Seinen Humor immerhin hat der SPD-Chef nicht verloren. Aber was soll er auch tun? Zum Aufgeben ist es wohl zu spät, zumal ihm die Debatte bei den Gewerkschaften momentan eher nützt, kann er sich doch als Kämpfer für Arbeitsplätze inszenieren. Er will deshalb die ganze Sache höchstrichterlich klären lassen - und hofft wohl insgeheim, dass das Urteil erst nach der Bundestagswahl kommt.
All das wirkt kämpferisch und entschlossen. Und tatsächlich scheint es, als habe sich der SPD-Chef und wahrscheinliche Kanzlerkandidat genau das im Urlaub vorgenommen. Seine Volten beim europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen? Kein Grund zur Unruhe, meint Gabriel. Er werde die SPD beim Parteikonvent, der am 19. September in Wolfsburg tagt, schon überzeugen. Schließlich sei Ceta das beste Freihandelsabkommen, das die EU je verhandelt habe. Und die drohenden schlechten Ergebnisse bei den anstehenden Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin? Die Union mache ja auch keine besonders gute Figur, glaubt man im Willy-Brand-Haus.
Und dennoch: Wenn alles schief läuft, wenn die Landtagswahlen im September verloren gehen und der Ceta-Protest noch lauter wird, dann dürften die 250 Genossen in Wolfsburg das für eine Generalabrechnung mit ihrem Parteichef nutzen. Es wäre der denkbar schlechteste Auftakt für einen Wahlkampf mit Kanzlerkandidat Gabriel. Womöglich wäre seine Autorität so angekratzt, dass er zurückziehen müsste. Dann aber könnte er sich auch als Parteichef kaum noch halten.
Die SPD-Führung
Seit 2009 Parteichef, macht die SPD in regelmäßigen Abständen mit Alleingängen nervös. War im Sommer in der Krise, bekam beim Ja zur Vorratsdatenspeicherung reichlich Gegenwind. Punktete in der Flüchtlingskrise aber wieder. Hat Anspruch auf Kanzlerkandidatur 2017 angemeldet. Bei seiner Rede gab er sich staatsmännisch und warb für einen Kurs der Mitte. Die Linke goutierte das nicht. Die herbe Quittung: Nur 74,3 Prozent nach 83,6 Prozent vor zwei Jahren.
Landesmutter in Nordrhein-Westfalen, lange als Gabriel-Konkurrentin gehandelt, will von Bundespolitik aber nichts mehr wissen. Konzentriert sich voll auf die Landtagswahl 2017 an Rhein und Ruhr. In der Flüchtlingskrise wieder präsenter. Parteivize seit 2009, bei der letzten Parteitagswahl vor zwei Jahren 85,6 Prozent. Am Freitag fehlte sie wegen Fieber und Schüttelfrost. Geschadet hat es nicht: Sie kam auf 91,4 Prozent Zustimmung.
Seit 2011 SPD-Vize (Wahl 2013: 79,9 Prozent). Die Flüchtlingskrise wäre für die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung eigentlich die große Zeit, um Akzente zu setzen. Sie blieb bislang aber eher blass - auch als Parteivize. Geht mit ihrer zurückhaltenden Art im SPD-Gefüge etwas unter. Als einzige Migrantin unter den Vizes hat die Tochter türkischer Kaufleute in diesen Zeiten dennoch einen festen Platz. Der Lohn: 83,6 Prozent.
Landes- und Fraktionschef der hessischen SPD, wird oft unterschätzt, müht sich um bundespolitisches Profil. „TSG“ kümmert sich auch um die internationalen SPD-Kontakte. Der Mann mit den dicken Brillengläsern - in der Jugend drohte er zu erblinden - ist glühender Bayern-Fan, trat aus Protest gegen die Hoeneß-Steueraffäre aber beim Rekordmeister aus. Bekam 2013 als Vize 88,9 Prozent. Schaffte das Resultat diesmal fast: 88,0 Prozent.
