Sigmar Gabriel "Wir müssen auch einige Steuern anheben"

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Gefahren der Energiewende

Diese Unternehmen produzieren ihren Strom selbst
VolkswagenVolkswagen betreibt inzwischen eigene Kraftwerke unterschiedlicher Art an fast allen Standorten. Im Werk Emden läuft zum Beispiel eine Biomasseanlage. Dabei sind die Anlagen nicht alle umweltfreundlich. Viele werden von Dieselmotoren der Konzerntochter MAN angetrieben. Aber der Wille von Konzernchef Martin Winterkorn zur dezentralen Eigenversorgung mithilfe erneuerbarer Energien ist da. So will VW 600 Millionen Euro bis zum Jahr 2020 für den Ausbau erneuerbarer Energien an den Unternehmensstandorten ausgeben Quelle: dpa
Aldi SüdStromerzeuger in besonders großem Stil ist der Discountgigant Aldi Süd geworden. Auf rund 300 Dächern seiner Filialen hat der Billigriese aus Mülheim an der Ruhr Solaranlagen schrauben lassen. Hinzu kommen riesige Panelflächen auf den Dächern von 30 Logistikzentren. Damit ist Aldi in der Lage, Strom mit einer Gesamtleistung von über 70 Megawatt zu produzieren, immerhin ein Zehntel eines kleinen Kernkraftwerks. Die prognostizierte Stromproduktion aller Anlagen pro Jahr liegt bei 71 Millionen Kilowattstunden. Das entspricht laut Aldi-Angaben dem Stromverbrauch von rund 24.000 Vier-Personen-Haushalten. Gerechnet auf zwölf Monate werde Aldi Süd fast die Hälfte der produzierten Menge für den Eigenverbrauch nutzen, heißt es aus dem Discount-Imperium Quelle: dpa
Metro-GroupDer Düsseldorf Handelskonzern Metro hat Anfang des Sommers 2013 für seine Großverbrauchermärkte am Konzernsitz sowie in Berlin-Marienfelde eigene Blockheizkraftwerke in Betrieb genommen. Künftig können die beiden Standorte sich selbst mit Strom und Wärme aus Erdgas versorgen. Die beiden Kraftwerke wurden in Kooperation mit dem ebenfalls in Düsseldorf beheimateten E.On-Konzern errichtet, der für den Gaseinkauf verantwortlich ist. „Dank der Blockheizkraftwerke können wir die Energieversorgung für die beiden Standorte langfristig sichern und zugleich die Kosten beträchtlich senken“, sagt Olaf Schulze, Geschäftsführer der Metro Properties Energy Management. „Mit einer Eigenproduktion können alle Kosten, die mit dem Netzbezug verbunden sind, wie zum Beispiel EEG-Umlage und Nutzungsentgelte, vermieden werden.“ Quelle: dpa
ReweDer Kölner Lebensmittel-Filialist Rewe schickte vor wenigen Wochen für ihr Logistikzentrum in Eitting bei München ein Biogas-Blockheizkraftwerk an den Start. Die Anlage versorgt den mehr als 60.000 Quadratmeter großen Büro- und Lagerkomplex dezentral und bedarfsgerecht mit umweltfreundlicher Energie. In den Sommermonaten wird mit der Heizenergie Kälte produziert, was die Großkälteanlagen für das Tiefkühl- und Kühllager des Logistikzentrums entlastet. Die rund 4,5 Millionen Kilowattstunden Strom, die pro Jahr produziert werden, werden in das Stromnetz eingespeist. Quelle: dpa
