Fragwürdig ist auch die Verbindung, die Sinn zwischen angeblicher fiskalischer Disziplin und starkem Wachstum in den USA herstellt. Denn die amerikanische Bundesregierung ist nicht nur eine riesige „Transfermaschine“, sondern auch eine „Schuldenmachmaschine“. Amerikanische Präsidenten aller politischer Couleur von Roosevelt bis Reagan haben in einem enormen Umfang Schulden gemacht. Dem stehen Perioden nahezu ausgeglichener Haushalte in anderen Zeiten gegenüber.
Wie die Euroländer über das dritte Hilfsprogramm entscheiden
Der Bundestag wird an diesem Freitag in einer Sondersitzung über die Aufnahme von Verhandlungen entscheiden - wenn Athen bis dahin alle Bedingungen erfüllt hat. Aus Kreisen der Unionsfraktion hieß es am Montag, der Beginn der Sitzung sei für 10 Uhr geplant. Nach Abschluss der Verhandlungen müssen die Abgeordneten auch noch über das ESM-Hilfspaket abstimmen, bevor es in Kraft treten kann. Trotz Unmuts in der Union wird mit einer breiten Zustimmung des Bundestags zur Aufnahme der Gespräche gerechnet, da auch weite Teile der Opposition dafür sind.
Dort hat der Parlamentsausschuss für EU-Angelegenheiten dem Finanzminister das Mandat für förmliche ESM-Verhandlungen bereits erteilt. Ein mögliches Hilfspaket für Griechenland bedarf nach Angaben des Finanzministeriums der Zustimmung des gesamten Parlaments. Der Baltenstaat hatte sich für harte Spar- und Reformschritte Athens ausgesprochen.
In Finnland entscheidet das Grand Committee, ein besonderer Parlamentsausschuss, über die Aufnahme von neuen Verhandlungen. In Finnland bestehen noch die größten Zweifel, die Regierung wollte sich noch nicht festlegen.
Staatspräsident François Hollande hat noch in Brüssel eine Debatte in der französischen Nationalversammlung für Mittwoch in Aussicht gestellt. Regierungschef Manuel Valls bekräftigte diesen Zeitplan in Paris. Hollande hat sich vehement für einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone eingesetzt, die Stimmung ist unaufgeregt.
Eine Zustimmung des Parlaments zu Finanzhilfen für Griechenland ist nicht zwingend vorgeschrieben. Sie wäre nur dann erforderlich, wenn beispielsweise das Volumen des Euro-Rettungsfonds ESM ausgeweitet werden sollte und sich dadurch Auswirkungen auf den luxemburgischen Staatshaushalt ergeben könnten. Die Stimmung ist für ein weiteres Hilfspaket.
Die Zustimmung des Parlaments der Niederlande ist zwar für die Aufnahme der Verhandlungen nicht zwingend erforderlich. Aber die Regierung hat gegenüber der Zweiten Kammer des Parlaments eine Informationspflicht. Eine Debatte zumindest mit den Finanzexperten der Fraktionen ist für Mittwoch 13.30 bis 16.30 Uhr geplant. Dazu werden diese aus dem Urlaub zurückgerufen. Möglicherweise wird das aber auf Donnerstag verschoben, weil man erst die Zustimmung Athens abwarten will.
Das Parlament in Wien könnte trotz Sommerpause am Donnerstag oder Freitag zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Österreichs Regierung ist grundsätzlich zu einem neuen Hilfspaket bereit. Voraussetzung ist, dass das Parlament in Athen die von den Euro-Partnern verlangten Reformen absegnet. Für ein neues Hilfspaket wäre in Österreich die Zustimmung einer Zwei-Drittel-Mehrheit des Parlaments erforderlich. Allerdings könnte sich die Regierung das grüne Licht dafür auch in einem Dringlichkeitsverfahren vom ständigen ESM-Unterausschuss des Parlaments geben lassen.
Die Abgeordneten müssen einem neuen Hilfspaket zustimmen, aber nicht über die Aufnahme von Verhandlungen. In Lissabon ist die Sorge am größten, dass eine Pleite Griechenland oder gar ein Ausstieg aus der Eurozone eine Ansteckungsgefahr bedeuten würde.
Das Parlament braucht einer ESM-Hilfe für Griechenland nicht zuzustimmen. Die slowakische Regierung habe für den ESM ein freies Verhandlungsmandat. Die Stimmung ist sehr kritisch, weil selbst sehr hart gespart wurde, deshalb wird das auch von Athen verlangt.
Nach Darstellung des Finanzministerium vom Montag muss das Parlament in Slowenien nun doch nicht zustimmen, weil es nun um ein Hilfspaket des Eurorettungsschirm ESM geht. Dieser ESM-Mechanismus ist bereits genehmigt vom Parlament. Finanzminister Dusan Mramor hat jedoch eine enge Zusammenarbeit mit der Volksvertretung angekündigt. Da das Land verglichen mit seiner Größe die größte Last an Krediten und Garantien schultern würde, herrscht auch hier Skepsis vor.
Die Aufnahme der ESM-Verhandlungen muss nicht vom Parlament bestätigt werden, ein neues Paket dagegen schon. In Spanien wird auf eigene großen Anstrengungen verwiesen, das müsse auch für Griechenland gelten.
Offensichtlich hat diese zyklische Ausdehnung der Schuldenlast der langfristigen ökonomischen Entwicklung der USA nicht geschadet. Im Gegenteil: Sinn weist ja gerade auf die Stärke des amerikanischen Wachstums hin. Offensichtlich führt eine defizitfinanzierte Ausweitung der Staatsausgaben eben nicht zu einer Fehlallokation von ökonomischen Ressourcen und damit zu einem Abfall von Wachstum und Produktivität. Stattdessen trägt die Stützung der Nachfrage in Krisenzeiten zu einer stärkeren ökonomischen Performance bei, ohne die Stabilität der Währung oder der Staatsfinanzen zu schwächen.
Die heutige Situation Europas zeigt deutlich, dass eine stärkere Zentralregierung mit eigenem Budget dringend notwendig ist. Diejenigen europäischen Staaten, die Konjunkturprogramme am dringendsten benötigen, können diese wegen fiskalischer Zwänge nicht einleiten. Im Übrigen würden solche Programme in den Krisenstaaten es auch noch schwieriger machen, die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den europäischen Staaten einzuebnen, weil die Löhne in den Krisenstaaten durch die konjunkturelle Erholung wieder anziehen würden.
Stattdessen müsste man gerade in den Teilen Europas, die nicht in der Krise stecken, die Konjunktur mit Defizitausgaben weiter anheizen, am besten etwas überheizen. Damit gäbe es Wachstum überall in Europa und Kostensteigerungen in den Nicht-Krisenregionen, die es den krisengeplagten Regionen erlauben würde, die Kostenlücke ohne interne Deflation zu schließen.
Man kann aus der Wirtschaftsgeschichte viel über die aktuelle Krise lernen, aber Sinns Darstellung der amerikanischen Gegebenheiten ist zu selektiv, um informativ zu sein. Idealisierende Darstellungen der historischen Realität Amerikas haben in Deutschland eine große literarische Tradition. Doch wenn es nicht um den Schatz im Silbersee geht, sondern um die ökonomische Zukunft Europas, sollte man sich vor „deutschen“ Versionen der amerikanischen Vergangenheit hüten. Es bleibt zu hoffen, dass sich Wolfgang Schäuble im letzten Moment doch noch auf die Lektürevorschläge aus Amerika besinnt. Die Zeit drängt.