Schuldenkrise Wolfgang Schäuble lernt aus dem falschen Geschichtsbuch

Finanzminister Wolfgang Schäuble lehnt Transfers nach Südeuropa ab. Soweit es innerhalb eines Währungsraums Regionen mit unterschiedlicher ökonomischer Entwicklung gibt, sind Transfers aber – das lehrt die Geschichte – ökonomisch unvermeidlich.

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Die deutschen Protagonisten im Krisen-Countdown
Wolfgang Schäuble: Der RealistDer Bundesfinanzminister (CDU) spricht von „gegenseitigem Vertrauen“ und von „anstrengenden“ Verhandlungen mit Griechenland. Er will das Land im Euro halten, er sagt aber auch zu einem möglichen Grexit: Das sei eine “Entscheidung des griechischen Volkes“. So klingt einer, der einen Grexit nicht mehr für eine Katastrophe hält. Quelle: AP
Angela Merkel: Die VerhandlerinDie Bundeskanzlerin pflegt ihre Marke und vermeidet öffentliche Aussagen zu Griechenland. Wenn sie etwas sagt, steht sie fest zu Griechenland im Euro-Raum. Alles andere verbietet sich. Dabei setzt die Kanzlerin weiter auf die Kraft der Verhandlungen - im Zweifel auch ohne den griechischen Ministerpräsidenten. Beim Treffen von IWF, EZB, Jean-Claude Juncker und Francoise Hollande Anfang der Woche blieb Tsipras außen vor. Quelle: AP
Sigmar Gabriel: Der VorsichtigeDer Bundeswirtschaftsminister (SPD) hält sich mit öffentlicher Kritik an Griechenland zurück, sieht den Ball aber nun in Athen. Die Gläubiger hätten ihre Vorschläge gemacht. „Es hängt jetzt von Griechenland ab", so Gabriel. Gleichzeitig warnte er vor „gigantischen“ Konsequenzen einer Insolvenz. Die Wahrheit sei: "Wenn der erste Stein aus dem europäischen Haus herausbrechen würde, dass dann Europa in einem anderen Aggregatzustand wäre." Quelle: dpa
Jens Weidmann: Der MahnerDer Bundesbank-Präsident ist der Mahner der Bundesregierung. Er macht hinter den Kulissen Druck. Vor allem die Bankenfinanzierung in Athen macht ihm Sorgen. Denn die griechische Zentralbank hilft den klammen Geschäftsbanken im Land mit Notfallkrediten, um sie mit Liquidität versorgen. Doch mit dem Geld kaufen die Banken vor allem kurzlaufende Staatsanleihen oder verlängern diese – das gleicht einer monetären Staatsfinanzierung. Weidmann warnt vor einer Destabilisierung des Finanzsystems und fordert, dass Banken Staatsanleihen künftig mit Eigenkapital in der Bilanz absichern müssen. Quelle: dpa
Martin Schulz: Der UngeduldigeEr ist kein direkt Beteiligter, aber einer, der Tacheles redet. Griechenland habe gegenüber Europa „eine Bringschuld“, so Schulz, „weil es viel Solidarität von der EU erfahren hat". Deshalb müsse Athen Reformen voranbringen, bei der Reform seiner Wirtschaft und öffentlichen Verwaltung, bei einer gerechteren Verteilung der Lasten, besonders auch bei der Besteuerung der großen griechischen Vermögen. Dann wird der SPD-Politiker noch deutlicher: "Leider sehen wir da bisher noch nicht das, was sich viele auch in Griechenland vorgestellt haben." Quelle: dpa
Bernd Riexinger: Der VerteidigerDer Linken-Chef nimmt seinen Parteifreund Tsipras aus Griechenland in Schutz. Schuld an der Misere seien die alten Eliten und Vorgängerregierungen. Die Linke fordert einen Schuldenschnitt und mehr Zeit für Reformen. Entlastung der kleinen Leute müsse durch eine Millionärssteuer finanziert werden. Zudem müsse Deutschland „die Zwangsanleihe, die Nazi-Deutschland Griechenland abgepresst hat“ zurückzahlen. Quelle: dpa
Simone Peter: Die VerständnisvolleGrünen-Parteichefin Simone Peter forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf, den Konfrontationskurs gegenüber der griechischen Regierung zu beenden. "Es geht nicht um Gewinnen oder Verlieren, sondern um einen guten Kompromiss, der Griechenland endlich wieder Luft zum Atmen gibt und mit sozial-ökologischen Investitionen das Wirtschaftswachstum ankurbelt." Quelle: dpa

Aus der Wirtschaftsgeschichte kann man viel lernen. Das gilt auch für die aktuelle Schuldenkrise. Das geht aber nur, wenn man auch das richtige Geschichtsbuch liest. Die amerikanische Regierung hat das schon lange erkannt: Bereits 2013 schenkte der amerikanische Finanzminister Jack Lew seinem deutschen Amtskollegen eine Biographie von Alexander Hamilton. Es war ein Wink mit dem Zaunpfahl.

