Schulpolitik Schülerfeedback ist notwendig

Viele Lehrer sind voller Widerwillen gegen Rückmeldungen der Schüler über ihren Unterricht. Zu Unrecht, denn davon profitieren beide.

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Schülerfeedback: Ein Austausch über Lehr-Lern-Prozesse. Quelle: dpa

Es mag durchaus überraschen, dass ausgerechnet Berlin und Bayern in der Schulpolitik ähnliche Wege gehen: In beiden Ländern sollen Lehrpersonen sich regelmäßig und systematisch eine Rückmeldung von ihren Schülerinnen und Schülern geben lassen. Dass diese Neuerung von vielen nicht euphorisch entgegengenommen wird, ist nicht verwunderlich – Feedback ist flächendeckend an Schulen noch nicht angekommen.

Klaus Zierer ist ein deutscher Erziehungswissenschaftler und seit 2015 Ordinarius für Schulpädagogik an der Universität Augsburg. Zuvor war er Professor an der Universität Oldenburg.

Dass aber in der Tagespresse in beiden Ländern das Kind mit dem Bade ausgeschüttet wird, ist verantwortungslos. So titelte in Berlin der Tagesspiegel „Berlins Lehrer sollen mehr Noten bekommen“ und in Bayern die Süddeutsche Zeitung „Schüler sollen ihre Lehrer bewerten“.

Verantwortungslos an dieser Berichterstattung ist vor allem, dass mit einer bewusst falschen Zuspitzung vom eigentlichen Problem abgelenkt werden soll. Denn sowohl in Berlin als auch in Bayern wurde von Anfang an kommuniziert, dass ein Schülerfeedback nichts, aber auch gar nichts mit einer Benotung zu tun hat. Inhaltlich geht es um den Austausch über Lehr-Lern-Prozesse und hierzu sollen Lernende Rückmeldung geben: Welche Ziele wurden erreicht? Welche Inhalte wurden verstanden? Welche Methoden haben funktioniert? Und welche Medien waren brauchbar? All diese Fragen kann eine Lehrperson zwar beantworten und soll es auch weiterhin für sich reflektieren. Aber diese Reflexion gelingt besser, wenn die Schüler ihre Antwort hinzugeben. Denn sie sind als Lernende näher an all diesen Fragen dran.

Striche zählen und Werte ablesen

Wann soll ich das machen? Wie viele Anrechnungsstunden gibt es? Wenn es einem Lehrer wichtig ist, dann findet sich dafür Zeit – und zwar bereits in bestehenden Strukturen, wie nicht wenige Lehrpersonen tagtäglich demonstrieren. Auch die Zeit erweist sich damit als Totschlagargument: immer zu wenig. Rechnet man die Zeit hoch, die Lernende durchschnittlich in der Schule verbringen, dann kommt man auf die stolze Zahl von 15.000 Stunden. Und rechnet man die Zeit hoch, die eine Lehrperson durchschnittlich in der Schule verbringt, so kommt man sogar auf 35.000 Stunden – und nimmt man Zeit für Vor- und Nachbereitung mit dazu, sind es sogar an die 50.000 Stunden. Hierunter fällt richtig verstandenes Schülerfeedback bereits. Denn die Rückmeldung der Lernenden ist es, die Gegenstand der Nachbereitung und Grundlage der Vorbereitung des Unterricht ist.

Vielmehr zeigt sich das Problem, das viele Lehrer mit Schülerfeedback haben, in einer mehr als problematischen Haltung zu Lernenden generell. Diese gipfelt beispielsweise in Aussagen wie: „Warum soll ich Schüler nach ihrer Meinung fragen? Sie können mir doch sowieso nicht Auskunft geben.“ Den Kritikern an Schülerfeedback muss eines klar werden: Schüler sind nicht für Lehrer da. Sondern Lehrer für Schüler. Und um Lernenden bestmöglich helfen zu können, kann und darf Unterricht keine Einbahnstraße sein nach dem Motto: Einer spricht und alle anderen hören zu. Das lernen viele Kinder leider allzu schnell: zur Schule zu gehen, um Lehrpersonen bei der Arbeit zuzusehen.

Stattdessen ist Unterricht ein Dialog, eine Interaktion zwischen Menschen, die sich gemeinsam auf den Weg machen, die zusammenarbeiten, miteinander Erfolge feiern, aber auch scheitern, Fehler machen und nutzen, sich austauschen und dabei in die Augen schauen. All das geht nur, wenn Feedback Bestandteil von Unterricht ist.

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