Söder vs. Laschet Bayern gegen NRW: Ein Check in zehn Disziplinen

Quelle: Foto: Getty Images, Illustration: WirtschaftsWoche

Laschet oder Söder? Wer das Rennen um die Kanzlerkandidatur macht, wird sich auf kritische Fragen einstellen müssen, wie es um die ökonomische Performance seines Bundeslands bestellt ist. Ein Check in zehn Disziplinen.

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Angela Merkel ist nicht dafür bekannt, viel zu loben. Vergangenes Jahr aber, nach ihrem Arbeitsbesuch beim nordrhein-westfälischen Landeskabinett, reagierte sie gegenüber Armin Laschet für ihre Verhältnisse geradezu überschwänglich: „Wenn Sie das größte Land der Bundesrepublik in einer CDU-FDP-Koalition regieren, die effizient arbeitet und nicht durch besonders viele Streitereien auffällt, dann ist das ein Rüstzeug, das durchaus Gewicht hat“, befand die Kanzlerin.

Kurz danach empfing Markus Söder die Kanzlerin zu einer Sitzung des bayrischen Kabinetts im Schloss Herrenchiemsee. Der bayrische Ministerpräsident hingegen erntete amtsneutrale Sprödigkeit: „Ich kann nur sagen, Bayern hat einen guten Ministerpräsidenten, der hat mich heute eingeladen“, sagte Merkel, als sie auf die Kanzlertauglichkeit Söders angesprochen wurde: „Mehr können Sie dazu heute von mir nicht hören.“

2020 war das. Anders gesagt: vor einer Ewigkeit.

Heute sind Armin Laschet und Markus Söder Konkurrenten um die Kanzlerkandidatur der Union – und zwar auf offener Bühne. Ihr Naturell und ihre Sichtweise auf Politik könnten kaum verschiedener sein. Welche Regierungsbilanz aber haben die Länder vorzuweisen, die sie regieren? Was haben Bayern und Nordrhein-Westfalen für Stärken, wo liegen ihre Defizite? Und wie schlagen sie sich in der Coronakrise?

Beginnen wir im Süden. Dass Bayern das Beste an Deutschland ist, daran haben sie im Süden selten den Hauch eines Zweifels. Sie bauen hier die schönsten Autos, spielen den erfolgreichsten Fußball, brauen das herrlichste Bier und verfügen über die imposantesten Universitäten. München wird immer wieder mal zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt. Die Wirtschaft lief – jedenfalls vor der Pandemie – wie ein Zwölfzylinder.

Dass das alles ein Werk der seit Dekaden regierenden CSU ist, daran haben sie hier ebenfalls keinen Zweifel. Stellt man sich Bayern und die CSU als eine Geisteshaltung vor, dann trifft man auf: Überlegenheit aus Überzeugung. Von ihr rührt die kraftmeiernde und krachlederne Selbstverständlichkeit, mit der die Christsozialen und ihre Ministerpräsidenten in der Bundespolitik ihre Sonderrollen einfordern. Mia san mia, mit Laptop und Lederhose, BMW und Bierzelt – ein Neuschwansteintraum von einem Bundesland mit gigaschnellem Internet.

Markus Söder hat sich in diesem Selbstbild von klein auf gespiegelt; er hängte sich Bayern-Legende Franz Josef Strauß als Poster übers Bett. Er meinte das nicht ironisch. Und das ganze Selbst- und Sendungsbewusstsein hat ja auch durchaus seine Berechtigung. Die starke Zentralachse Nürnberg-Ingolstadt-München stabilisiert weite Landesteile. Das Ökosystem aus erfolgreichen Industrieunternehmen, wissensbasierten Dienstleistungen und exzellenten Hochschulen ist deutschlandweit einmalig. Nirgends ist die Wirtschaft auf so hohem Niveau diversifiziert, auch nicht in Baden-Württemberg: Medizintechnik, Automotive, Medien, Luftfahrt, Software, Biotech, B2B-Plattformökonomie und Finanzprodukte.

Das ehemalige Agrarland hat sich früh für eine Industrie- und Clusterpolitik entschieden und dann konsequent durchgezogen. Bayern erhebt geringe Gewerbesteuer-Hebesätze, die Bürgermeister rollten den Firmen rote Teppiche aus, die Verwaltungen beschäftigten qualifizierte Bauingenieure.

von Bert Losse, Theresa Rauffmann, Max Haerder

Doch es gibt auch Bereiche, wo sich Bayern eher dort wiederfindet, wo es sich selbst nicht sieht: hinten. Die Kinderbetreuungsquoten sind vergleichsweise niedrig, der Ausbau der Windkraft kommt im Freistaat nicht wirklich voran. Und die im Bund forcierte CSU-Politik à la Mütterrente oder Pkw-Maut atmet auch nicht gerade Innovationsgeist.

