Michael Lorenz ist Lehrer für Mathematik und Physik an einer nordhessischen Gesamtschule. Und er ist wütend, daraus macht er keinen Hehl. Wütend über die Bildungspolitik und was sie im Schulsystem anrichtet. "Viele Kollegen haben resigniert und sich mit den Verhältnissen abgefunden, aber dafür bin ich vielleicht noch nicht lange genug dabei". Der 55-Jährige trat erst vor elf Jahren in den Schuldienst und war zuvor selbstständiger Kaufmann.
So wütend ist Lorenz, dass er tut, was sich die meisten Kollegen nicht trauen. Er sucht den Weg in die Öffentlichkeit, macht in Weblogs unter eigenem Namen auf das aufmerksam, was an deutschen Schulen falsch läuft: Während Bildungspolitiker den schönen Schein immer besserer Notenschnitte und steigender Abiturientenzahlen als Erfolg verkauften, sinke der tatsächliche Bildungsstand der Schüler.
Ein riesiger Selbstbetrug
"Ich hatte in der Abschlussarbeit für Realschüler in Physik eine Schülerin, die mich fragte, wie viel Zentimeter ein Meter habe", erzählt Lorenz. "Nach einem Jahr Bruchrechnung in Klassenstufe Sieben konnte mir in einem Förderkurs nur ein einziger Schüler sagen, was rauskommt, wenn man vier durch fünf teilt."
Ein Düsseldorfer Oberstudienrat, der anonym bleiben will, hat in seinen Fächern Geschichte, Englisch und Französisch ähnliche Erfahrungen gemacht: "Ein riesengroßer Selbstbetrug läuft an unseren Schulen. Weil die Noten immer besser werden, redet man sich ein, dass auch die Schüler immer besser werden."
Lehrer sind nur Kostenfaktor
Doch in all den aufgeregten Bildungsdebatten, dem so genannten PISA-Schock, sind solche Stimmen aus der Praxis kaum vernehmbar. Der Diskurs wird geprägt von einem Amateur-Philosophen namens Richard David Precht, einem zweifelhaften Hirnforscher namens Gerald Hüther und vor allem den empirischen Bildungsforschern und Bildungsökonomen, die in regelmäßigen Abständen mit neuen Ranglisten der so genannten "Kompetenzen" aufwarten. Die rund 800.000 Lehrer spielen dabei allenfalls eine Statistenrolle: Als Kostenfaktor in den Budgets und Rädchen im Getriebe der in immer kürzeren Abständen reformierten Schulsysteme. Lehrer werden als neutral für den Erfolg des pädagogischen Systems angesehen. So als ob weder ihre Ausbildung, noch ihre Motivation und erst recht nicht ihre Arbeitsbelastung für den Bildungserfolg der Schüler eine Rolle spielte.
Ohne dass es in der Öffentlichkeit zu irgendwelchen Diskussionen gekommen wäre, hat die Arbeitsbelastung für Lehrer in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Seit 2002 haben die meisten Bundesländer das Unterrichtsdeputat der Lehrer um eine Schulstunde angehoben. In Baden-Württemberg zum Beispiel unterrichten Studienräte in Vollzeit nun 25 statt 24 Stunden pro Woche.