1. Die Jamaika-Koalition ist nicht an der FDP gescheitert.
Blame Game nennt man das, was seit ein paar Stunden in Berlin passiert: Alle Jamaika-Parteien versuchen, einander die Verantwortung für das Scheitern der Sondierungsgespräche zuzuschieben. Dabei zeigen momentan die meisten Finger auf die FDP.
Doch Koalitionen funktionieren, wenn es klare Absprachen und ausreichend Vertrauen zwischen den Beteiligten gibt.
Das hat die Große Koalition der vergangenen vier Jahre gezeigt, das beweisen die Jamaika-, Ampel- und Kenia-Bündnisse in den Bundesländern. Heutzutage regieren kaum noch Koalitionen, die sich als natürliche Bündnispartner verstehen wie die FDP und die Union zu Helmut Kohls Zeiten. Umso wichtiger sind eine gute Gesprächsebene zwischen den Entscheidern und klare Verabredungen.
Jamaika-Gespräche gescheitert - Statements der Beteiligten
„Meine Damen und Herren,
es ist ja schon der frühe Morgen, und ich möchte mich als erstes Mal bei unseren Gastgebern hier in der baden-württembergischen Landesvertretung bedanken, die an einem wirklich, ich würde fast sagen historischen Tag uns Gastfreundschaft gewährt haben. Hinter uns liegen vier Wochen intensivster Verhandlungen, und ich glaube, ich kann für CDU und CSU sagen, dass wir nichts unversucht gelassen haben, um doch eine Lösung zu finden.
Wir haben dabei vieles erlebt, sehr unterschiedliche Kulturen von Verhandlungsstilen, und bei den Grünen durchaus bei allen Sympathien manchmal etwas gewöhnungsbedürftig, bei der FDP sehr entschieden, aber wir glauben, dass wir auf einem Pfad waren, auf dem wir hätten eine Einigung erreichen können.
Natürlich mit Abstrichen, das beinhaltet eine Koalition, bei der Partner sich finden sollen, die sehr sehr große Wege zu gehen haben, und deshalb bedaure ich es auch, bei allem Respekt für die FDP, dass wir keine gemeinsame Lösung finden konnten.
Wir hatten aus unserer Perspektive der Union sehr vieles erreicht in diesen Verhandlungen, was die Stabilität des Landes gestärkt hätte, sowohl die Frage der wirtschaftlichen Entwicklung, bei den schweren Fragen der Erwartungen der Grünen an die Leistungen im Blick auf den Klimaschutz, aber vor allen Dingen auch was soziale Fragen anbelangt, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in den ländlichen Räumen.
Wir haben interessanterweise die erste Einigung über die Landwirtschaftspolitik erzielt, das wäre und ist, weil es bleibt, ja auch ein interessanter Bestandteil, was vielleicht auch versöhnend auf unsere Gesellschaft hätte wirken können, und jetzt müssen wir trotzdem mit den Tatsachen umgehen. Tatsache heißt, dass wir keine Sondierungsgespräche erfolgreich abschließen konnten. Das bedeutet, dass ich morgen den Bundespräsidenten kontaktieren werde, ihn natürlich informieren werde über den Stand der Dinge, und dass wir dann schauen müssen, wie sich die Dinge weiter entwickeln.
Wir, CDU und CSU gemeinsam, ich sage das ausdrücklich, werden Verantwortung für dieses Land auch in schwierigen Stunden übernehmen und auch weiter sehr verantwortungsvoll handeln. Denn die Menschen in Deutschland haben sich heute mehrheitlich gewünscht, dass wir zusammenfinden. Und denen fühlen wir uns verpflichtet. Und wir werden dazu beitragen, mit unseren Kräften, die wir haben, zum Zusammenhalt dieses Landes auch einen Beitrag zu leisten.
Natürlich war ein ganz zentrales Thema das Thema der Migration, der Zuwanderung, hier gab es nicht die großen Unterschiede mit der FDP, aber hier so unsere Einschätzung hätten wir auch eine Lösung mit den Grünen finden können. Und wir wissen, dass wir dieses Land zusammenführen müssen und so werden wir in den nächsten Wochen in einem Weg, den wir nicht genau beschreiben können, natürlich unser verantwortliches Handeln auch weiter fortsetzen.
