So steht es um die Finanzen des Bundes Ampel-Koalition droht eine „kritische“ Finanzlage

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Geld fällt nicht wie Manna vom Himmel, auch wenn die Steuerschätzung rosig aussieht und das Wirtschaftswachstum wieder Fahrt aufnimmt. Der Rechnungshof fordert einen „ehrlichen Kassensturz“.

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Die positive Nachricht lautet: Deutschlands Wirtschaft steckt die schwere Pandemiekrise weg und dürfte das Vorkrisenniveau aus dem 4. Quartal 2019 wieder im 1. Quartal 2022 erreichen. Nach einem noch verhaltenen Jahr 2021 erwartet der Sachverständigenrat, dass das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland 2022 um satte 4,6 Prozent wächst. Positiv ist auch zu vermelden, dass die Steuerschätzer ebenfalls mit einer Belebung rechnen: Gegenüber ihrer Schätzung vom Mai erwarten sie nun für die Jahre 2021 bis 2025 ein Mehraufkommen von rund 160 Milliarden Euro. Wirtschaft und Staat können damit glimpflich aus der Krise kommen und an die prosperierenden Jahre zuvor anschließen.

Die guten Nachrichten sind jedoch für SPD, Grüne und FDP gleichzeitig schlechte Nachrichten. Denn um all ihre hochfliegenden Pläne eines öko-digital-sozialen Umbaus zu realisieren, bräuchten sie ein regelrechtes Wirtschaftswunder samt kräftig sprudelnden Steuereinnahmen. Da dies ausbleibt, kursieren kreative Gedanken über eine gigantische Geldvermehrung, damit der Bund dennoch in den nächsten Jahren zusätzlich hunderte Milliarden Euro ausgeben kann. Sie reichen von Schattenhaushalten über eine Förderoffensive der KfW-Bank bis zur Verschuldung von Unternehmen in Bundesbesitz wie die Deutsche Bahn.

Derlei Kassentricks sorgen jedoch für tiefe Sorgenfalten bei den Liberalen, die davon herzlich wenig halten. Der bequeme Weg einer zusätzlichen Verschuldung (zulasten späterer Generationen) und Steuererhöhungen ist nicht zuletzt wegen der FDP verbaut.



Zu den schlechten Nachrichten zählt überdies, dass „die Unsicherheit über die kommende wirtschaftliche Entwicklung hoch ist“, wie der Sachverständigenrat warnt. Erneute gesundheitspolitische Einschränkungen oder länger anhaltende Lieferengpässe könnten die Erholung stärker belasten. Für die mögliche Ampelkoalition heißt das Abschiednehmen vom Wunschkonzert für alle. Die Emissäre müssen ihre Ziele priorisieren und klar benennen, wie sie zusätzliche Ausgaben gegenfinanzieren wollen. 

Vor diesem Hintergrund empfiehlt der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, Kay Scheller, zunächst, „einen ehrlichen Kassensturz“ vorzunehmen. Scheller ist im Hauptberuf Präsident des Bundesrechnungshofes und kennt das haushalterische Innenleben des Bundes so gut wie kaum ein anderer. Und weil Scheller die Staatskasse aus dem Effeff kennt, plädiert er dafür, zu einer finanziell nachhaltigen Haushaltspolitik zurückzukehren: „Der Bundeshaushalt muss stabilisiert werden, um die gewaltigen finanzwirtschaftlichen Lasten und Herausforderungen bewältigen zu können. Der demografische Wandel und die zukunftsrelevanten Aufgaben im Klimaschutz, bei der Digitalisierung und Bildung, bei der Modernisierung und dem Ausbau der Infrastruktur sowie die Verpflichtungen Deutschlands im europäischen und internationalen Kontext erlauben kein Zuwarten.“

Kay Scheller ist Präsident des Bundesrechnungshofes. Quelle: imago images

Mutige Aufgabenkritik

Wie dies geschehen kann, erklärt der Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit gleich mit. Eine neue Bundesregierung müsse eine mutige Aufgabenkritik vornehmen mit dem Ziel sich auf „die drängendsten, dem Bund vom Grundgesetz zugewiesenen Aufgaben“ durch eine zielgenauere Ausrichtung der Sozialtransfers auf die wirklich Bedürftigen und Schwachen, durch ein Ausgabenmoratorium, wonach für jede neue Maßnahme grundsätzlich die Gegenfinanzierung durch das Beenden anderer Maßnahmen sichergestellt ist, durch zusätzliche Steuereinnahmen vor allem mittels einer verstärkten Bekämpfung von Steuerbetrug sowie durch eine kritische Überprüfung steuerlicher Subventionen und Vergünstigungen mit fehlender oder unzureichender wirtschaftlicher Wirkung oder klimaschädlichen Effekten.
All dies müsste die vornehmste Aufgabe jeder neuen Regierung sein. Dass sie auch äußerst schwierig ist, ist unbestritten. Denn an jeder bestehenden Maßnahme hängen handfeste Interessen und Besitzstände. Andererseits sollen neue Besen einem Sprichwort zufolge gut kehren. Und die Abwahl einer alten Regierung hängt in einer Demokratie auch damit zusammen, dass sie nicht mehr so gut kehrt. Indes: Nur mehr Schulden zu machen ist weder neu noch gut.

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Vor mehr Lasten warnt derweil die Wirtschaft. Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, fordert die künftige Regierung dringend auf, die Betriebe nicht noch höher zu belasten. „Das wären politische Störfeuer für den wirtschaftlichen Erholungsprozesses.“ Und der Bundesverband der Deutschen Industrie verweist auf die Spannungen in den Lieferketten, die den wiedereinsetzenden Aufschwung zu gefährden drohen. Im übrigen müsse die künftige Bundesregierung ein geeignetes Umfeld für die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft gestalten. Das spricht einmal mehr für ein Sich-ehrlich-Machen und für eine neue Priorisierung der Aufgaben und Ausgaben des Bundes.

Mehr zum Thema: Der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, bevorzugt die klare Aussprache. Im Interview mit der WirtschaftsWoche spricht er über den gewaltigen Reformdruck, den umständlichen Föderalismus – und warum so manches Digitalisierungsprojekt ein Desaster ist.

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