Schuldenbremse Deutschland muss investieren statt bremsen

Quelle: imago images

Deutschland baut seine Schulden ab – das ist jedoch nicht auf die Schuldenbremse zurückzuführen. Diese hemmt für Deutschland wichtige Investitionen. Ein Gastbeitrag.

  • Teilen per:
  • Teilen per:

Deutschland muss in die Zukunft investieren. Die Wirtschaft steht vor der Rezession. Die Abkühlung der Weltwirtschaft und die Unsicherheit durch Handelskriege und den Brexit treffen die deutsche Industrie wegen ihrer Exportabhängigkeit besonders hart. Ob Klimawandel und Bahnnetze, sozialer Wohnungsbau oder digitale Infrastruktur. Wenn eine Gesellschaft vor großen Aufgaben steht, erfordert dies auch große Investitionen!

Deutschland lebt von der Substanz. Wir verzehren den öffentlichen Kapitalstock an Universitäten, Brücken oder Straßen, der von Generationen erarbeitet wurde. In den Kommunen wird der Verschleiß der Infrastruktur seit 2003 nicht mehr durch öffentliche Investitionen ausgeglichen. Deutschland ist die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, besetzte im Jahr 2015 aber nur den drittletzten Platz aller OECD-Länder, gemessen an öffentlichen Investitionen und Bildungsausgaben.

Dabei bekommt der Staat bei negativen Anleiherenditen Geld geschenkt. Alles deutet auf dauerhaft niedrige Zinsen hin. Ganz unabhängig davon, ob der EZB-Präsident gerade Mario Draghi, Christine Lagarde oder gar Jens Weidmann hieße. Denn den weltweiten Ersparnissen stehen unzureichende Investitionen gegenüber. Auch die langfristigen Zinsen am Kapitalmarkt, die von Zentralbanken nicht unmittelbar beeinflusst werden, sind niedrig. Österreich hat daher gerade kürzlich eine 100-jährige Anleihe begeben, auf die es kaum Zinsen zahlt.

Wofür 2020 Steuergeld ausgegeben wird

In Deutschland ist der Abbau der Staatsverschuldung vor allem auf die niedrigen Zinsen und das günstige wirtschaftliche Umfeld – etwa die Nachfrage Chinas nach deutschen Exportprodukten – und nicht die Schuldenbremse zurückzuführen. Die Schuldenbremse wird daher zu Recht mittlerweile auch von arbeitgebernahen Ökonomen kritisiert. Dr. Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, spricht sich für eine „innovations- und wachstumspolitische Öffnung der Schuldenbremse“ aus und kritisiert die „mitunter theologisch anmutende Begeisterung für die Schuldenbremse“. Gemeinsam mit dem renommierten Ökonomen Jens Südekum meint er die Weigerung kreditfinanzierte Investitionen zu tätigen sei „als ob der Staat Geldscheine auf dem Bürgersteig liegen lässt, statt sie aufzuheben“. Dabei sind kreditfinanzierte Investitionen in Deutschland laut den Wirtschaftsweisen ökonomisch umso sinnvoller, da Deutschland nachweislich eine vergleichsweise hohe Ertragsrate öffentlicher Investitionen aufweist.

Gemäß der Schuldenbremse darf die sogenannte strukturelle Neuverschuldung beim Bund ab 2016 jedoch maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) betragen. Damit ist die Verschuldung gemeint, die nicht von der Konjunktur beeinflusst wird. Laut Finanzministerium wären dies für das laufende Jahr nur sechs Milliarden Euro, würde die schwarze Null aufgegeben. Auf Länderebene ist eine strukturelle Neuverschuldung ab 2020 gänzlich verboten. Ausnahmen von der Schuldenbremse sind nur bei außergewöhnlichen Ereignissen wie schweren Naturkatastrophen oder Wirtschaftskrisen vorgesehen. Allerdings ist eine frühzeitige Reaktion auf Wirtschaftskrisen damit nicht möglich, da Investitionen gemeinhin Zeit brauchen, um die Wirtschaft zu stützen.

Die Abgrenzung des strukturellen Defizits wirft zudem erhebliche Probleme auf. Sinkt das BIP im Abschwung, beeinflusst dies auch das von Ökonomen geschätzte Produktionspotential. Mit anderen Worten: Der Einbruch der Wirtschaft erscheint nicht als Magersucht – sondern als neues Idealgewicht. Im Ergebnis wird jener Teil des Defizits, der nur auf die schwache Konjunktur zurückgeht, unterschätzt, und das strukturelle Defizit überschätzt.

Dies schränkt den konjunkturpolitischen Spielraum weiter ein und kann die Rezession und somit auch die fiskalischen Kosten von Wirtschaftskrisen verstärken. Den Extremfall dieses „Schuldenparadoxons“ konnte man während der Eurokrise in Ländern wie Griechenland beobachten, wo die Kürzung der Staatsausgaben die Schuldenquote (Staatsschulden im Verhältnis zum BIP) erhöhte, weil die Wirtschaft einbrach. Dies verringert die Steuereinnahmen und erhöht die Ausgaben der Arbeitslosigkeit. Es ist wie einem Komapatienten Blut abzunehmen.

Um sich von der Fieberkurve der Weltwirtschaft unabhängiger zu machen, muss die Exportabhängigkeit reduziert und die deutsche Binnenwirtschaft gestärkt werden. Neben einer Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro muss der öffentlichen Kapitalstock durch mehr und dauerhafte Investitionen wieder erhöht werden. Dafür sollte der Bund die Kommunen als größte öffentliche Investoren entlasten. Denn die Kommunen verzeichnen vielerorts seit Jahren negative Nettoinvestitionen. Natürlich spielt dabei auch eine Rolle, dass Personal in den Planungsämtern abgebaut wurde und die Bauwirtschaft wegen fehlender Planungssicherheit mit den vorhandenen Kapazitäten kaum noch Aufträge abarbeiten kann.

Öffentliche Investitionen sollen die privaten Investitionen nicht ersetzen. Sie sollen im Gegenteil den Motor starten, um private Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen anzureizen. Kreditfinanzierte Investitionen erlauben außerdem die Finanzierung von teuren Investitionen, deren Kosten sich nicht alleine heute stemmen lassen und sie bei niedrigen Zinssätzen zu strecken. Denn öffentliche Investitionen schaffen Vermögen für zukünftige Generationen.

Warum soll etwa nur die heutige Generation der Steuerzahler eine Universität finanzieren, die auch noch unseren Enkelkindern dient? Und sollen Probleme wie der Klimawandel, die über Generationen geschaffen wurden, oder Herausforderungen wie die digitale Infrastruktur, von nur einer Generation bewältigt werden? Wie soll etwa der Pkw-Verkehr reduziert werden, wenn wir nicht massiv in Bahnen und Busse investieren? Der Klimawandel verdeutlicht, dass die Unterlassung von Investitionen weitaus teurer sein wird, als ein wenig Neuverschuldung mehr hinter dem Komma.

Wir brauchen daher wieder eine Goldene Regel der Finanzpolitik wie sie einst in Deutschland existierte. Demnach wäre wieder eine Kreditaufnahme in Höhe der öffentlichen Investitionen zulässig. Selbstverständlich sollte die Schuldenbremse nicht abgeschafft werden, um etwa großen Unternehmen die Steuern zu senken. Denn Steuersenkungen für Konzerne erhöhen nur deren Gewinne und nicht die Investitionen, belasten aber auch die zukünftigen Generationen. Wer Staatsverschuldung wirksam begrenzen will, sollte nicht Investitionen unterlassen, sondern Mega-Vermögen und Erbschaften wirksam besteuern.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%