Sonderausschuss zu Ausschreitungen Olaf Scholz bleibt bei seiner Verteidigungslinie

Der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz sprach vor einem Sonderausschuss zu den Ausschreitungen beim G20-Gipfel. In echte Bedrängnis kam er nicht – überzeugen ließen sich die Abgeordneten aber auch nicht.

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Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz kommt im Rathaus in Hamburg zu Beginn des G20-Sonderausschusses im Tagungssaal an. Quelle: dpa

Hamburg Olaf Scholz will schon vor dem G20-Gipfel intensiv über Sicherheitsprobleme nachgedacht haben. Als besonderes Ereignis habe ihm dabei der Tod eines Demonstranten beim Gipfel in Genua im Jahr 2001 gegolten. „Das ist mir natürlich sehr präsent gewesen“, sagte der Bürgermeister am Donnerstagabend vor dem Sonderausschuss im Hamburger Rathaus. „Mehrere Freunde und Journalisten haben mir vorher gesagt: Wenn wie in Genua jemand stirbt, dann kannst du nicht im Amt bleiben. Da habe ich gesagt: Das weiß ich – selbst wenn ich keine persönliche Schuld tragen sollte.“ Scholz beharrte aber darauf, die umfangreichen Krawalle seien nicht zu erwarten gewesen.

Der Sonderausschuss befasst sich mit der Aufklärung der Krawalle und des Verkehrszusammenbruchs beim Gipfel im Juli. Tote gab es damals nicht, aber zahlreiche Verletzte und hohe Sachschäden. Am Donnerstag stand Scholz dem Gremium im prächtigen Festsaal des Rathauses erstmals Rede und Antwort. In zweieinhalb Stunden ging es um die Vorbereitung des Gipfels. Scholz soll noch zu zwei weiteren Terminen im Ausschuss sprechen.

Scholz blieb bei seiner bekannten Verteidigungslinie. Er berief sich vor allem auf ein Treffen am 29. Mai 2017 in Berlin – also gut einen Monat vor dem Gipfel. Damals hätten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) sowie die Spitzen der Bundespolizei, des Verfassungsschutzes und der Hamburger Sicherheitsbehörden getroffen und versichert, der Gipfel sei sicher durchführbar.

Es sei zu erwarten gewesen, dass die Linksextremisten nur Aktionen tätigen würden, die Unterstützung in der Bevölkerung erfahren könnten. Daher sei nicht mit den großen marodierenden Gruppen zu rechnen gewesen, die tatsächlich etwa Autos von Anwohner in Brand setzten. Vielmehr seien von den Aktivisten Aktionen gegen Logistik im Hafen und Infrastruktur sowie gegen die Gipfelorganisation selbst angekündigt gewesen.

CDU-Fraktionschef André Trepoll hielt dagegen. Er zitierte aus einer Lagebeurteilung der Polizei. Demnach hätten die Sicherheitskräfte bereits im Vorfeld damit gerechnet, dass Gewalttäter allgemein einen „Kontrollverlust“ des Staates hervorrufen wollten und daher mit einer „Eskalation im Straßenkampf“ zu rechnen gewesen sei. Die Polizei rechnete demnach damit, dass der „Einsatz härtester körperlicher Gewalt“ nötig sein werde. „Herr Scholz, dieses Konzept ‚Out of Control‘ war Ihnen nicht bekannt?“, zweifelte Trepoll. Er verwies auf vor dem Gipfel zirkulierende Stadtpläne, auf denen Aktivisten etwa den Nobelvorort Blankenese als mögliches Ziel von Aktionen gekennzeichnet hatten. Sämtliche im Vorfeld von den Behörden skizzierten Szenarien seien eingetroffen.

Scholz bekam von Trepoll wiederholt den Rahmenbefehl an die Polizei vorgehalten, nach dem das Anzünden von Autos zu erwarten gewesen sei – auch in entfernten Stadtteilen.

Scholz sagte, er habe den Befehl vor dem Gipfel nicht gekannt. Trepoll interpretiere das Dokument zudem falsch. „Das ist ein klassisches Phänomen des Lesens von Lagebeurteilungen der Polizei im Nachhinein“, maßregelte auch Innenstaatsrat Bernd Krösser den CDU-Politiker. Die Polizei sei zwar auf randalierende Kleingruppen mit bis zu zehn Personen eingestellt gewesen, jedoch nicht auf große marodierende Gruppen, die tatsächlich etwa in der noblen Elbchaussee reihenweise Autos anzündeten.

Auch die Linken-Abgeordnete Christiane Schneider kritisierte die Einschätzung vor dem Gipfel. Es sei schon vor dem Gipfel weitverbreitete Ansicht in der Stadt gewesen, dass es zu schlimmen Vorfällen kommen könnte. „Ich hatte im Vorfeld ziemlich viel Angst. Ich hatte Angst vor Toten“, sagte sie. „Die Gräben zwischen Gipfel-Befürwortern und -Gegnern wurden immer tiefer. Es gab eine absolute Sprachlosigkeit zwischen beiden Seiten“, erinnerte sie sich. Scholz habe mit seiner pauschalen Sicherheitsgarantie und dem Vergleich des Gipfels mit dem Volksfest Hafengeburtstag diese Gräben vertieft, statt sie zu überbrücken.