Wird als kluger Verhandler in der SPD geschätzt, wie bei den Bund-Länder-Finanzen. Für den Fall, dass Gabriel irgendwann nicht mehr will oder darf, fällt stets auch sein Name. Hat bei den Delegierten aber oft einen eher schweren Stand. Vor zwei Jahren bekam er als Vize nur 67,3 Prozent. Das Nein seiner Hamburger zur Olympia-Bewerbung der Hansestadt war für Scholz ein Dämpfer. Der Parteitag leistete etwas Aufbauarbeit: 80,2 Prozent.
Seit 2009 Parteivize (Wahl 2013: 80,1 Prozent). Die Bundesfamilienministerin hat sich in der SPD einen guten Stand erarbeitet - gerade mit ihrem Thema Frauen und Familie. Früher intern mitunter belächelt, gilt sie heute als wichtige Figur im Parteiengefüge, mit Aussicht auf höhere Aufgaben. Mit SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann soll sie das Wahlprogramm für 2017 erarbeiten. Erwartet derzeit ihr zweites Kind. Die Delegierten bescherten ihr mit 92,2 Prozent das beste Ergebnis aller Vizes.
Allzweckwaffe vom linken Flügel, SPD-Erklärbär auf allen Kanälen. Träumt seit Jahren davon, Generalsekretär zu werden - darf aber nicht, weil es nach dem Fahimi-Rückzug wieder eine Frau sein sollte. Der Kieler Landeschef erhielt 2013 bei seiner Wahl zum Vize 78,3 Prozent. Auch er kann sein Niveau in etwa halten: 77,3 Prozent.
Von Gabriel als Generalsekretärin ausgeguckt. Bislang in der Bundespolitik kaum in Erscheinung getreten. Sitzt seit 2013 im Bundestag, muss nun den nächsten Wahlkampf vorbereiten. Machte vor der Politik Karriere als Juristin. Kein Wadenbeißer-Typ, eher ruhig, zurückhaltend. Muss sich in der SPD erst noch einen Namen machen. Der Parteitag gibt ihr mit 93 Prozent eine großen Vertrauensvorschuss. Fast 20 Punkte mehr als ihr künftiger Chef Gabriel.
Andererseits: Einen wirklichen Konkurrenten gibt es derzeit nicht. Gabriel selbst hat immer wieder angeboten, zurückzustecken, wenn ein besserer Kandidat und Parteichef als er in Sicht sei. Das ist momentan nicht der Fall. Und das weiß die SPD. Zumal: wenn tatsächlich alles gut läuft für ihn, stünde er Ende September stärker da als je zuvor und wäre der unangefochtene Kanzlerkandidat der SPD.
Er spielt alles oder nichts. Und er spielt es gern. Gabriel hat sich deshalb vorgenommen, die kommenden Wochen offensiv anzugehen: Er will siegessicher wirken und nicht schon wieder will er das Bild eines angekratzten, angeschossenen Wirtschaftsministers abgeben. Also holt er sich auf der Sommerreise noch schnell die passenden Bilder ab: Salzgitter, Stahlwerk. Gabriel steht vor einem Hochofen und lässt sich die Produktion von Premium-Stahl erklären. Industriepolitik, sagt er, sei ja erst wieder mit ihm ins Bundeswirtschaftsministerium eingezogen. „Wir müssen aufpassen, dass solche Industrie hier erhalten bleibt. Auch gegen die Konkurrenz aus China und Russland, die den Markt mit Billigstahl überschwemmen.“
Das bringt ihm viel Applaus und schöne Bilder mit dem Betriebsratschef des Werkes. Und am Ende sogar ein Lob des Konzernchefs, der eigentlich ein CDU-Parteibuch hat, Gabriel aber sehr schätzt: „Lieber Herr Gabriel, bleiben Sie uns auch nach der Bundestagswahl erhalten“, sagt Heinz Jörg Fuhrmann, der Direktor der Salzgitter AG. Und schiebt hinterher: „Gerne auch weiterhin als Wirtschaftsminister.“
Womöglich liegt der Mann ja gar nicht so verkehrt. Und das weiß Sigmar Gabriel wohl auch.