Sicherheit im öffentlichen Raum Der Preis der Freiheit

Hundertprozentige Sicherheit kann es nicht geben - so banal, so wahr. Doch tut die Polizei wirklich alles Nötige, um Anschläge zu verhindern?

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"Kampf gegen Terror ist auch ein Kampf für Freiheit"
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Es dauerte nicht lange, da rüstet die Staatsmacht auf. Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) bekräftigte am Dienstagmorgen im WDR-Hörfunk, dass die Polizeipräsenz auf Weihnachtsmärkten verstärkt werden solle. Es gehe um verdeckte und offene Maßnahmen. Und er habe die Polizeibehörden angewiesen, „bei Doppelschichten auf Weihnachtsmärkten schwere Schusswesten und Maschinenpistolen zu tragen“, so Jäger.

Auch Berlin nimmt Hilfsangebote des Bundes zum Schutz der Weihnachtmärkte an. Die Präsenz der Polizei werde erhöht, kündigt Innensenator Andreas Geisel (SPD) an. Zudem werde das Sicherheitskonzept der Silvester-Feier überprüft. Der Jahreswechsel wird in Berlin traditionellerweise von Hunderttausenden Menschen auf der mehrspurigen Allee vor dem Brandenburger Tor gefeiert.

Deutschland diskutiert nach dem verheerenden Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt über das Gefährdungspotenzial im öffentlichen Raum. „Terroristen zielen auf die offene Gesellschaft“, sagt Oliver Malchow, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „Alle Plätze, alle Wege – alle Orte, wo viele Menschen zusammenkommen, könnten Anschlagziele sein.“

Mit anderen Worten: Sicherheitskonzepte der Behörden kommen an ihre natürlichen Grenzen. Insbesondere dann, wenn Attentäter harmlose Alltagsgegenstände wie Fahrzeuge als Mordwaffen missbrauchen. Hundertprozentige Sicherheit, so viel ist jedem klar, kann es nicht geben.

Dabei hat die Polizei in den vergangenen Monaten aufgerüstet. Allein Hamburg hat 4,5 Millionen Euro zusätzlich investiert. Das neuste Hightech-Gerät ist ein gepanzertes Fahrzeug mit dem Namen „Survivor I“, das den Beschuss von Sturmgewehren standhält. Außerdem sind 70 Fahrzeuge der Hamburger Polizei mit Schutzwesten und Helmen der höchsten Schutzklasse sowie mit Maschinenpistolen ausgerüstet.

Große Terroranschläge in Europa

Doch der öffentliche Raum lebt davon, dass er frei ist. Und als dieser bleibt er angreifbar. Das gilt im Besonderen auch für den Nah- und Fernverkehr auf der Schiene. Allein die Deutsche Bahn hat nach den Anschlägen mit islamistischen Hintergrund in Würzburg und Ansbach im Sommer dieses Jahres angekündigt, 500 Mitarbeiter zusätzlich einzustellen und deren Ausbildung und Qualifizierung zu verbessern. Damit wären rund 4200 unternehmenseigene Sicherheitskräfte zur Unterstützung der rund 5000 Bundespolizisten auf Bahnanlagen im Einsatz. Von den 500 geplanten Zusatzkräften sind nach Information der WirtschaftsWoche rund 200 eingestellt. 100 von ihnen befinden sich allerdings noch in Ausbildung.

Hundertprozentige Sicherheit kann niemand garantieren

Außerdem hat die Bahn angekündigt, bis 2023 rund 85 Millionen Euro in den Ausbau der Videoüberwachung zu investieren. Derzeit übertragen etwa 5000 Kameras an 700 Bahnhöfen und 27.000 Kameras in S-Bahnen und Regionalzügen der Deutschen Bahn die Bilder ins Lagezentrum des Unternehmens.

So werden 80 Prozent der Fahrgastströme überwacht, heißt es. Bis 2023 solle die Technik entsprechend modernisiert werden. Künftig werde auch der Einsatz von Körperkameras, die Sicherheitskräfte an ihrer Uniform tragen, flächendeckend eingesetzt.

Doch der gestrige Anschlag mache eine Neubewertung des Sicherheitskonzeptes nicht notwendig, erfuhr die WirtschaftsWoche aus Unternehmenskreisen. Man stehe weiterhin im engen Kontakt mit den Behörden. Die Polizei sei weiterhin für die Sicherheit der Bahnlangen zuständig. Die Bahn unterstütze die Maßnahmen mit eigenen Leuten. Aber hundertprozentige Sicherheit könne keiner garantieren.  Es gebe „keinen Paradigmenwechsel“, so ein Insider.

Deutschland muss sich wohl daran gewöhnen, dass Attentate ein Stück zu den Alltagssorgen der Bürger gehören werden. Die leicht zugänglichen Bahnhöfe und Züge können jederzeit als Anschlagsziele genutzt werden: Schon 2004 starben bei Bombenanschlägen auf Pendlerzüge in Madrid 191 Menschen, rund 1500 werden verletzt. Ein Jahr später trafen Anschläge die Londoner U-Bahn. Im Kölner Hauptbahnhof wurden 2006 in zwei Zügen Bomben gefunden, die wegen eines technischen Fehlers nicht explodierten. 2013 kamen bei Selbstmordanschlägen in der russischen Stadt Wolgograd 34 Menschen im Bahnhof und in einem Bus ums Leben.



Doch Überwachungen wie am Flughafen sind im öffentlichen Raum und in Zügen undenkbar. Zwar wurden in Paris im Dezember 2015 auf zwei Bahnsteigen des Nordbahnhofs Sicherheitsschleusen für Thalys-Passagiere errichtet – als Reaktion auf den vier Monate zuvor vereitelten Anschlag in einem Thalys-Zug. Auf den Bahnsteigen wurde das Gepäck durch Röntgengeräte und Metalldetektoren kontrolliert.

Auch beim Eurostar gibt es Sicherheitskontrollen von Passagieren und Gepäck. Doch ist das ein Modell für Deutschland? Angesichts von täglich fast 30 Millionen Passagieren in Bussen und Bahnen ist lückenlose Kontrolle schlicht unmöglich.

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