Silicon Saxony Das Geheimnis des Freistaats Sachsen

Homann, Bosch, Philip Morris, Globalfoundries: Sachsen lockt auffallend viele Unternehmen an. Was hinter dem Erfolg steckt.

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Wird Sachsen das bessere Bayern? Quelle: dpa, Montage

Der Erfolg hat viele ungeduldige Väter. Dirk Hoheisel zum Beispiel, Geschäftsführer beim Autozulieferer Bosch, würde jetzt endlich gerne selber reden. Doch Matthias Machnig ist noch nicht fertig. Als der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium die Stadt Dresden gerade für ihre IT-Expertise lobt, greift Hoheisel bereits zum Mikrofonarm. Und was macht Machnig? Schiebt dessen Hand beiseite: „Sie sind gleich dran, Kollege.“

Nur einer sitzt tiefenentspannt auf dem Podium: Stanislaw Tillich. Der CDU-Ministerpräsident des Landes Sachsen hört artig zu, bis er dran ist, um reichlich Eigenlob zu verteilen: Einst habe man sich in Sachsen dafür entschieden, ein digitaler Hub zu werden, sagt Tillich. Heute sei man dieser Hub: „Uns ist ein Riesen-Coup gelungen.“

Tatsächlich hat Tillich in dieser Woche eine der bemerkenswertesten Firmenansiedlungen in der Geschichte des Freistaats gefeiert. Seit einem Jahrzehnt hat in Europa kein Chiphersteller mehr eine Fabrik auf die grüne Wiese gesetzt. Nun passierte es endlich mal wieder – in Dresden. Bosch investiert bis Ende 2019 eine Milliarde Euro, um Prozessoren und Halbleiter für autonom fahrende Autos in Sachsen zu produzieren. Der Bund bezuschusst den Plan mit 200 Millionen Euro. Auch das Land wird Geld geben. Und was hängen bleibt, ist das Wort des Bosch-Mannes Hoheisel: Dresden sei der „beste Standort“.

Der Stuttgarter Konzern realisiert nur die jüngste einer ganzen Reihe prominenter Firmenansiedlungen in den vergangenen Wochen. Der US-Chiphersteller Globalfoundries, die Feinkostmarke Homann, Philip Morris – Mittelständler wie internationale Unternehmen erklären Sachsen zu ihrer neuen Heimat oder bauen ihre Werke aus. Im Osten viel Neues also – trotz der ungünstigen Schlagzeilen, die das Land zuletzt mit den Pegida-Demos produzierte.

Das sächsische Erfolgsgeheimnis: Das Land überzeugt durch üppige Zuschüsse, aber auch durch gute Organisation, starke Netzwerke und schnelle Entschlüsse.

Bosch etwa kommt, obwohl noch nicht einmal ganz klar ist, wie viel Geld die Sachsen auf den Tisch legen werden. Bis zu 100 Millionen Euro könnten es werden, lässt Ministerpräsident Tillich durchblicken. Bund und Land würden dann jeden der 700 geplanten Arbeitsplätze mit 430 000 Euro staatlichem Startkapital bezuschussen.

In der Tat schüttet kaum ein Land mehr Geld für umsiedlungswillige Unternehmen aus als Sachsen. Zwar steht Brandenburg bei den ausgezahlten Finanzhilfen, die auch Bundeszuschüsse beinhalten, mit mehr als 1269 Euro pro Einwohner an der Spitze. Das zeigt ein Subventionsvergleich der Länder des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Doch im Vergleich der Flächenstaaten folgen Sachsen und Sachsen-Anhalt gleichauf mit etwas mehr als 1000 Euro pro Einwohner. „Sachsen gehört traditionell zu den Bundesländern, die relativ viel Geld für die Wirtschaftsförderung ausgeben“, sagt IfW-Experte Claus Friedrich Laaser.