Im späten 18. Jahrhundert löste Hamilton die Schuldenkrise der amerikanischen Bundesstaaten nach der Revolution durch die Kollektivierung der Schulden und den Aufbau einer starken Bundesregierung. Doch leider scheint Schäuble die Lektürevorschläge seines amerikanischen Kollegen ignoriert zu haben. Stattdessen orientiert er sich in seiner Europapolitik an einer deutschen Version der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte, die in Hans-Werner Sinns Buch „The Euro trap. On bursting bubbles, budgets, and beliefs“ (OUP, 2014) zu finden ist.

Zur Person

Eines der letzten Kapitel von Sinns Streitschrift trägt den Titel „Learning from the United States“. Das hört sich bescheiden und weise an. Doch Sinns Version der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte ist eine ganz eigene. Er argumentiert, dass die Vereinigten Staaten als föderaler Staat mit gemeinsamer Währung deswegen stabil geblieben sind, weil es keine Vergemeinschaftung von Schulden gebe. Einzelstaaten oder andere Gebietskörperschaften, die zahlungsunfähig werden, können nicht auf Hilfe durch die Bundesregierung oder andere Staaten hoffen. Die von Sinn gefürchteten interregionalen Transfers finden nicht statt und auf diese Weise werden die Einzelstaaten zu Haushaltsdisziplin angehalten. So können sich beispielsweise die Bürger von Athens, Georgia nicht generöse Sozialleistungen genehmigen in der Hoffnung bei späteren Zahlungsschwierigkeiten durch die Einwohner von Berlin, New Hampshire, gerettet zu werden.

Florian Schui Quelle: Erwin Elsner, Picture Alliance

Durch diese Finanzarchitektur sei es nicht nur gelungen, fiskalische Disziplin durchzusetzen. Das Verbot von finanziellen Rettungsaktionen habe auch zu den hohen Wachstumsraten der Vereinigten Staaten beigetragen. Sinn greift hier auf das klassische „Crowding-Out“-Argument zurück: Schuldenfinanzierte öffentliche Ausgaben unterliegen nicht den gleichen Rentabilitätszwängen wie private Investitionen. Dadurch werden die knappen volkswirtschaftlichen Ressourcen nicht mehr dahin gelenkt, wo sie die höchste Rendite erwirtschaften. Die Marktwirtschaft ist partiell ausgeschaltet und Wachstum und Produktivität leiden.

"Drittes Programm ist mehr als großzügig"
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Quelle: dpa
Donald Tusk Quelle: dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: dpa
Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel Quelle: dpa
Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras Quelle: dpa
Frankreichs Präsident François Hollande Quelle: REUTERS
Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Quelle: dpa

Sinns These ist theoretisch kohärent, entspricht jedoch nicht der wirtschaftshistorischen Realität in den Vereinigten Staaten. Vor allem übersieht er die erheblichen interregionalen Transfers, die durch die Bundesregierung vorgenommen werden. Das geschieht vor allem durch bundesweit existierende Programme für Sozialleistungen und durch die Militärausgaben. Die Sozialausgaben des Bundes sind primär dazu bestimmt Ressourcen von wohlhabenderen Steuerzahlern zu bedürftigen Wohlfahrtsempfängern umzuverteilen. Doch das ist häufig auch gleichbedeutend mit regionalen Transfers aus wohlhabenden Teilen der USA in ärmere. Dieses Phänomen tritt in dieser Form überall auf, wo es landesweite Sozialprogramme gibt.

Von Athen nach Athens

Ein großer Teil der Transfers von West- nach Ostdeutschland und zwischen anderen Teilen Deutschlands geschieht in dieser Form. Der Effekt der Militärausgaben ist ähnlich: Das Militärbudget wird von allen amerikanischen Steuerzahlern bestritten, Militärbasen und Aufträge des Militärs werden aber häufig gezielt in strukturschwache Gebiete geleitet.

Das heißt die Bürger in Athens, Georgia, könnten unter Umständen durchaus umfangreich auf Kosten der Steuerzahler in Berlin, New Hampshire, Güter und Dienstleistungen konsumieren.  Der Unterschied zur europäischen Situation liegt darin, dass interregionale Transfers in den USA zwar stattfinden aber nicht als solche etikettiert sind und auch politisch akzeptierter sind. Es ist jedoch entscheidend zu begreifen, dass es sich hier nicht um ein ökonomischen, sondern um einen politischen Unterschied handelt.

 

Das sagen Analysten zur Lage Griechenlands

Das lässt sich gut an einem aktuellen Beispiel sehen: Dem US-Territorium Puerto Rico droht im Moment die Zahlungsunfähigkeit. Ganz in Sinne Sinns wird es hier tatsächlich keinen direkten Bailout durch die Bundesregierung oder eine andere amerikanische Institution geben. Es gibt aber erhebliche Transfers durch föderale Sozialleistungen und ein Absinken der Zahlungen Puerto Ricos an den Bundeshaushalt. Darüber hinaus werden die Zahlungsschwierigkeiten wie eine echte Insolvenz behandelt, das heißt, die Gläubiger werden einen Teil ihrer Forderungen an Puerto Rico abschreiben müssen. Im Fall von Griechenland wären das vor allem deutschen und französische Banken gewesen.

