WirtschaftsWoche: Herr Schönbohm, ist Deutschland sicher?
Schönbohm: Unser Land ist sicher, solange nichts passiert.
Das klingt fatalistisch – und banal.
Es ist aber leider nur realistisch. Wir haben vor allem drei Bedrohungspotenziale: Naturkatastrophen, Terrorismus und Gefahren wie Sabotage oder organisierte Kriminalität. Und wir verfügen als Industrienation über eine Fülle kritischer Infrastrukturen, die perfekt als Ziel taugen. Wenn die nicht mehr richtig funktionieren, würde das unser Leben sehr nachhaltig negativ beeinflussen.
Welche dieser Netze sind besonders gefährdet?
Die Energieversorgung als Allererstes, dann die Telekommunikation, die Wasserversorgung und die Verkehrssysteme.
An der Energieversorgung hängt alles?
In einer Studie des amerikanischen Thinktanks RAND wurde das Szenario einer gestörten Stromversorgung und die Folgen alleine für den Zahlungsverkehr durchgespielt. Da bricht innerhalb von zwei Wochen absolutes Chaos aus.
Hat die zunehmende Vernetzung unserer Welt die Bedrohung erhöht?
Natürlich. Die Zeiten isolierter Inseln sind vorbei. Je größer und verwobener die Netze, desto schwieriger wird es, sie zu sichern. In Zukunft wird das Problem eher noch zunehmen, etwa bei den geplanten intelligenten Stromnetzen. Per Mausklick könnten die theoretisch lahmgelegt werden. Hinzu kommt: Bei der Komplexität, die wir erreicht haben, können Sie Dominoeffekte kaum noch verlässlich abschätzen. Denken Sie an den Stromausfall im Emsland und die europaweiten Folgen.
Kann man diese Netze ernsthaft umfassend schützen?
Nein. Aber man kann die Sicherheitsschwellen erhöhen, die überwunden werden müssen, bis etwas passiert. Die Schwierigkeit ist allerdings, dass mittlerweile rund 80 Prozent der relevanten Ziele in privater Hand sind: Energieversorger etwa, Flughäfen. Eine staatliche Koordinierung und Harmonisierung der Standards ist sehr schwierig geworden und die Einbindung privater Sicherheitsfirmen notwendiger denn je.
Was könnte die Regierung tun?
Ein Beispiel: Wir haben das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), und wir haben das Technische Hilfswerk. Die könnte man zusammenführen, weil sie sich gut ergänzen. Insgesamt kümmern sich hierzulande 40 Institutionen und Organisationen um öffentliche Sicherheit. Jeder bearbeitet dementsprechend nur seinen Bereich. Oder nehmen Sie die Kommunikation: Die deutschen Behörden mit Sicherheitsaufgaben haben kein digitales Funksystem, das kompatibel wäre mit dem der Bundeswehr. Bei der Oderflut hätte das helfen können. Erst recht bei der Terrorismusbekämpfung.
Das wären alles erst mal nur Verwaltungsmaßnahmen.
Wir müssen zudem stärker in Szenarien denken und versuchen, aus den Fehlern und Erlebnissen anderer zu lernen. Beim 11. September etwa lag ein Teil der Verantwortung bei der New Yorker Port Au-thority. Die war begrenzt handlungsfähig, weil sie mit der Polizei nicht vernetzt war. Oder nehmen Sie Estland. Das Land wurde Opfer einer vermutlich russischen Cyber-Attacke, die man vorher für undenkbar hielt. Das muss man analysieren.
Wären wir dagegen gewappnet?
Das weiß man erst nach einer Krise. Noch ist alles Training. Als der Schneesturm Daisy kam, rief der Chef des BBK zu Hamsterkäufen auf. Das kann nicht alles sein.