Sommerurlaub „Tourismus wird nach Corona nicht derselbe sein“

Die soziale Distanzierung wird Urlaub dieses Jahr verändern - und die Kapazitäten von Restaurants und Hotels verringern. Quelle: Imago

Wer sich mit einem Inlandsurlaub über die ausgefallene Auslandsreise hinwegtrösten will, sollte schnell sein. Denn nicht alle Deutschen können dieses Jahr verreisen, warnt Tourismusexperte Jürgen Schmude im Interview.

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Die Bundesregierung hat ihre Reisebeschränkungen bis zum 14. Juni verlängert – bis auf dringend notwendige Ausnahmen sollen die Deutschen in ihrer Heimatregion bleiben. Die Beschränkungen gelten nicht nur für Fahrten ins Ausland: Auch Reisen innerhalb Deutschlands sollen vermieden werden, Urlaubsreisen sind weiterhin verboten. Jürgen Schmude ist Professor für Tourismuswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft. Im Interview spricht er darüber, wann und wie die Urlaubssaison starten könnte, warum dieses Jahr nicht alle Deutschen verreisen können und wie die Tourismusbranche sich selbst ruinieren könnte.

WirtschaftsWoche: Die Bundesregierung warnt weiterhin vor touristischen Reisen ins Ausland, aber auch im Inland. Wann können die Deutschen wieder Urlaub im eigenen Land machen?
Jürgen Schmude: Das hängt vom weiteren Verlauf der Coronakrise ab, vielleicht im August oder September. Es kommt auf die Rahmenbedingungen an, zum Beispiel, wie die Abstandsregeln aussehen, wie viele Betten in Hotels besetzt werden dürfen, oder wie stark die Bahn ausgelastet werden kann. Es wird auf jeden Fall ein sehr vorsichtiger Einstieg. Denn auf allen Seiten ist die Verunsicherung groß. Egal ob Hotel, Bergbahn, Freizeitanlage oder die Reisenden selbst: Es gibt keinen exakten Fahrplan für den Exit. Da muss man die Politik aber auch in Schutz nehmen: Wer sagt, er wisse, wie es im September aussieht, ist ein Scharlatan.

Wie wird der Neustart in der Tourismusbranche denn konkret aussehen?
Das wird alles auf sehr niedrigem Niveau ablaufen. Ich glaube, dass man im Herbst in ganz Deutschland reisen darf, wenn die Ansteckungsrate nicht wieder ansteigt. Aber wenn der Tourismus eine zweite Ansteckungswelle auslöst, dann kann die Reisefreiheit auch sehr schnell wieder zurückgenommen werden. Bestimmte Aktivitäten werden voraussichtlich ohnehin nicht nachgefragt werden – hätten die Regierung von Bayern und die Stadt München beispielsweise das Oktoberfest nicht abgesagt, wären trotzdem keine sechs Millionen Besucher gekommen.

Drei von vier Kurzurlauben und mehr als jede vierte längere Reise verbringen die Bundesbürger in Deutschland. Hat unsere Tourismusbranche die nötigen Kapazitäten, um dieses Jahr allen einen Urlaub im Inland zu ermöglichen?
Nein. Dazu muss man nur überschlagen, wie viele Millionen Menschen dann innerhalb von zwei Monaten durch Deutschland reisen würden. Das wäre auch ohne Corona ein Problem gewesen, die Tourismusbranche hat dafür einfach nicht die Kapazität. Ich gehe zwar davon aus, dass nicht alle reisen wollen, aber die Regeln zur Eindämmung des Virus werden die Möglichkeiten stark einschränken. Optimisten gehen davon aus, dass wir Hotels und Restaurants zu 70 Prozent auslasten können.

