italien und Griechenland, die ohnehin schon die Gelackmeierten sind. Und dann? Dann werden Italien und Griechenland die Flüchtlinge einfach direkt und unregistriert gen Norden weiterschieben.
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Warten wir also darauf, dass die Menschen sich in Europas Süden in Luft auflösen? Oder dass ein „Kolonialismus revisited“ gelingen wird? Indem es irgendwann Sammellager in Albanien und Libyen geben wird, zwei Länder die eine solche Lösung kategorisch ausgeschlossen haben? Selbst diejenigen, denen dieser Menschenverschiebebahnhof herzlich egal ist, würden die Folgen spüren. An den geschlossenen Grenzen innerhalb der EU, an denen Tagespendler, Reisende, vor allem aber Warentransporte zwecks Kontrolle lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Das Ende von Schengen ist der Anfang vom Ende des Binnenmarkts. 5 bis 18 Milliarden Euro direkte Zusatzkosten erwartet die EU-Kommission in diesem Fall. Vielleicht sollte die CSU diese Wahrheit in ihrem bürgerorientierten Wahlkampf mit verkaufen.
Der finnische Innenminister Kai Mykkänen hat uns dieser Tage daran erinnert: Es ist gerade mal 20 Jahre her, „dass wir dieses Wunder eines Europas ohne Grenzen erleben dürfen“. Wir stehen nun vor dem Risiko, „dass dieses Wunder nur einer Generation vergönnt war und zur Erinnerungsgeschichte wird“.
Das ist dann keine politische Disruption mehr. Das ist eine historische Zäsur. Bei der Flüchtlingsfrage geht es darum, Schengen und damit Europa zu retten, nicht aber die CSU. Wenn Schengen fällt, reist „Menschenfleisch“, wie der italienische Innenminister Matteo Salvini die Flüchtlinge bezeichnet, nicht mehr ungehindert über die Grenzen. Schweine- und Rindfleisch auch nicht.