Sondierungsergebnisse Unerwartetes Lob von der Rentenversicherung

Während die Wirtschaft kaum ein gutes Haar an den Rentenplänen von Union und SPD lässt, kommt überraschend deutliches Lob von der Rentenversicherung. Allerdings nicht zum Ausbau der Mütterrente.

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Anders als die Wirtschaft sieht die Rentenversicherung die meisten Rentenbeschlüsse und Union und SPD positiv. Sie will sie aber nicht alle bezahlen. Quelle: dpa

Berlin Wer erwartet hätte, die Beschlüsse der Großen Koalition zur Rentenpolitik würden nach der Ablehnung durch die Wirtschaftsverbände nun auch bei der gesetzlichen Rentenversicherung schon wegen der hohen Kosten auf Kritik stoßen, wird jetzt eines besseren belehrt. Ausdrücklich signalisierte die Rentenversicherung am Wochenende ihre Zustimmung – zumindest, was die Stoßrichtung der Pläne angeht, zukünftige Altersarmut zu vermeiden.

Das gilt vor allem für die Absicht von SPD und Union, das Rentenniveau in Zukunft nicht weiter sinken zu lassen. „Aus Sicht der Rentenversicherung ist zu begrüßen, dass die zwischen Union und SPD getroffenen Vereinbarungen auf lange Sicht eine doppelte Haltelinie für Beiträge und Rentenniveau vorsehen“, lobte die Rentenversicherung Bund den Plan von Schwarz-Rot, sowohl den Rentenbeitrag in der Zukunft nicht über eine noch zu bestimmende Größenordnung steigen, noch das Rentenniveau ins Bodenlose sinken zu lassen. Über die Details soll eine Rentenkommission entscheiden, die zeitnah nach der Regierungsbildung eingesetzt werden soll.

Sie fordert aber, dass die Belastungen für die Beitragszahler und Rentner dabei in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen müssten. Dies könnte bedeuten, dass ein Teil der Kosten einer langfristigen Stabilisierung des Rentenniveaus durch zusätzliche Steuerzuschüsse aufgebracht werden müsste. Genau dieses sieht das Rentenkonzept vor, dass Ex-Arbeitsministerin Andrea Nahles schon im Herbst 2016 vorgelegt hatte.

Auch die fest vereinbarte Stabilisierung des Rentenniveaus bei den heute erreichten 48 Prozent des Nettoeinkommens vor Steuern bis zum Jahr 2025 findet die ausdrückliche Zustimmung der Rentenversicherung. Sie sei „ein Schritt zur Stärkung und Aufrechterhaltung des Vertrauens der Bürger in die Stabilität und Solidität der gesetzlichen Rentenversicherung“, heißt es dazu. Und ergänzend: „Diese Maßnahme wäre allerdings mit Mehrkosten verbunden, deren Höhe von den weiteren Reformmaßnahmen und deren Finanzierung abhängig ist.“

Das Lob auch deshalb bemerkenswert, weil in der Selbstverwaltung der Rentenversicherung auch die Arbeitgeber vertreten sind. Sie sehen die Rentenpläne nämlich weit aus skeptischer. So warf Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer SPD und Union vor, das Pferd in der Rentenpolitik von hinten aufzuzäumen, weil sie zuerst teure Leistungsverbesserungen wie die Stabilisierung des Rentenniveaus verspreche und dann eine Rentenkommission einsetzen wolle.

Zu den von der Wirtschaft kritisierten teuren Leistungsverbesserungen gehört auch eine Solidarrente für langjährig Versicherte, die mindestens zehn Prozent über der regionalen Grundsicherung liegen soll und weitere Verbesserungen für Erwerbsminderungsrentner. Das ganze Geld, das in Zukunft für diese Verbesserungen ausgegeben werden soll, wäre bei einer höheren steuerlichen Entlastung des Mittelstands oder Investitionen in die Zukunft besser aufgehoben, sagte Kramer. Dies vor allem dann, wenn sich die Politik darauf konzentrieren würde, auch noch nach 2030 45 Millionen Menschen in Arbeit zu halten.

Tatsächlich würde ein solch hoher Beschäftigungsstand dazu führen, dass das Rentenniveau quasi automatisch nicht so stark abfallen müsste. Nach aktuellen Prognosen ist aus demografischen Gründen ab 2024 ein Rückgang der Beschäftigtenzahlen um rund fünf Millionen allein deshalb zu erwarten, weil die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen. Allerdings könnte dieser Aderlass durch eine gezielte Zuwanderungspolitik ausgeglichen werden, auf die sich Union und SPD ja auch im Grundsatz verständig haben.


