Auf einmal ist da diese Maschinenpistole. Ein Bereitschaftspolizist hält das Ding Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel entgegen. Die Fotografen drängen ihn, die Waffe in die Hand zu nehmen: Obersozialdemokrat mit Maschinengewehr. Das würde sich verkaufen. Doch Gabriel widersteht, weicht ein wenig zurück und fragt dann mit einer Mischung aus Abscheu und Faszination, fast wie ein kleiner Junge: „Und sowas trägt bei der Bereitschaftspolizei jeder?“
Das Thema Innere Sicherheit ist noch etwas ungewohnt für den Bundeswirtschaftsminister. Aber es könnte wichtig werden im anstehenden Bundestagswahlkampf. Auch deshalb hat Gabriel den Termin in Hannover kurzfristig ins Programm seiner Sommerreise genommen. Nach den Anschlägen und dem Amoklauf in Bayern, glaubt er, werde die Debatte um die Sicherheit des Landes in den kommenden Monaten anhalten. Deshalb muss die SPD hier eine Position haben.
Also hat Gabriel sich in den vergangenen Tagen mit dem Thema beschäftigt. Zwar hat das Bundeskabinett gerade erst der Bundespolizei 3000 neue Stellen genehmigt. Doch noch immer, sagt Gabriel, fehlten der Truppe neun Hundertschaften, allein um die Landes- und Bereitschaftspolizei zu unterstützen.
Und einen Schuldigen für hat er auch schon ausgemacht: die Union und deren Innenminister Thomas de Maiziere. Seit nunmehr elf Jahren hat die Partei von Bundeskanzlerin Angela Merkel das Innenressort, ist also nach Gabriels Logik für die schlechte Personallage bei der Bundespolizei verantwortlich. Ursula von der Leyens Debatte um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, glaubt man bei der SPD, solle von diesem Versäumnis nur ablenken.
Höchste Zeit also, glaubt Gabriel, dass sich die Sozialdemokraten dem annehmen - zumal man damit dem Koalitionspartner in seiner "Herzkammer" treffen könnte.
Frisch gestärkt zurück aus dem Urlaub zurück ist Gabriel rauflustig. Er will testen, wie weit er im aufziehenden Bundestagswahlkampf gehen kann. Die Fragen, die es dabei zu beantworten gilt, lauten: wie sehr kann er den Koalitionspartner ärgern, ohne die gemeinsame Politik infrage zu stellen? Wie deutlich kann er sich absetzen von der Union, wo er doch seit Jahren mit ihr regiert? Und wie bringt er seinen Leuten solche Kurswechsel bei, ohne sie enttäuscht in die Arme der AfD zu treiben?
Konkrete Antworten lassen sich auf dieser Sommerreise allenfalls erahnen. Vielleicht auch, weil der SPD-Chef noch zu sehr mit den tagespolitischen Fragen beschäftigt ist: etwa mit der verkorksten Ministererlaubnis im Falle Kaisers-Tengelmann. Anfang der Woche wurde bekannt, dass die Grünen-Fraktion im Bundestag eine Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses beantragt hat, um Gabriel anzu hören, womöglich schon kommende Woche. „Das Ganze ist für Sigmar Gabriel ein Desaster. Er wollte sich als Retter von 16.000 Arbeitsplätzen inszenieren. Nun steht er als derjenige dar, der so ein Verfahren nicht ordentlich führen kann“, sagt Katharina Dröge, Obfrau der Grünen im Wirtschaftsausschuss der WirtschaftsWoche. Ihr Kollege und Gabriel-Freund Jürgen Trittin meint: „Es gibt geraume Unterschiede in den jeweiligen Darstellungen. Das müssen wir aufklären.“
Ministererlaubnis
Formell muss nach dem Gesetz für Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) mindestens einer der Beteiligten eines Fusionsprojekts nach dessen Untersagung durch das Bundeskartellamt die Ministererlaubnis beantragen. Er kann dies innerhalb von einem Monat nach der Zustellung des Verbots der Wettbewerbswächter tun. Innerhalb von vier Monaten nach Eingang des Antrags soll der Minister entscheiden. Wird eine Erlaubnis erteilt, kann sie mit Bedingungen und Auflagen verbunden sein. Die Entscheidung ist aber gerichtlich anfechtbar.
Voraussetzung für einen solchen Antrag ist ein öffentliches Interesse an dem Zusammenschluss. Nach dem GWB muss die Fusion gesamtwirtschaftliche Vorteile bieten und/oder durch ein "überragendes Interesse" der Allgemeinheit gekennzeichnet sein. Diese übergeordneten Vorteile müssen die Nachteile für den Wettbewerb aufwiegen, wegen derer das Bundeskartellamt sein Veto einlegte. Auch die Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen auf Auslandsmärkten soll berücksichtigt werden.
An dem Verfahren für eine Ministererlaubnis werden auch Personen und Gruppen beteiligt, deren Interessen durch die Fusion erheblich berührt werden. Dazu gehören etwa Arbeitnehmer, Verbände, aber auch Konkurrenten. Vor einer Entscheidung über eine Ministererlaubnis muss die Monopolkommission - ein Expertengremium, das die Bundesregierung bei Wettbewerbsfragen berät - eine Stellungnahme abgeben. Deren Einschätzung ist allerdings nicht bindend. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Zudem muss es eine öffentliche mündliche Anhörung geben.
Seit Schaffung des Instruments und damit seit 1974 wurde in 21 Fällen eine Ministererlaubnis beantragt. Die Erfolgsbilanz ist gemischt. Wiederholt wurde eine Erlaubnisantrag im Verlauf des Verfahrens wieder zurückgezogen. Zuletzt war ein Zusammenschluss im Krankenhausbereich - Uniklinikum Greifswald/Kreiskrankenhaus Wolgast - im Jahr 2008 vom Minister genehmigt worden. Der bislang letzte spektakuläre Fusionsfall, bei dem eine Ministererlaubnis den Weg - wenn auch mit Auflagen - freimachte, war der der Energiefirmen E.ON und Ruhrgas im Jahr 2002. Dagegen wurde 2003 ein Antrag für ein Zusammengehen der Verlage Holzbrinck/Berliner Verlag zurückgezogen, nachdem die Monopolkommission im Zuge des Verfahrens empfohlen hatte, die Ministererlaubnis zu versagen.
Gabriel selbst gibt sich davon unbeeindruckt. Anfang der Woche noch hatte er die Ankündigung der Grünen als „Theaterdonner“ bezeichnet. Am Mittwochabend dann steht er in der Kaiserpfalz seiner Heimatstadt Goslar, in einem prächtigen Saal und erklärt seinen Zuhörern die überlebensgroßen Gemälde an der Wand. Er ist gerade im Jahr 1522 angekommen, in dem Herzog Heinrich mit 17.000 Mann in die Stadt einfiel, sie bombardierte und schließlich in den sogenannte Riechenberger Vertrag zwang, mit dem Goslar auf weite Teile der Wälder, Steuern und die eigene Gerichtsbarkeit verzichtete. Erst Jahrhunderte später habe die Stadt versucht, erklärt Gabriel, diese „Schmach“ vor dem Reichskammergericht rückgängig zu machen. Doch bevor es zu einer Entscheidung kommen konnte, sei das Gericht aufgelöst worden. „Ich nehme mal an, dass ich im Falle Edeka-Tengelmann diese Chance nicht haben werde“, sagt Gabriel.