Schule Lasst die i-Dötzchen zu Innovatoren werden

Wie viel sollten Schüler über Digitalisierung lernen? Quelle: dpa

Der „Ernst des Lebens“ beginnt in Deutschland noch immer analog. Digitale Geräte werden vorm Schultor ausgesperrt, statt den Kindern früh den Umgang damit beizubringen. Das neue Schuljahr sollte genutzt werden für mehr Wagemut. Ein Gastbeitrag.

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Mein Sohn ist sechs Jahre alt, er wird jetzt eingeschult. Als ich ihn im vergangenen Jahr für die erste Klasse angemeldet habe, musste ich mehrere Papiere ausfüllen – der Start in den „Ernst des Lebens“, er beginnt in Deutschland auch im Jahr 2021 noch immer analog.

Auf einem dieser vielen Zettel ging es um die Schulregeln, die ich unterschreiben musste: Handys und andere mobile Geräte sind auf dem Schulgelände nicht erlaubt. Aber wird das Problem damit nicht nur noch größer?

Statt die Digitalisierung quasi am Schultor auszusperren, sollten wir sie doch lieber zum Pflichtfach machen für die Kinder. Wo, wenn nicht in der Schule, lernen sie den Umgang mit der digitalen Welt. Etwa, dass dort die gleichen Werte und Regeln gelten wie in der analogen. Unsere Kinder werden es sein, die die Maschinen und Netze der Zukunft entwerfen und bauen. Darauf sollten wir sie vorbereiten.

Die Bedürfnisse des industriellen Zeitalters prägen jedoch bis heute das, was unsere Kinder in der Schule lernen. Längst aber haben wir Roboter, die viele dieser maschinellen Jobs übernehmen oder künftig übernehmen werden. Rund 85 Millionen Arbeitsplätze werden in mittleren und großen Unternehmen bis 2025 durch die zunehmende Automatisierung und Digitalisierung zerstört, heißt es in einer Studie des World Economic Forums (WEF) von 2020. Die Autorinnen und Autoren sprechen darin von einer „doppelten Disruption“, auf die sich Arbeitnehmende und Unternehmen einstellen müssen – denn bedingt durch die Pandemie werde das Tempo des Umbruchs noch einmal mehr beschleunigt.

Doch wo Altes zerstört wird, ist Platz für Neues: Rund 97 Millionen Jobs würden auf der anderen Seite durch die Digitalisierung entstehen, heißt es in der WEF-Studie. Ingenieurkunst und Programmierfähigkeiten allein werden aber nicht ausreichen, um in dieser neuen Welt zu bestehen. Sondern gebraucht wird ebenso emotionale Intelligenz. Das aber haben wir leider viel zu oft vergessen. Ich möchte nicht, dass meine Kinder zu Fachidioten ausgebildet werden. Diese Fachidioten baue ich mir als Robotikexpertin schon selbst: Sie heißen künstliche Intelligenzen.

Eine künstliche Intelligenz (KI) kann eine Tätigkeit sehr gut ausführen. Sie wird sogar dafür programmiert, sich selbst immer weiter zu optimieren, Minute für Minute. Egal, wie sehr der Mensch sich bemüht, die KI wird bei einer solchen einzelnen Aufgabe immer besser sein. Aber der Mensch hat wiederum einen Vorteil: Er kann viele Aufgaben gleichzeitig beherrschen. Er kann mit Chaos sehr gut umgehen. Der Mensch hat ein Selbstbewusstsein, er ist kreativ, empathisch, sozial und eigenmotiviert. Das sind die Fähigkeiten, die eine Maschine nicht hat, und genau darauf sollten wir aufbauen – denn diese Eigenschaften werden im Arbeitsmarkt der Zukunft umso mehr gefragt sein.

Wie groß die Veränderung sein wird, lehrt der historische Rückblick: In der industriellen Revolution wurden die körperlichen Tätigkeiten von den Maschinen übernommen, sodass sich die Menschen mehr auf ihre kognitiven Fähigkeiten konzentrieren konnten. In der digitalen Revolution werden diese kognitiven Leistungen nun wiederum, zumindest für einen gewissen Teil, von den künstlichen Intelligenzen übernommen. Keine Frage, Fachwissen ist und bleibt wichtig – aber darüber hinaus wird interdisziplinäres Denken unerlässlich.

Warum damit also nicht schon in der Schule beginnen? Lehrkräfte für Kunst laden Ingenieurinnen und Ingenieure ein. Musikerinnen und Musiker kommen im Mathematikunterricht vorbei. Und Managerinnen und Manager geben Input im Sachkundeunterricht. Neugierde aufeinander, Lernen voneinander, das könnten die Schülerinnen und Schüler in solchen bisher ungewöhnlichen Kombinationen lernen. Es ist der beste Nährboden, auf dem Innovationen gedeihen können.

In Deutschland wird oft der perfekte Plan erwartet. Das Risiko des Scheiterns wird ausgerechnet, bevor losgelegt werden darf mit neuen Ideen. Doch diese Zeit bleibt nicht mehr. Schon heute droht Deutschland den Anschluss zu verlieren, wenn es um den Einsatz neuer Technologien und die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes geht. Ich würde mir deshalb mehr Selbstvertrauen wünschen, bereits in der Schule neue Ideen auszuprobieren.

Das Schultor sollte deshalb nicht nur geöffnet werden für die digitalen Geräte, sondern auch für all die Fähigkeiten, die im Umgang mit ihnen wichtig sind. Dafür aber braucht es Selbstbewusstsein: von den Kultusministerinnen und -ministern, den Lehrkräften und nicht zuletzt von den Eltern selbst. An den Kindern wird es gewiss nicht scheitern.

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Wenn sich in diesen Tagen die Schulhöfe füllen mit den Erstklässlerinnen und Erstklässlern, bringen sie all die Eigenschaften mit, die es in der digitalen Arbeitswelt braucht: Mut, Neues zu wagen. Interesse an anderen. Den Wunsch zu lernen und zu entdecken. Wenn wir die kleinen Innovatorinnen und Innovatoren nicht ausbremsen, sondern fördern, dann ist das die beste Voraussetzung für ihren Start ins Schulleben – und die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland.

Mehr zum Thema: In der Schule lernen Kinder fürs Leben. Heißt es. Sie lernen lesen, schreiben und rechnen. Sie lernen aber nicht, eine Steuererklärung zu machen, einen Mietvertrag zu lesen oder wie sie Geld anlegen. Denkt Schule hier nicht etwas einseitig?

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