Es ist ein Tag mindestens des tiefen Nachdenkens, wie es weitergeht in Deutschland. Aber ich will Ihnen sagen, ich als Bundeskanzlerin, als geschäftsführende Bundeskanzlerin, werde alles tun, das dieses Land auch durch diese schwierigen Wochen gut geführt wird.“
„Meine Damen und Herren,
wir haben jetzt vier Wochen hart gearbeitet, um eine Regierung für die Bundesrepublik Deutschland zu bilden. Es waren intensive Gespräche, die auch für mich eine inhaltliche und auch persönliche Bereicherung waren - bei den Verhandlungspartnern, mit denen wir uns beinahe täglich getroffen haben.
Die FDP ist heute ausgestiegen, hat die Verhandlungen abgebrochen. Das ist schade. Das bedeutet gleichzeitig eine Belastung für die Bundesrepublik Deutschland insgesamt, weil wir trotz großer politischer Herausforderungen national und weltweit im Moment eben nicht zu einer neuen Regierungsbildung kommen konnten.
In allen Themenbereichen, in denen wir unterwegs waren, hatten wir entweder schon Verständigungen, zum Beispiel in der schon angesprochenen Landwirtschaft. Das war ja zwischen Union und Grüne ein besonders schwieriges Feld. Aber die Akzeptanz, dass wir eine Landwirtschaft, die auch verstärkt mit den Bauern der ökologischen Förderung zugeführt wird, war das schon ein sehr bemerkenswertes Ergebnis. Auch in vielen anderen Bereichen, wenn es um den Wohnungsbau, um soziale Fragen, um wirtschaftliche Fragen ging, waren die Ergebnisse zum Greifen nahe.
Ich bin über weite Stecken des heutigen Tages davon ausgegangen, dass es am Ende dieses Tages auch zur Regierungsbildung oder zur Koalitionsbildung kommen kann im Sinne von Sondierungsergebnissen, die wir unseren Parteigremien vorlegen können. Ich sage ausdrücklich, auch in der ganzen schwierigen Frage der Zuwanderung, eines Regelwerks für die Zuwanderung, das alle Aspekte umfasst, von der Bekämpfung der Fluchtursachen bis zur Begrenzung der Zuwanderung, wäre eine Einigung möglich gewesen.
Das hätte uns ermöglicht, eine Antwort auf das Wahlergebnis zu geben, nämlich die Polarisierung in der Bundesrepublik Deutschland zu überwinden und politisch radikale Kräfte zurückzudrängen. Das wäre die erste Voraussetzung gewesen. Deshalb sage ich, es ist schade, dass es nicht gelungen ist, dies zum Ende zu führen, was zum Greifen nahe war.
Ich habe heute vor den beiden Delegationen der CDU und der CSU der Bundeskanzlerin gedankt. Gedankt für diese Verhandlungsführung, die sie ohne Unterbrechung in diesen vier Wochen persönlich durchgeführt hat. Das erfordert höchsten Einsatz, höchste Konzentration, höchste Kompetenz. Und die Delegationen von CDU und CSU haben dies mit einem lang anhaltenden Beifall zum Ausdruck gebracht. Danke, Angela Merkel, für diese vier Wochen.“
„Ja meine Damen und Herren,
wir haben Stunden, Tage und Wochen miteinander gerungen, und heute am Tag länger als wir uns ursprünglich vorgenommen haben. Wir haben als Freie Demokraten in den letzten Wochen zahlreiche Angebote zum Kompromiss unterbreitet, unter anderem zu Beginn in der Steuerpolitik, in der Europapolitik, in Fragen der Einwanderung, in der Bildungspolitik. Denn wir wissen, das Politik vom Ausgleich lebt. Und mit knapp elf Prozent kann man nicht den Kurs einer ganzen Republik diktieren.
Unsere Bereitschaft zum gemeinsamen Handeln zeigen wir ja übrigens auch in Regierungsbeteiligungen in den Ländern mit Union, mit SPD und mit den Grünen.
Nach Wochen liegt aber heute unverändert ein Papier mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor. Und dort, wo es Übereinkünfte gibt, sind diese Übereinkünfte erkauft mit viel Geld der Bürger oder mit Formelkompromissen. Wir haben gelernt, dass auch durchaus gravierende Unterschiede zwischen CDU und CSU und FDP überbrückbar gewesen wären. Da ist wieder auch eine neue politische Nähe, auch menschliche Nähe, gewachsen. Aber am heutigen Tag wurde keine Bewegung, keine neue Bewegung, keine weitere Bewegung, erreicht, sondern es wurden Rückschritte gemacht, weil auch erzielte Kompromisslinien noch einmal in Frage gestellt worden sind.
Es hat sich gezeigt, dass die vier Gesprächspartner keine gemeinsame Vorstellung von der Modernisierung unseres Landes und vor allen Dingen keine gemeinsame Vertrauensbasis entwickeln konnten. Eine Vertrauensbasis und eine gemeinsam geteilte Idee, sie wären aber die Voraussetzung für stabiles Regieren.