Soweit es innerhalb eines Währungsraums Regionen mit unterschiedlicher ökonomischer Entwicklung gibt, sind Transfers ökonomisch unvermeidlich. Die Frage ist, ob diese von der Bevölkerung als politisch legitim empfunden werden so wie in den USA oder ob sie sich als politische explosiv erweisen, so wie in Europa.

In den USA ist es gelungen einen stabile Währung mit einer föderalen politischen Ordnung zu verbinden. Das ist aber nicht deswegen gelungen, weil es keine interregionalen Transfers gibt, sondern weil man einen Weg gefunden hat, solche Transfers politisch akzeptabel zu machen. Das liegt zum einen am Gefühl der nationalen Einheit, das in etablierten Nationalstaaten solche Transfers eher erlaubt, als in neuen politischen Gebilden, wie dem Euroraum. Noch entscheidender ist aber, dass in den USA die Zentralregierung, die die Transfers vornimmt, demokratisch legitimiert ist. Die interregionalen Transfers in den USA sind deswegen politisch akzeptabel, weil sie von einer demokratisch gewählten Bundesregierung durchgeführt werden und amerikanische Steuerzahler in Athens, Georgia, und in Berlin, New Hampshire, in dieser Weise gemeinsam über Transfers und Budgetfragen entscheiden. Eine solche Instanz fehlt in Europa. Der Euro braucht keine Insolvenzordnung für Mitgliedsstaaten oder Regelungen für eine „Trennung auf Zeit“ vom Euro, so wie sie zur Zeit vom deutschen Finanzministerium vorgeschlagen werden, sondern eine demokratische gewählte europäische Regierung, in der griechische und deutsche Wähler gemeinsam über die fiskalische Zukunft Europas entscheiden. Die Vorschläge des französischen Präsidenten Hollande gehen da in die richtige Richtung.

 

Die amerikanische "Schuldenmachmaschine"

Fragwürdig ist auch die Verbindung, die Sinn zwischen angeblicher fiskalischer Disziplin und starkem Wachstum in den USA herstellt. Denn die amerikanische Bundesregierung ist nicht nur eine riesige „Transfermaschine“, sondern auch eine „Schuldenmachmaschine“. Amerikanische Präsidenten aller politischer Couleur von Roosevelt bis Reagan haben in einem enormen Umfang Schulden gemacht. Dem stehen Perioden nahezu ausgeglichener Haushalte in anderen Zeiten gegenüber.

Wie die Euroländer über das dritte Hilfsprogramm entscheiden

Offensichtlich hat diese zyklische Ausdehnung der Schuldenlast der langfristigen ökonomischen Entwicklung der USA nicht geschadet. Im Gegenteil: Sinn weist ja gerade auf die Stärke des amerikanischen Wachstums hin. Offensichtlich führt eine defizitfinanzierte Ausweitung der Staatsausgaben eben nicht zu einer Fehlallokation von ökonomischen Ressourcen und damit zu einem Abfall von Wachstum und Produktivität. Stattdessen trägt die Stützung der Nachfrage in Krisenzeiten zu einer stärkeren ökonomischen Performance bei, ohne die Stabilität der Währung oder der Staatsfinanzen zu schwächen.

Die heutige Situation Europas zeigt deutlich, dass eine stärkere Zentralregierung mit eigenem Budget dringend notwendig ist. Diejenigen europäischen Staaten, die Konjunkturprogramme am dringendsten benötigen, können diese wegen fiskalischer Zwänge nicht einleiten. Im Übrigen würden solche Programme in den Krisenstaaten es auch noch schwieriger machen, die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den europäischen Staaten einzuebnen, weil die Löhne in den Krisenstaaten durch die konjunkturelle Erholung wieder anziehen würden.

Stattdessen müsste man gerade in den Teilen Europas, die nicht in der Krise stecken, die Konjunktur mit Defizitausgaben weiter anheizen, am besten etwas überheizen. Damit gäbe es Wachstum überall in Europa und Kostensteigerungen in den Nicht-Krisenregionen, die es den krisengeplagten Regionen erlauben würde, die Kostenlücke ohne interne Deflation zu schließen.

Man kann aus der Wirtschaftsgeschichte viel über die aktuelle Krise lernen, aber Sinns Darstellung der amerikanischen Gegebenheiten ist zu selektiv, um informativ zu sein. Idealisierende Darstellungen der historischen Realität Amerikas haben in Deutschland eine große literarische Tradition. Doch wenn es nicht um den Schatz im Silbersee geht, sondern um die ökonomische Zukunft Europas, sollte man sich vor „deutschen“ Versionen der amerikanischen Vergangenheit hüten. Es bleibt zu hoffen, dass sich Wolfgang Schäuble im letzten Moment doch noch auf die Lektürevorschläge aus Amerika besinnt. Die Zeit drängt.

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