Auch die FDP-Abgeordnete Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein ging Scholz an. „Wie kamen Sie dazu, der Stadt die Sicherheit zu garantieren? Was hat Sie wirklich bewegt, das zu tun – das passt gar nicht zu Ihnen“, fragte Treuenfels-Frowein.


Beim Thema Kosten macht Scholz Zugeständnisse

In echte Bedrängnis kam Scholz dennoch kaum. Er beteuerte: „Ich will keine andere Antwort geben als die wahre: Ich war davon überzeugt, dass es am Ende auch so gewesen sein wird.“ Er sagte, es sei im Vorfeld jederzeit möglich gewesen, den Gipfel in Hamburg wegen Sicherheitsbedenken abzusagen. Dazu habe aber niemand geraten. Zudem hätten die Organisatoren Wert darauf gelegt, möglichst viele friedliche Demonstrationen zuzulassen und sich Sperrzonen um das Veranstaltungsgelände klein zu halten.

Oppositionsführer Trepoll zeigte sich nicht überzeugt. „Wo sind Sie eigentlich am 1. Mai in Hamburg?“, fragte er den Bürgermeister. Da gebe es regelmäßig ähnliche Szenen im Schanzenviertel. „G20 ist nach wie vor eine schwere Hypothek für Hamburg.“

Scholz habe Konsequenzen versprochen, aber nicht geliefert. So habe sich etwa im autonomen Zentrum „Rote Flora“ nichts geändert. „Sie beschäftigen sich eher mit der Bundes-SPD als mit den Konsequenzen aus G20“, beklagte er. Er zitierte den Titel von Scholz’ Thesenpapier zur SPD: „Keine Ausflüchte!“ Auch der CDU-Innpolitiker Dennis Gladiator warf Scholz vor, alle Warnungen aus dem politischen Raum ignoriert zu haben.

Unterstützung bekam Scholz von der AfD – zumindest teilweise. Ex-Innensenator Dirk Nockemann lobte, Scholz habe sich nach dem Gipfel stark hinter die Polizei gestellt. Es sei zudem klar, dass die Sicherheit von Staatsgästen immer oberste Priorität habe. AfD-Mann Nockemann griff sogar den Oppositionskollegen Trepoll an. Dieser habe nie politische Verantwortung getragen und könne die Dokumente nicht einschätzen.

Obwohl der Ausschuss meterweise Akten bekommen hatte – mit vielen Schwärzungen – tauchte belastendes Material offenbar nicht auf. Bisher nicht bekannte Fakten kamen kaum auf den Tisch. Scholz beschrieb erneut den Ablauf der Idee, den Gipfel in Hamburg zu veranstalten. Bundeskanzlerin Merkel habe ihn am 19. November 2015 angerufen und gefragt, ob der Gipfel in Hamburg ausgerichtet werden könnte. Dabei habe sie darauf verwiesen, dass Hamburg sich ja auch um Olympia beworben habe. Erst im Februar, nach dem Scheitern des Referendums zur Spiele-Bewerbung, habe die Kanzlerin den G20-Plan offiziell verkündet. Zuvor sei nur ein kleiner Kreis eingeweiht gewesen, darunter die Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne).

Bei der Vorbereitung sei auch über die Finanzen gesprochen worden. In mehreren Runden seien 50 Millionen Euro verabredet worden. „Das ist auch ok“, sagte Scholz. Er habe die Summe – anders als andere Bundesländer – nicht künstlich hochrechnen wollen. „Wir haben nicht irgendwelche Kruzifixe für die Polizei oder was wir immer schon mal haben wollten auf eine Liste gesetzt“, sagte er. Allerdings musste Scholz eingestehen, der Zuschuss sei nicht kostendeckend. Mehrfach hielten ihm Abgeordnete vor, er habe zuvor in zwei Interviews aus dem Frühjahr 2017 den Eindruck erweckt, die 50 Millionen Euro seien weitgehend kostendeckend. Scholz sagte nun, der Kostenrahmen sei nicht fest abzusehen gewesen. „Ich habe der Polizei gesagt, sie bekommt, was sie braucht“, sagte Scholz.
Der Spitzenpolitiker verteidigte zudem seine Entscheidung, während der Ausschreitungen nicht vor Ort zu sein, sondern etwa beim G20-Konzert in der Elbphilharmonie zu bleiben. Es sei „das fieseste, was man der Polizei antun“ könne, während so einer Lage vor Ort zu sein und geschützt werden zu müssen. Schließlich gelang es Scholz sogar teilweise, den Auftrag des Ausschusses umzudeuten. Es sei auch seine Aufgabe zu prüfen, welche Konsequenzen für künftige Veranstaltungen zu ziehen seien. Es dürfe keine Konsequenz sein, dass solche Veranstaltungen nicht mehr stattfinden könnten.
Die Opposition zeigte sich wenig zufrieden von den Erklärungen. CDU-Fraktionschef Trepoll bemängelte, Scholz wolle nur wenig preisgeben. So habe er in seiner Eingangserklärung vor allem seine eigene Regierungserklärung zitiert, die er wenige Tage nach dem Gipfel abgegeben hatte.

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