Zuwanderungspolitik soll demografische Entwicklung auffangen

Auch beim Thema Solidarrente kommt die Rentenversicherung Bund zu einem anderen Urteil als die kritische Wirtschaft. Sie lehnt die neue Sozialleistung nicht grundsätzlich ab, sondern fordert lediglich, sie sachgerecht aus Steuern zu finanzieren. Außerdem ist sie nicht bereit, die neue Grundsicherung im Alter auszuzahlen, auf die nur Bedürftige einen Anspruch haben sollen: „Bedürftigkeitsgeprüfte Leistungen sind der Rentenversicherung fremd und Kapazitäten dafür auch nicht vorhanden.“ Zudem solle die neue Bundesregierung darauf achten, eigentumsrechtlich geschützte Rentenansprüche und bedürftigkeitsorientierte Sozialleistungen nicht miteinander zu vermischen.

Geradezu begeistert ist die Rentenversicherung im Gegensatz dazu vom Plan, die Erwerbsminderungsrenten weiter zu erhöhen. Sie waren in der vergangenen Legislaturperiode schon zwei Mal verbessert worden. „Damit wird für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen auf die Zahlung einer Erwerbsminderungsrente angewiesen sind, ein weiterer Schritt zur Vermeidung von Altersarmut getan.“ Die Rentenversicherung habe schon in der Vergangenheit wiederholt deutlich gemacht, dass gerade für Erwerbsgeminderte zielgerichtete Lösungen zur Bekämpfung von Altersarmut notwendig seien, hieß es in der Pressestelle.

Union und SPD haben sich darauf verständigt, die Zurechnungszeit in der Rentenversicherung in einem ersten Schritt auf 65 Jahre und acht Monate anzuheben. Anschließend soll die Zurechnungszeit parallel zur Regelaltersgrenze schrittweise bis zum Alter 67 verlängert werden. Dies bedeutet, dass die Rente so berechnet wird, als hätten die Erwerbsgeminderten bis zu dem entsprechenden Alter weiter gearbeitet. Heute liegt die Grenze bei 62 Jahren und drei Monaten.

Auch die geplante Versicherungspflicht für Selbstständige stößt bei der Rentenversicherung auf Zustimmung. Sie sei sinnvoll, weil schon heute doppelt so viele Selbständige Grundsicherung im Alter beantragen wie andere Berufsgruppen. „Die Rentenversicherung hat ein gutes Angebot für Selbständige. Die vorgeschlagene „Opt-out-Lösung“ ist eine Möglichkeit, auf diese Situation zu reagieren.“ Tatsächlich liegt die Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung wegen das aktuell besonders niedrigen Beitragssatzes von 18,6 Prozent derzeit höher als vergleichbare Riester- und Rürup-Renten-Angebote. Dies vor allem deshalb, weil die Rentenversicherung ohne zusätzliche Kosten auch biometrische Risiken wie Erwerbsunfähigkeit abdeckt. SPD und Union haben sich daher darauf verständigt, dass jeder Selbstständige, der kein eigenes berufsständisches Versorgungwerk hat wie Anwälte, Ärzte oder Ingenieure, automatisch in der Rentenversicherung abgesichert wird – es sei denn er entscheidet sich für eine andere Form gleichwertiger Absicherung. Diese aber wird in der Regel – Stand heute – deutlich höhere Beiträge kosten als ein Beitritt zur Rentenversicherung.

Gar nicht glücklich ist die Rentenversicherung allerdings über den von der CSU durchgesetzten weiteren Ausbau der Mütterrente. „Die vereinbarten Verbesserungen bei Kindererziehungszeiten für Mütter, die drei oder mehr Kinder vor 1992 geboren haben, kosten bis zu vier Milliarden Euro jährlich“, rechnet sie vor. Dieses Geld dürfte auf keinen Fall bei den Beitragszahlern zur Rentenversicherung abkassiert werden, wie dies bei der ersten Stufe der Mütterrente der Fall sei. „Bei der Verbesserung der Kindererziehungszeiten handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie ist in vollem Umfang aus Steuermitteln zu finanzieren.“

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