Schulpolitik Das Elend der Lehrer

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Lehrer als Servicekräfte

Das können die deutschen Grundschüler
Mit ihren Zeugnissen in den Händen jubeln Schüler der 4. Klasse in der Antonius-Grundschule im niederrheinischen Neukirchen-Vluyn Quelle: dpa/dpaweb
Ein Schüler einer Grundschule in Heiligenhaus nahe Düsseldorf schreibt einige Zeilen aus einem Buch ab Quelle: dpa/dpaweb
Im Deutschunterricht einer dritten Klasse an der Erich-Kästner-Grundschule in Frankfurt (Oder) blättert die neunjährige Janina in einem Buch Quelle: dpa
Eine Schuelerin der Sankt Paulus Grundschule in Berlin Moabit steht bei einem Schreibtest am Donnerstag, 12. August 2004, an der Tafel. Quelle: AP
 Lehrerin Petra Baumann steht (Bild vom 16.10.2003) vor der dritten Klasse der Leverkusener Remigiusschule und bringt den Kindern spielerisch die englische Sprache bei. Quelle: dpa/dpaweb
Schüler der St. Suitbertus Montessori Grundschule in Heiligenhaus nahe Düsseldorf nehmen am Englisch-Unterricht teil Quelle: dpa/dpaweb
Eine Schülerin der St. Suitbertus Montessori Grundschule in Heiligenhaus nahe Düsseldorf meldet sich Quelle: dpa

   

Aber es sind nicht nur politisch gewollte Zusatzbelastungen, die die Unterrichtskraft der Lehrer schwächen. Dazu kommt eine wachsende Anspruchshaltung von Schülern und Eltern an die Erreichbarkeit. Ein besonders nervenaufreibendes und zeitraubendes Phänomen, das Lehrer von ihren eigentlichen pädagogischen Aufgaben abhält, sind die in den letzten Jahren anscheinend zahlreicher werdenden "Helikoptereltern". Übereifrige Eltern, die beschützend und kontrollierend über ihren Kindern kreisen und die Lehrer als Servicekräfte eines Dienstleistungsunternehmens betrachten, in dem ihr Kind gefälligst nach allerneuesten Methoden und mit Erfolgsgarantie auf den Weg zu einer Glanzkarriere gebracht werden soll. Lehrer Lorenz berichtet zum Beispiel vom Vater einer Schülerin, die weder besonders gute noch besonders schlechte Noten hatte und nicht den geringsten Anlass für ein Elterngespräch bot. "Der Mann, ein Psychologe, brachte eine Menge Unterlagen mit und wollte mir erklären, wie mein Beruf funktioniere. Für seine Tochter sei Frontalunterricht ganz schlecht."

Zeitaufwändiges "Allheilmittel"

Viele bildungspolitische Neuerungen der letzten Zeit schaffen solchen Helikopter-Eltern – vermutlich nicht ungewollt, denn es sind schließlich Wähler mit besonderem Augenmerk auf Bildungspolitik – zusätzliche Eingriffsmöglichkeiten und torpedieren die Autorität der Lehrer. 

Zum Beispiel das in keiner bildungspolitischen Sonntagsrede fehlende Allheilmittel "individuelle Förderung". Es klingt für Eltern – also Wähler – überzeugend, wenn ihr Kind bei Problemen in den Genuss besonderer Maßnahmen kommt. Doch die individuelle Schulrealität ist ernüchternd.

Was Schüler in der neunten Klasse können sollen

In Hessen zum Beispiel müssen Lehrer jedem Schüler, dem eine Fünf auf dem Zeugnis droht, einen solchen Förderplan schreiben. Wenn Lehrer das versäumen und dem betreffenden Schüler eine Fünf geben, wird das Zeugnis anfechtbar. Es soll vorgekommen sein, dass Zeugnisse aus diesem Grund nach dem Einspruch von Eltern einkassiert und auf Anweisung der Schulaufsichtsbehörde mit einer Vier statt Fünf neu ausgestellt wurden.

Bessere Noten zur Zeitersparnis

Michael Lorenz hat im vergangenen Schuljahr rund 60 solcher Förderpläne geschrieben. Natürlich geht der Aufwand auf Kosten der Zeit zur Vorbereitung des Unterrichts. Entsprechend groß ist die Verlockung, dem Schüler einfach eine Vier minus und sich selbst weniger Arbeitsaufwand zu gönnen. Viele Lehrer geben nach und verstärken damit die ohnehin grassierende Noteninflation. Die Einführung der individuellen Förderung führt so in der Praxis nicht zu einer Besserung des Unterrichtsniveaus, sondern eher zur Verschlechterung.

In anderen Bundesländern läuft es ähnlich. Beispiel Nordrhein-Westfalen: Nicht versetzte Schüler haben häufig ein Recht auf eine besondere Prüfung, um sich doch noch das Sitzenbleiben zu ersparen. Bis vor wenigen Jahren fand diese Prüfung an den ersten beiden Tagen des neuen Schuljahres nach den Sommerferien statt. Doch mittlerweile ist sie in die letzte Ferienwoche verlegt worden. So verpassen die Schüler keinen Unterricht, hieß es zur Begründung. Die Leidtragenden sind die nordrhein-westfälischen Lehrer, die in den Ferien diese Prüfungen abhalten müssen. Es sei denn, der betreffende Schüler kommt erst gar nicht in die Bredouille. In den vergangenen Jahren hat jedenfalls auch in Nordrhein-Westfalen der Anteil der Zeugnis-Fünfen und Sitzenbleiber auf wundersame Weise abgenommen.

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