




Aus der Wirtschaftsgeschichte kann man viel lernen. Das gilt auch für die aktuelle Schuldenkrise. Das geht aber nur, wenn man auch das richtige Geschichtsbuch liest. Die amerikanische Regierung hat das schon lange erkannt: Bereits 2013 schenkte der amerikanische Finanzminister Jack Lew seinem deutschen Amtskollegen eine Biographie von Alexander Hamilton. Es war ein Wink mit dem Zaunpfahl.
Im späten 18. Jahrhundert löste Hamilton die Schuldenkrise der amerikanischen Bundesstaaten nach der Revolution durch die Kollektivierung der Schulden und den Aufbau einer starken Bundesregierung. Doch leider scheint Schäuble die Lektürevorschläge seines amerikanischen Kollegen ignoriert zu haben. Stattdessen orientiert er sich in seiner Europapolitik an einer deutschen Version der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte, die in Hans-Werner Sinns Buch „The Euro trap. On bursting bubbles, budgets, and beliefs“ (OUP, 2014) zu finden ist.
Zur Person
Florian Schui, geboren 1973, lehrte und forschte an zahlreichen Instituten, darunter die University of Cambridge und die University of London, über die Geschichte ökonomischer Ideen und die Wirtschaftsgeschichte Europas. Er veröffentlichte vielbeachtete Bücher, u.a. über das Preußische Bürgertum und Friedrich II. und den Diskurs über Industrialisierung zu Voltairs Zeiten. Im Oktober 2014 erschien sein jüngstes Buch: „Austerität: Politik der Sparsamkeit: Die kurze Geschichte eines großen Fehlers“. Heute ist Schui an der Universität St. Gallen tätig.
Eines der letzten Kapitel von Sinns Streitschrift trägt den Titel „Learning from the United States“. Das hört sich bescheiden und weise an. Doch Sinns Version der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte ist eine ganz eigene. Er argumentiert, dass die Vereinigten Staaten als föderaler Staat mit gemeinsamer Währung deswegen stabil geblieben sind, weil es keine Vergemeinschaftung von Schulden gebe. Einzelstaaten oder andere Gebietskörperschaften, die zahlungsunfähig werden, können nicht auf Hilfe durch die Bundesregierung oder andere Staaten hoffen. Die von Sinn gefürchteten interregionalen Transfers finden nicht statt und auf diese Weise werden die Einzelstaaten zu Haushaltsdisziplin angehalten. So können sich beispielsweise die Bürger von Athens, Georgia nicht generöse Sozialleistungen genehmigen in der Hoffnung bei späteren Zahlungsschwierigkeiten durch die Einwohner von Berlin, New Hampshire, gerettet zu werden.

Durch diese Finanzarchitektur sei es nicht nur gelungen, fiskalische Disziplin durchzusetzen. Das Verbot von finanziellen Rettungsaktionen habe auch zu den hohen Wachstumsraten der Vereinigten Staaten beigetragen. Sinn greift hier auf das klassische „Crowding-Out“-Argument zurück: Schuldenfinanzierte öffentliche Ausgaben unterliegen nicht den gleichen Rentabilitätszwängen wie private Investitionen. Dadurch werden die knappen volkswirtschaftlichen Ressourcen nicht mehr dahin gelenkt, wo sie die höchste Rendite erwirtschaften. Die Marktwirtschaft ist partiell ausgeschaltet und Wachstum und Produktivität leiden.





Sinns These ist theoretisch kohärent, entspricht jedoch nicht der wirtschaftshistorischen Realität in den Vereinigten Staaten. Vor allem übersieht er die erheblichen interregionalen Transfers, die durch die Bundesregierung vorgenommen werden. Das geschieht vor allem durch bundesweit existierende Programme für Sozialleistungen und durch die Militärausgaben. Die Sozialausgaben des Bundes sind primär dazu bestimmt Ressourcen von wohlhabenderen Steuerzahlern zu bedürftigen Wohlfahrtsempfängern umzuverteilen. Doch das ist häufig auch gleichbedeutend mit regionalen Transfers aus wohlhabenden Teilen der USA in ärmere. Dieses Phänomen tritt in dieser Form überall auf, wo es landesweite Sozialprogramme gibt.