Und Nordrhein-Westfalen, das Land der hohen Schulden und des Strukturwandels in Endlosschleife? Hier hat Armin Laschet ein erkennbares Vermittlungsproblem, denn seine Politik ist wirtschaftsfreundlicher und zupackender als ihr Ruf. Gleichzeitig hält auch der NRW-Ministerpräsident viel von einem Staat, der sich nicht raushält, sondern Steuergelder fließen lässt, wenn es als richtig angesehen wird. Schwerpunkte der NRW-Wirtschaftsförderung sind unter anderem E-Mobilität, Batteriezellenentwicklung, erneuerbare Energien und grüner Wasserstoff. Themen, die auch im Bund von höchster Relevanz sind. Gemeinsam mit dem in der Wirtschaft angesehenen FDP-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart hat Laschet außerdem die sogenannten „Entfesselungspakete“ entwickelt, mit denen unnötige bürokratische Vorschriften abgeschafft werden. Seit Amtsantritt sind in NRW bereits 59 Verwaltungshemmnisse aufgehoben worden. Immerhin.

Und doch: Vergleicht man zentrale volkswirtschaftliche und soziale Kennziffern, hat NRW gegen Bayern kaum eine Chance. Das lässt sich fairerweise nicht allein an den derzeitigen Amtsträgern festmachen, sondern folgt jahrelangen Entwicklungslinien. Gleichwohl ist die wirtschaftliche Diskrepanz bei Wohlstand und Arbeitsmarkt augenfällig – wenn auch Nordrhein-Westfalen bislang besser durch die Krise gekommen ist als Bayern.



Eine Szenarienrechnung aus dem vergangenen Jahr, erstellt von den ifo-Ökonomen Joachim Ragnitz und Robert Lehmann, schätzte die Wertschöpfungsverluste des ersten Lockdowns im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW mit 51,7 Prozent geringer ein als das Minus in Bayern mit 56,3 Prozent. Das Wirtschaftswachstum im Gesamtjahr 2020 schrumpfte nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts in Bayern um 5,5 Prozent, in NRW aber nur um 4,4 Prozent und damit geringer als im Schnitt aller Länder (minus 4,9 Prozent). In absoluten Zahlen war das Bruttoinlandsprodukt in NRW mit rund 697 Milliarden Euro höher als in Bayern (610 Milliarden Euro).

Doch drückt im Westen eine enorme Schuldenlast, angehäuft nicht zuletzt von der rot-grünen Vorgängerregierung unter Hannelore Kraft. Bevor die Pandemie losbrach, hatte es in Düsseldorf unter Schwarz-Gelb zwar erstmals seit Ewigkeiten eine schwarze Null im Haushalt gegeben. Doch bei der Pro-Kopf-Verschuldung erreicht NRW im Ländervergleich mit 12.810 Euro nur Platz 12, während Bayern mit 2401 Euro auf Rang zwei der Solidität liegt. Auch bei der Innovationskraft zieht NRW den Kürzeren. Die Zahl der Patentanmeldungen je 100.000 Einwohner lag 2020 bei 36 – in Bayern bei 99.

Ähnlich weit geht die Schere auf dem Arbeitsmarkt auseinander.



In keinem Bundesland ist die Jugendarbeitslosigkeit so gering wie in Bayern. NRW liegt in dieser Kategorie nur auf Rang 8 und ist auch schlechter als der Bundesdurchschnitt. Die Unterschiede zwischen den beiden Ländern zeigen sich auch auf kommunaler Ebene. Im großen Städtetest der WirtschaftsWoche schafften es vor wenigen Monaten mit München, Ingolstadt, Erlangen, Würzburg, Regensburg, Fürth und Nürnberg gleich sieben bayrische Großstädte in die Top 20 im Bereich Arbeitsmarkt - aber keine einzige aus NRW. Auf 100 Einwohner kommen in München drei Hartz-IV-Empfänger – in Gelsenkirchen sind es mehr als 13.

Und was ist mit den viel zitierten „weichen“ Standortfaktoren, die für Fachkräfte und Investoren immer wichtiger werden? Bei den vier ausgewählten Indikatoren innere Sicherheit, Breitbandversorgung, Krankenhausbetten und Schnelligkeit von Existenzgründungen erreicht NRW immerhin: ein Unentschieden.



In einer Kategorie, die sich von keinem Politiker beeinflussen lässt, liegt NRW sogar klar vor: Es ist dort wärmer. Der Deutsche Wetterdienst hat errechnet, dass die Durchschnittstemperatur in Bayern 2020 bei frösteligen 9,5 Grad Celsius lag – in NRW hingegen bei 11,1 Grad.
Angesichts der eisigen Winde aus den Meinungsumfragen, die Armin Laschet in diesen Tagen umwehen, ist das für ihn aber wohl kein Trost.

Mehr zum Thema: Armin Laschet – oder doch Markus Söder? Das eigentliche Problem sind nicht die Köpfe, die für die Union zur Kanzlerkandidatur drängen.

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