Molkerei GropperNeben Joghurts, Kaffeespezialitäten und Säften produziert die bayrische Molkerei Gropper seit Beginn des Jahres auch Energie. Die durch das gasbetriebene Blockheizkraftwerk gewonnene Energie kommt dabei in erster Linie der Stromversorgung zugute, die zu 65 Prozent den Eigenbedarf deckt. Auch Gropper erzeugt aus einem Teil der Abwärme Kälte, um damit seine Produkte zu kühlen. Mit dem anderen Teil wird Wasserdampf erzeugt, der der Herstellung von Joghurt, Pudding oder haltbarer Sahne dient. „Die steigenden Kosten der vergangenen Jahre, auch im Energiebereich, haben diesen Schritt für uns notwendig und auch sinnvoll gemacht“, sagt Gropper-Inhaber Heinrich Gropper. Er geht davon aus, dass er sein Blockheizkraftwerk bald ausbauen wird, um den Energiebedarf langfristig nur noch aus Eigenproduktion zu decken. Quelle: dpa
StuteAls Vorreiter der Eigenversorgung in der Lebensmittelindustrie gilt der Handelsmarkenproduzent Stute in Paderborn, der Säfte und Konfitüre für Handelsunternehmen wie Aldi herstellt. Das Familienunternehmen hat in den vergangenen Jahren fast 15 Millionen Euro investiert: 9,5 Millionen Euro flossen in mehrere Fotovoltaik-Anlagen, die sich am Firmensitz auf Dächern und Freiflächen mittlerweile auf 95.000 Quadratmetern erstrecken. 4,5 Millionen Euro steckte Stute in drei Windräder, die pro Jahr 7,2 Millionen Kilowattstunden liefern. Den Energiemix komplettiert eine Biogasanlage, die mit Abfällen aus der Fruchtverarbeitung arbeitet. Die Investitionen in die Autarkie zeigen Wirkung. Stute liegt bei der Eigenversorgung mit Strom schon bei rund 50-Prozent. Und das zu günstigen Tarifen. Weil keine Abgaben für den selbst produzierten und verbrauchten Strom anfallen, rechnet Stute mit Stromkosten von weniger als fünf Cent pro Kilowattstunde – fast so wenig, als würde sich das Unternehmen jeden Tag preiswert auf dem Spotmarkt an der Leipziger Strombörse bedienen. Quelle: dpa
BMWVier knapp 180 Meter hohe Windmühlen stehen am Westrand des BMW-Werksgeländes in Leipzig. Im Herbst dieses Jahres startet dort die Serienproduktion des Elektrofahrzeugs BMW i3, im Frühjahr 2014 soll die Sportwagenvariante BMW i8 folgen. Die vier Mühlen schaffen eine Leistung von zehn Megawatt und sollen mehr als 25 Millionen Kilowattstunden pro Jahr liefern, so viel, wie 8000 Haushalte verbrauchen. Weht kein Wind, muss BMW seinen i3 mit ganz ordinärem Strom aus dem öffentlich zugänglichen Netz produzieren. Der Strom der Windräder allerdings ist komplett dem Verbrauch im Werk vorbehalten und geht nicht ins Netz. Realisiert hat das Projekt der Entwickler wpd aus Bremen. Er betreibt den Miniwindpark und verkauft den Strom an BMW. Quelle: dpa