Urlaub wird dieses Jahr auf jeden Fall anders. Mit welchen konkreten Einschränkungen müssen Touristen rechnen?
Ich denke da vor allem an die Abstandsregelungen. Am Strand wird man nicht Handtuch an Handtuch liegen, da gibt es bereits fragwürdige Konzepte mit Plexiglasscheiben, die eine Distanz zwischen den Urlaubern wahren sollen. Aber wie das konkret aussehen wird, ist noch sehr unsicher. Letztendlich ist auch die Frage, ob der Tourist das annimmt.

Die Abstandsregelungen gelten aber nicht nur am Strand – wie wird der Alltag in Hotels und Restaurants aussehen?
Natürlich darf auch in diesen Bereichen nicht jeder mit jedem in Kontakt kommen. In Restaurants wird man etwa Abstandsregeln zwischen den Tischen einhalten müssen und in Hotels kann nicht jedes Bett belegt werden. Ein Knackpunkt ist auch die An- und Abreise – das muss Berührungsfrei ablaufen. Auch das Buffet wird nicht ablaufen wie gewohnt: Da wird man andere Konzepte anwenden, vielleicht eine direkte Bedienung der einzelnen Tische.

Welche Maßnahmen könnten helfen, um allen einen Inlandsurlaub zu ermöglichen?
Eine klare Kommunikation ist der Schlüssel. Wenn man weiß, wie viele Leute in eine bestimmte Region reisen können, werden viele auch überlegen ob sie nicht Urlaub in Balkonien machen. Denn es gibt ja auch den Tagestourismus. Der ist allerdings noch schwerer zu kontrollieren: Wir können schließlich keine Eintrittskarten nach Schleswig-Holstein ausstellen, um Menschenansammlungen zu vermeiden.

Viele Betriebe und Arbeitnehmer bangen um ihre Existenz, fast sieben Prozent der Erwerbstätigen arbeiten in der Tourismusbranche. Können deutsche Reisende die ausbleibenden Einnahmen durch ausländische Urlauber ausgleichen?
Zum Teil schon. Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen inländischen Touristen und ausländischen Reisenden: Sie suchen unterschiedliche Ziele auf. Binnentouristen fahren an die klassischen Erholungsorte, wie Küsten oder das Mittelgebirge, während ausländischen eher in die Innenstädte und zu Kulturzielen reisen.

Könnten viele Anbieter bereits pleite sein, bevor die Reisesaison anlaufen kann?
Das hängt von den Hilfen der Bundesregierung ab. Natürlich werden wir einige Pleiten bei Reisebüros und Veranstaltern, aber auch in der Beherbergung nicht verhindern können. Eine gewisse Marktbereinigung gehört allerdings dazu – das haben wir ja auch außerhalb von Krisenzeiten.

Wie lange wird es dauern, bis sich die Branche von den coronabedingten Schäden erholt?
Die Umsätze, die jetzt verloren gehen, wird man nicht aufholen können. Wir können Hotels ja nicht zu 150 Prozent belegen. Bis die Folgen von Corona bewältigt sind, müssen je nach Verlauf bis zu drei Jahre eingeplant werden. Zudem wird der Tourismus nach Corona wird nicht derselbe sein wie vor Corona. Zunächst ist damit zu rechnen, dass Reisen wieder etwas teurer wird. Aber auf der anderen Seite gibt es die Befürchtung, dass es zu einem Preiskampf kommt, um Touristen anzulocken. Das könnte genau so ruinös für die Branche sein, wie der Shutdown.

Wann werden wir wieder normalen Urlaub machen können?
Die Hoffnung ist, dass wir 2021 ein relatives normales Reisejahr haben. Das hängt aber davon ab, ob es bis dahin einen Impfstoff gibt und ob es eine zweite Welle geben wird. Nach der Kurzstrecke wird die Mittelstrecke zurückkommen, also Reisen in die EU-Nachbarländer. Erst dann, in der dritten Phase, kommt dann die Langstrecke. Derzeit kann man aber nicht seriös voraussagen, wann diese Phasen kommen werden.

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