„Diese Investition ist der Motor, der der Region so lange gefehlt hat“

Subventionieren können also auch andere, aber Sachsen überzeugt darüber hinaus: mit hemdsärmeliger Industriepolitik, klug ausgespielter Standortstärke und Traditionspflege. Die Mischung kommt an. US-Konzern Globalfoundries steckt 1,5 Milliarden Euro in den Ausbau seiner Dresdner Fabrik. Seitdem die EU die Mikroelektronik als strategisch wichtige Branche für Europa ausgerufen hat, dürfen auch Bund und Länder mehr Geld zuschießen, als das EU-Beihilferecht üblicherweise erlaubt. Eine Milliarde Euro stellt allein der Bund in Aussicht.

Aus dem Topf wird sich Globalfoundries gerne bedienen. Aber Sachsen erntet vor allem die Früchte seiner Branchenspezialisierung. Schon zu DDR-Zeiten war die Region stark in der Computerindustrie. Nach der Wende wollte die Politik unbedingt ein Silicon Saxony – und ließ sich auch durch Rückschläge wie die Insolvenz von Qimonda 2009 nicht beirren. Die TU Dresden glänzt dazu bei den ingenieur- und naturwissenschaftlichen Fächern und sorgt für den nötigen Hightechnachwuchs.

Philip Morris investiert deshalb nun 290 Millionen Euro in einen Neubau in Dresden. Ab 2019 sollen rund 500 Beschäftigte Tabaksticks für E-Zigaretten produzieren. Fördergelder waren „kein ausschlaggebender Punkt“, sagt Deutschlandchefin Stacey Kennedy. Aber man schließe dies „aus wirtschaftlichen Gründen im weiteren Projektverlauf natürlich nicht aus“.

In Rothenburg bei Görlitz an der deutsch-polnischen Grenze herrscht seit Mai gar eine Art Ausnahmezustand. Seit der chinesische Automobilzulieferer Beijing WKW verkündete, dort eine Fabrik für Elektroautos zu errichten, gibt es in dem 5000-Seelen-Städtchen kein anderes Gesprächsthema. „Diese Investition ist der Motor, der der Region so lange gefehlt hat“, sagt Bürgermeisterin Heike Böhm. 1,4 Milliarden Euro stecken die Chinesen in das Projekt. 1000 Arbeitsplätze sollen entstehen.

Eingefädelt hat diesen Deal Peter Nothnagel, mehrfach war er in China. „Wir laufen jedem Investor hinterher“, sagt der Chef der sächsischen Wirtschaftsförderung. Erfolge erreiche man durch Hartnäckigkeit. Und durch Tempo: „Wenn uns ein Investor anfragt, antworten wir sofort.“ 50 Mitarbeiter in Deutschland und weitere Kräfte im Ausland beschäftigt die Agentur.

Tatsächlich loben Unternehmen die Art und Weise, wie das System Sachsen funktioniert. Jens Drews, Lobbyist des Halbleiterproduzenten Globalfoundries, spricht von „kurzen Wegen“ in die Staatskanzlei und „vertrauensvollen Gesprächen“. Hinzu kommt die politische Konstanz, vergleichbar nur mit dem heimlichen Vorbild Bayern: Seit 1990 stellt die Union den Ministerpräsidenten. Die Politik hatte schon immer das Ziel, „noch schneller und zielgerichteter als die Bayern zu sein“, so Drews. Wirtschaftsförderung sei in Sachsen Chefsache. Eine sichtbare Folge: Molkemilliardär Theo Müller holt seinen Feinkosthersteller Homann wohl bald nach Leppersdorf – in Tillichs Wahlkreis.

Als Strippenzieher im Hintergrund gilt der Chef der Staatskanzlei, Fritz Jaeckel. Der Karrierebeamte beschreibt das Werben um Investoren so: „Wir erzeugen ein Grundrauschen.“ Möglichst weltweit solle der Freistaat als Standort für innovative Unternehmen mit guten Fachkräften geläufig sein.

Jaeckel will der Igel sein, nicht der Hase. Er und seine Mitstreiter versuchen, schon bei potenziellen Investoren vorzusprechen, bevor andere auftauchen. Seine Regierungsleute gehen lieber auf einen Empfang mehr, reisen früher zu Firmen und lesen sich ein, um über Leichtbauweise oder Gelenkteile eines Zulieferers parlieren zu können. „Unternehmen kriegen schnell heraus, wie kundig wir unterwegs sind“, glaubt Jaeckel. Bisher gibt der Erfolg ihm recht.

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