Danke, jetzt sind wir gespannt.

Weil wir gleichzeitig die höchste Staatsverschuldung haben. Frau Merkel und Herr Schäuble haben in Zeiten niedrigster Zinsen, hoher Beschäftigung und sprudelnder Steuereinnahmen das Kunststück fertiggebracht, 110 Milliarden Euro neue Schulden aufzunehmen – und da sind die Kosten für die Euro-Rettung noch gar nicht dabei. Frau Merkel macht drei Versprechen, die nicht zueinander passen: Schulden abbauen, mehr Geld für Bildung und Infrastruktur ausgeben und Steuern senken. Nach meiner Kenntnis der Grundrechenarten passt das nicht zusammen.

Wie lautet Ihre Alternative?

Wir müssen dringend Schulden abbauen, und wir müssen mehr in Bildung und Infrastruktur investieren. Deshalb müssen wir an vielen Stellen im Haushalt einsparen und auch einige Steuern für die anheben, die sehr, sehr hohe Vermögens- und Kapitaleinkünfte haben. Die Vermögensteuer ist übrigens keine Erfindung von Karl Marx oder der SPD, sondern sie ist die erste von drei Steuerarten unserer Verfassung und wurde vom CDU-Kanzler Konrad Adenauer eingeführt.

Und wie soll es nun konkret gehen?

Ist doch klar: Wir werden nicht das Eigenkapital besteuern, denn das wäre ja Irrsinn. Kein Gewinn – keine Vermögensteuer.

Kommen wir zur Energiewende...

...wenn die so weiterläuft, wird sie viel gefährlicher als jede Vermögensteuer!

Strom wird immer teurer. Wann ist bei Ihnen die Schmerzgrenze erreicht?

Die ist doch längst überschritten! Vor allem bei sehr vielen energieintensiven Unternehmen. Noch schlimmer als der Preisanstieg ist die totale Planungsunsicherheit. Seit zweieinhalb Jahren herrschen in der Energiewirtschaft Chaos und Anarchie. Wenn die Energiewende nicht komplett neu gestartet und endlich professionell gesteuert wird, stehen wir vor dem größten Deindustrialisierungsprogramm unserer Geschichte. Ich besuche jede Woche Unternehmen. Es gibt keines, das nicht vor dieser Entwicklung warnt.

Das absurde Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), durch das die Verbraucherpreise steigen, wenn der Börsenpreis sinkt, war keine Erfindung von Schwarz-Gelb.

Das EEG war ein kluges Gesetz, als grüne Energien eine Nische waren. Jetzt entwickelt es sich zum Hindernis für deren Zukunft. Das Verrückte ist doch, dass im Bericht der Atomausstiegskommission von Klaus Töpfer alles aufgezählt ist, was zu tun wäre. Und ich gebe zu, ich bin einigermaßen fassungslos, dass es ausgerechnet eine konservative Regierung ist, die angeblich etwas von Wirtschaft versteht, die davon nichts, aber auch gar nichts angepackt hat. Kein Grüner und erst recht kein Sozialdemokrat würde so viel Chaos hinterlassen in der Energiepolitik, wie das CDU/CSU und FDP getan haben. Eine grundlegende Reform des EEG ist seit Jahren überfällig.

Und wie soll die aussehen?

Das EEG trägt die Überschrift „invest and forget“. Das geht nicht mehr, wenn der grüne Strom einen Großteil des Strombedarfs decken soll. Die Produzenten von Ökostrom müssen mit in die Netzverantwortung hinein und ran an den Markt. Die Ausbaudynamik muss kontrolliert werden. Je mehr, desto besser – das ist falsch. Der Ausbau muss außerdem mit dem Bau konventioneller Kraftwerke und dem Netzausbau abgestimmt werden. Kleine ineffiziente Biogasanlagen sind doch kein Beitrag zur Energiewende, sondern eine neue Form der Landwirtschaftssubvention. Zu prüfen ist auch, ob die sehr teure Offshore-Wind-Produktion ganz raus aus der EEG-Förderung und über Steuermittel gefördert werden muss. Die Ausbauziele dort sind sehr unrealistisch. Parallel dazu müssen wir endlich den konventionellen Kraftwerksbau wieder anfahren. Dazu brauchen wir ein neues Strommarktdesign, denn das heutige passt nicht zu den erneuerbaren Energien. Statt neue Gaskraftwerke zu bauen, die wir dringend brauchen, werden hochmoderne Gaskraftwerke derzeit stillgelegt. Und zur Wahrheit gehört auch: Man kann nicht gleichzeitig aus der Atomenergie und der Kohle aussteigen. Auch Kohlekraftwerke werden noch auf mehrere Jahrzehnte ihre Berechtigung haben. Dass die Bundesregierung den CO2-Handel in Europa torpediert hat, ist deshalb ein echter Skandal der früheren Klimakanzlerin.

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