Scholz besuchte FIU nie Das Versteckspiel des Kanzlerkandidaten

Olaf Scholz erschien persönlich zu der Sondersitzung im Finanzausschuss. Quelle: imago images

Finanzminister Olaf Scholz verzichtet auf Wahlkampfauftritte, um sich im Bundestag zu der ihm unterstehenden FIU-Behörde zu erklären. Zu einer Anti-Geldwäsche-Behörde, die er nie besuchte. Die Abgeordneten sind entsetzt.

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Die erste Überraschung gelang dem Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, noch bevor die Sondersitzung des Finanzausschusses im Bundestag an diesem Montag um 10 Uhr begann: Er kam! Persönlich! Keine Zuschalte per Video, wie es seine Beamten-Entourage vor ein paar Tagen noch verhandelt hatte, weil er ja Wahlkampftermine in Baden-Württemberg hätte. Diese Blöße aber wollte sich Scholz dann doch nicht geben, dass er lieber im Lande um Stimmen werbe, statt sich direkt dem Parlament und dessen kritischen Fragen zu möglichen Verwicklungen in den Geldwäschebekämpfungs- und Cum-Ex-Steuerskandal zu stellen.

Doch die Überraschung wich umgehend einer Ernüchterung. „10:30 Uhr durch und #OlafScholz hält noch immer sein KURZES Eingangsstatement“, twitterte die grüne Abgeordnete Lisa Paus leicht enerviert; „Versucht da jemand, unbequemen Fragen aus dem Weg zu gehen???“ Fragen haben die Abgeordneten des Finanzausschusses zur Genüge. Nicht dass sie große Erwartungen hätten, weil sie schon so oft nach dem Versagen bei der Anti-Geldwäsche-Einheit FIU fragten und immer wieder nachbohren mussten.

Desinteresse an Kölner Behörde

Eine erste Überraschung gelingt dem FDP-Abgeordneten Markus Herbrand, als er Scholz nach dessen Statement fragt, wie oft er bei der FIU in Köln gewesen sei. Die Antwort des verantwortlichen Ministers: nie. Und dem Leiter der FIU, Christof Schulte, war der Minister wohl auch noch nie begegnet. Das klingt unglaublich. Bei einem der größten Fälle von Staatsversagen in Deutschland – der völlig unzureichenden Geldwäschebekämpfung hierzulande – trifft sich der zuständige Minister nicht persönlich mit der Fachbehörde! Verständlich, dass die Mitarbeiter bei der Geldwäschebekämpfungseinheit, die in einer ehemaligen Backsteinkaserne im Kölner Osten sitzen, enttäuscht sind über das Desinteresse aus Berlin. Immerhin tauchte Scholz‘ Staatssekretär Rolf Bösinger dort auf.

Anlass für die Sondersitzung an diesem Montag ist eine Durchsuchungsaktion der Staatsanwaltschaft Osnabrück am 9. September 2021 im Bundesfinanzministerium wegen massiven Versagens bei der Financial Intelligence Unit (FIU), die der Aufsicht des Scholz-Ministeriums untersteht. Dass die Staatsanwaltschaft anrückte, um Beweismittel zu sichern, traf bei vielen Parlamentariern einen wunden Punkt: Sie versuchen nämlich seit Jahren zu erfahren, warum Deutschland bei der Bekämpfung der Geldwäschekriminalität eklatant versagt.

Geheimnisverrat und Geheimniskrämerei

Bei der Razzia des Finanzministeriums ging der verbeamtete Staatssekretär Wolfgang Schmidt nach bekanntem Muster gleich zur (Gegen-)Attacke über. Völlig überzogen sei die Razzia gewesen. Schmidt postet sogar Auszüge aus dem Durchsuchungsbeschluss und gerät damit in den Verdacht des Geheimnisverrats. Doch für Scholz‘ Adlatus Schmidt scheint es wichtiger, die Justiz in ein Zwielicht zu rücken, um seinen Minister zu schützen. Dafür kassiert Schmidt ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren. Dem Finanzausschuss des Bundestages verweigert Schmidt dagegen Einblick in den Durchsuchungsbeschluss.

Einige, von Schmidt nicht getwitterte Passagen aus dem Durchsuchungsbeschluss deuten vielmehr darauf hin, dass das Finanzministerium doch mit im FIU-Schlamassel drinsteckt. Dass das Ministerium möglicherweise ziemlich viel wusste in Bezug auf den risikobasierten Ansatz der FIU bei der Behandlung von Geldwäscheverdachtsmeldungen und sogar ausdrücklich dafür war. Nach der Methode gingen die Mitarbeiter der in Köln ansässigen Zollbehörde vor, sie filterten die Verdachtsmeldungen und gaben viele nicht an die Ermittlungsbehörden in den Ländern weiter. „Strafvereitelung im Amt“ lautet nun der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Das ist kein Kavaliersdelikt, stellt der Linken-Abgeordnete Fabio De Masi fest.

Aufsicht? Verantwortung!

Auch die Aussage von Staatssekretär Schmidt, dass das BMF gar keine Fachaufsicht über die FIU habe, sondern nur eine Rechtsaufsicht, ist mit Vorsicht zu genießen. Für das operative Geschäft trifft das zwar zu, aber in strategischen Fragen hat das Ministerium wohl doch auch eine Fachaufsicht. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. „Die Mär, dass das BMF keine Fachaufsicht über die FIU hat, ist damit widerlegt“, sagt der FDP-Politiker Frank Schäffler der WirtschaftsWoche. „Für die organisatorischen Mängel der FIU trägt Olaf Scholz die Verantwortung.“

Zurück zur Sondersitzung des Finanzausschusses. Um 12.40 Uhr verlässt der Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat den Sitzungssaal im Reichstag. Danke für die Einladung und auf Wiedersehen, sagt Scholz den zurückbleibenden Abgeordneten. Zufrieden sind die eigentlich nicht. Der FDP-Politiker Herbrand spricht von einem „Versteckspiel“ und fügt hinzu, Scholz suggeriere ein falsches Bild von der desaströsen Lage bei seiner Anti-Geldwäschebehörde. Derweil würden Verdachtsmeldungen bei der Chaos-Behörde weiter unzureichend überprüft, verschwänden Hinweise in der Ablage.

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… und dann ist da noch Cum-Ex

Scholz ist weg, da müssen sich bei der Sondersitzung die Abgeordneten noch mit einem anderen Problemthema befassen, das ebenfalls mit Scholz in Verbindung steht: die Cum-Ex-Steueraffäre um die Hamburger Warburg-Bank. Es geht um 47 Millionen Euro an erlassenen Kapitalertragsteuern, die die dortige Finanzbehörde nicht zurückforderte, als Scholz dort Erster Bürgermeister war. Aber der Minister hat bereits die Sitzung verlassen… Es ist Wahlkampf und der Finanzminister möchte zum nächsten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt werden.

Mehr zum Thema: Kanzlerkandidat Olaf Scholz bewirbt sich als erfahrener Kapitän, der Deutschland sicher in die Zukunft steuert. Doch ein Blick auf seine Bilanz als Bundesfinanzminister offenbart eine Reihe von Fehlern und Versäumnissen.

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