Sigmar Gabriel in Uganda Wo Europa von Afrika lernen kann

Es ist die vierte Afrika-Reise von Außenminister Gabriel innerhalb eines halben Jahres. Wieder geht es um die Flüchtlingspolitik, aber anders als sonst. Und der Wahlkampf schwingt mit.

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Außenminister und BAP-Sänger Wolfgang Niedecken (r.) besuchen im Rhino Camp in Ofua, im Norden von Uganda, eine Flüchtlingssiedlung. Quelle: dpa

Arua/Uganda Außenminister Sigmar Gabriel hat schon einige Flüchtlingslager dieser Welt gesehen. Im größten Camp für syrische Flüchtlinge in Jordanien standen ihm die Tränen in den Augen. In dem von jahrzehntelangem Bürgerkrieg zerrütteten Somalia watete er durch knöcheltiefen Schlamm, um zu den notdürftigen Zeltunterkünften zu kommen.

Und in Libyen hat er eines der berüchtigten Camps besucht, in die Flüchtlinge eingesperrt werden, die es nicht über das Mittelmeer nach Europa geschafft haben – auf engstem Raum und unter teils katastrophalen hygienischen Bedingungen.

Auch bei seinem Besuch in Uganda geht es um Flüchtlinge. Diesmal aber ganz anders. Am Mittwochvormittag steht Gabriel vor einem Schulgebäude im Rhino Camp, nicht weit von den Grenzen zu den Bürgerkriegsländern Kongo und Südsudan entfernt. Aus den Fenstern winken fröhliche Flüchtlingskinder, die dem Hunger und Elend in ihrer südsudanesischen Heimat entkommen sind.

Statt dicht gedrängter Zelte oder Blechbuden stehen hier weit verstreut Lehmhütten mit Strohdächern oder Backsteinbauten. Dazwischen befinden sich Gemüsegärten, nirgendwo sieht man Zäune, überall ist es grün. Niemand nennt das Rhino Camp Flüchtlingslager – weil sich die Menschen hier frei bewegen können, weil sie arbeiten können und Land zur Bewirtschaftung bekommen. Flüchtlingssiedlung sagt man hier deswegen. Flüchtlinge werden also als Siedler angesehen – zumindest auf Zeit, solange der Bürgerkrieg in ihrer Heimat wütet.

Gabriel zeigt sich beeindruckt. „Es ist auch ein schönes Beispiel dafür, was Länder, die viel ärmer sind als wir in Europa, leisten können“, sagt er an die Adresse derjenigen EU-Staaten, die schon mit der Aufnahme von ein paar hundert Flüchtlingen ein Problem haben.

Uganda mit seinen 37 Millionen Einwohnern hat 1,3 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, so viele wie kein anderes afrikanisches Land. Fast eine Million kommen aus dem Nachbarland Südsudan, wo Hunger und Bürgerkrieg herrschen.

Immer noch fliehen täglich etwa 1000 weitere Südsudanesen über die Grenze. 85 Prozent davon sind Frauen und Kinder. Aber auch immer mehr Männer kommen. Wenn auch sie ihren Familien in Ausland folgten, sei das ein Zeichen dafür, dass die Hoffnung auf Frieden in ihrem Land stirbt, sagt man in Uganda.


„Es herrscht eine andere Empathiebereitschaft“

Das ostafrikanische Land geht in einer Art und Weise mit den Flüchtlingen um, die weltweit als vorbildlich gilt. Das Recht auf Arbeit und die Landbewirtschaftung machen einen Riesenunterschied für die Integration. Gudrun Stallkamp von der Welthungerhilfe, die schon in vielen anderen Krisenländern war, kommt geradezu ins Schwärmen. „Ich finde das wirklich beeindruckend. Es gibt hier eine wahnsinnig offene Einstellung Flüchtlinge aufzunehmen“, sagt sie.

Das sieht auch Wolfgang Niedecken von der Rockgruppe BAP so, den Gabriel mit auf die Reise genommen hat. Niedecken hat sich viele Jahre lang vor allem für ehemalige Kindersoldaten in Uganda engagiert. Das erste Mal war er 2004 hier, als noch ein Bürgerkrieg in dem Land tobte. Genau diese Erfahrung ist es nach Ansicht Niedeckens, die jetzt zu der großen Hilfsbereitschaft führt. „Die Leute hier wissen, was Bürgerkrieg ist. Da herrscht eine andere Empathiebereitschaft“, sagt er.

Ohne Hilfe von außen geht es aber nicht. Bik Lum vom UN- Flüchtlingshilfswerk UNHCR sagt, für die vier Flüchtlingssiedlungen in der Region müssten die Hilfsmittel bis Ende des Jahres von 50 auf 100 Millionen US-Dollar verdoppelt werden, um die Aufnahme immer noch hunderter Flüchtlinge täglich bewältigen zu können.

Gabriel ist grundsätzlich dazu bereit, mehr zu tun. „Wir haben unsere Mittel gerade deutlich erhöht. Wir werden auch sicher in den nächsten Jahren noch mehr tun“, sagt er. Krisenprävention sei schließlich sinnvoller als Geld in Aufrüstung zu stecken.

Und was hatte der Besuch mit dem Wahlkampf zu tun? Jedenfalls ist Gabriel wie SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz der Meinung, dass man das Flüchtlingsthema nicht heraushalten sollte. „Meine große Sorge ist eher, dass wir verschweigen, dass da ein neues Problem herankommt“, sagt er. Er befürchtet, dass sich die Flüchtlingskrise aus dem Jahr 2015 wiederholt. „Wenn wir nichts machen, dann wird Italien irgendwann seine Grenzen öffnen müssen, weil es einfach zu viele sind“, sagt er.

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