Sommerzeit und Winterzeit „Die Politik sollte die Zeitumstellung abschaffen“

Ab Sonntag kann in Deutschland wieder eine Stunde länger geschlafen werden. Dann gilt die Winterzeit. Aus Expertensicht bringt die Umstellung keine Vorteile und gehört abgeschafft. Einige Parteien sehen das genauso.

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Die Sommerzeit ist seit ihrer Einführung umstritten. Quelle: dapd

Berlin In Deutschland werden die Uhren in der Nacht zum Sonntag wieder auf Winterzeit zurückgestellt. Für ein halbes Jahr gilt dann die Mitteleuropäische Zeit. Anschließend wird erneut gewechselt. So sicher wie der Dreh an den Uhrzeigern, so sicher ist auch die Diskussion, ob die Zeitumstellung nötig ist.

Zu Recht, meint Korbinian von Blanckenburg. Für den Volkswirtschaftsprofessor an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe bringt das Vor- und Zurückstellen der Uhren wirtschaftlich keinerlei Vorteile. Eine Reform sei daher überfällig. Die FDP kündigte schon an, in den Sondierungen zur Jamaika-Koalition für eine Abschaffung der Sommerzeit zu werben. Die EU-Kommission prüft derzeit die Forderungen.

„Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die Zeitumstellung mehr als fraglich. Der ursprüngliche Zweck der Energieersparnis wird klar verfehlt“, sagte der Ökonom von Blanckenburg dem Handelsblatt. „Die Politik sollte die Zeitumstellung endlich abschaffen.“ Dabei wäre aus Sicht des Forschers eine europäische Lösung sinnvoll. „Für die EU eine echte Chance, denn in allen Mitgliedsländern wird die Zeitumstellung von der Bevölkerung weitestgehend abgelehnt.“

Seine Forderung begründete von Blanckenburg mit aktuellen Studien. Danach zeige sich, dass ein System mit einer ganzjährigen Sommerzeit der Zeitumstellung in Bezug auf die Stromersparnis überlegen sei. „Dies liegt daran, dass der Hauptstromverbrauch der Haushalte in den Abendstunden stattfindet und stark von der Helligkeit abhängig ist“, erläuterte der Ökonom. „Eine ganzjährige Sommerzeit nutzt die Abendhelligkeit am besten aus und führt damit zu einem geringeren Verbrauch als die Zeitumstellung oder eine ganzjährige Winterzeit.“ Hinzu kämen andere „schwer abzuschätzende volkswirtschaftliche Kosten der Zeitumstellung“, etwa in Form von „Nutzenverlusten“ durch geringere Produktivität oder Gesundheitsstörungen.

Die Sommerzeit ist seit ihrer Einführung umstritten. Viele Menschen klagen darüber, dass ihnen eine Stunde Schlaf fehlt. Eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov ergab im Frühjahr, dass rund 47 Prozent der Bundesbürger am Sonntagfrüh den Schlafmangel spüren. 60 Prozent würden die Umstellung gern ganz abschaffen.

Erstmals eingeführt wurde die Sommerzeit in Deutschland während des Ersten Weltkriegs. Zwischen den Weltkriegen und nach dem Zweiten Weltkrieg schaffte man die Umstellung jedoch wieder ab. Erst 1980 wurde sie mit dem Ziel, das Tageslicht besser zu nutzen, erneut eingeführt. Der Effekt ist jedoch umstritten.


„Die Sommerzeit ist relativ überflüssig“

„Die Sommerzeit ist relativ überflüssig“, urteilte etwa im vergangenen Jahr das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (Tab). Das Tab ist eine selbstständige wissenschaftliche Einrichtung, die die Bundestagsabgeordneten und die Parlamentsausschüsse in Fragen des wissenschaftlich-technischen Wandels berät.

Die EU-Kommission hatte sich 2007 auch schon mit dem Thema beschäftigt und herausgefunden, dass, abgesehen von der Begünstigung von Freizeitaktivitäten und der Erzielung geringfügiger Energieeinsparungen, die Auswirkungen der Sommerzeit kaum ins Gewicht fallen würden. Auch die Tab-Experten konstatieren in ihrer Studie zur Bilanz der Sommerzeit, dass die Auswirkungen weder in die eine noch andere Richtung in „relevantem Maß“ messbar seien. Die Energieeinsparmöglichkeiten, weswegen der Zeitenwechsel eingeführt worden war, seien nur in sehr geringem Umfang nachweisbar. Positive Effekte gebe es lediglich im Photovoltaikbereich. Auch die Wirtschaft habe sich im Wesentlichen mit der Sommerzeit arrangiert.

Rechtlich gesehen ist es Deutschland nicht möglich, die Zeitumstellung im Alleingang abzuschaffen. Jede Änderung des gegenwärtig bestehenden halbjährlichen Wechsels zwischen Normalzeit und Sommerzeit erfordert eine Änderung der entsprechenden EU-Richtlinie. Und ob ein Verfahren zur Änderung der Sommerzeitregelung eingeleitet werde, geben die Experten zu bedenken, liege allein im Ermessen der EU-Kommission, die dazu auch erstmal aufgefordert werden muss.

Inzwischen prüft die EU-Kommission Forderungen nach einer Abschaffung der Sommerzeit. Die Frage werde derzeit unter Berücksichtigung aller verfügbaren Informationen untersucht, bestätigte eine Sprecherin am Freitag. Sobald es ein Ergebnis gebe, werde man die Öffentlichkeit darüber informieren.

Der FDP ist die Zeitumstellung auch ein Dorn im Auge. „Zwar macht die Abschaffung nur dann Sinn, wenn andere Länder der EU auch mitmachen“, sagte Michael Theurer aus dem FDP-Präsidium der „Rhein-Neckar-Zeitung“. Aber „eine deutsche Regierung, die das Vorhaben entschlossen vorantreibt, kann dann auch auf europäischer Ebene überzeugen“, sagte er. Sowohl für Privatleute als auch für Unternehmen bedeute es unnötigen Aufwand, wenn an der Uhr gedreht werde.

Die FDP fordert bereits seit Jahren ein Ende der Sommerzeit. Vor einem Jahr plädierte auch die Union dafür, die Sommerzeit abzuschaffen. Auch wenn die gesundheitlichen Auswirkungen noch so gering seien, seien sie möglicherweise vorhanden. Zudem koste die Zeitumstellung jedes Mal viel Geld, ohne dass Deutschland einen Nutzen davon habe. Auch die Linke forderte eine Abschaffung. Zur Begründung verwies ein Vertreter der Fraktion darauf, dass es allein in der Legislaturperiode zur Abschaffung der Sommerzeit 571 Petitionen im Bundestag gegeben habe, so viele wie bei sonst keinem anderen Thema.

Die Vertreter der SPD und der Grünen machten damals deutlich, dass angesichts der aktuell brisanten Themen wie der Lösung der Flüchtlingskrise das Thema Zeitumstellung nicht oben auf der Agenda stehe. Möglicherweise greift der neue Bundestag das Thema wieder auf.

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