Wir wissen nicht, was in den nächsten Jahren auf Deutschland in Europa und der Welt zukommt. Aber wenn dann vier Partner schon nicht in der Lage sind, bei dem Absehbaren einen gemeinsamen Plan zu entwickeln, nach so langer Zeit und so intensivem Ringen, ist das keine Voraussetzung, dafür, dass auch auf das Unvorhersehbare angemessen reagiert werden kann. Wir werfen ausdrücklich niemandem vor, keinem unserer drei Gesprächspartner, dass er für seine Prinzipien einsteht. Wir tun es aber auch für unsere Prinzipien und unsere Haltung.
Unser Einsatz für die Freiheit des Einzelnen in einer dynamischen Gesselschaft, die auf sich vertraut, die war nicht hinreichend repräsentiert in diesem Papier. Und wir haben heute an diesem entscheidenden Tag nicht den Eindruck gewonnen, obwohl allen die Dramatik der Situation bewusst war, dass dieser Geist grundlegend veränderbar gewesen wäre.
Die Freien Demokraten sind für Trendwenden gewählt worden. Und wer dieses Dokument ansieht, sieht: Es war nicht zu ambitioniert, es war nichts unrealistisch, sondern maßvoll. Wir sind für die Trendwenden gewählt worden, aber sie waren nicht erreichbar, nicht in der Bildungspolitik, nicht bei der Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, nicht bei der Flexibilisierung unserer Gesellschaft, nicht bei der Stärkung der Marktwirtschaft und bis zur Stunde auch nicht bei einer geordneten Einwanderungspolitik.
Den Geist des Sondierungspapiers können und wollen wir nicht verantworten, viele der diskutierten Maßnahmen halten wir sogar für schädlich. Wir wären gezwungen, unsere Grundsätze aufzugeben und all das wofür wir Jahre gearbeitet haben. Wir werden unsere Wählerinnen und Wähler nicht im Stich lassen, indem wir eine Politik mittragen, von der wir im Kern nicht überzeugt sind. Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren. Auf Wiedersehen.“
„Ja, die einzig mögliche Konstellation, die demokratisch möglich gewesen wäre, wurde von der FDP heute Abend leider zunichte gemacht und abgelehnt. Unser Land zeichnet sich auch dadurch aus, dass wir die Kultur des Kompromisses kennen und schätzen. Es ist für eine funktionierende Demokratie geradezu konstruktiv, geradezu elementar, (den) Gegenüber ernst zu nehmen. Wir haben auch aus einer Haltung der Verantwortung dem eigenen Land gegenüber, Europa gegenüber und der Bedeutung unseres Landes der Welt gegenüber, man kann es auch gerne als eine Haltung des Patriotismus nennen, mit dieser Verantwortung sind wir in die Gespräche rein gegangen, um Verantwortung für unsere gemeinsame Republik zu übernehmen und wir sind dabei in vielen Themen an die Schmerzgrenze und manchmal auch über die Schmerzgrenze gegangen.
Weil wir wussten, es ist wichtig für unser Land, es ist wichtig für die Stabilität der Bundesrepublik Deutschland, dass jeder sich bewegen muss, wenn man gemeinsam an das große Ganze denken möchte. Jetzt haben wir die Situation, dass unsere Gesellschaft vor großen Herausforderungen steht, es ist die große Menschheitsfrage, die Abwendung der Klimakrise, des Klimawandels, es ist aber auch, wie wir Arbeitsplätze sichern und gleichzeitig der Wohlstand einer ist, der allen in der Gesellschaft zugute kommt. Es ist die Frage, wie wir schaffen, dass die Flüchtlinge in der Gesellschaft ankommen, dass wir Humanität einerseits und Ordnung andererseits gewährleisten, damit wir auch die Menschen im Lande davon überzeugen und mitnehmen auf diesem Weg und es ist schließlich die Frage, wer wird die Antwort geben auf die Rede von Präsident Macron, wer wird die Antwort geben auf die Rede von Kommissionspräsident Junker und wer wird dieses Europa voranbringen, wenn Deutschland jetzt in der Situation, in der es besonders wichtig wäre, erstmal ausfällt.
Ich will, wie es Katrin Göring-Eckardt gerade schon gesagt hat, erstmal meiner Co-Chefin herzlich danken, die das wirklich großartig von Anfang bis Ende durchgeführt hat, mit einer Wahnsinnskompetenz und mit einer Wahnsinnsgeduld. Und ich will auch herzlich danken dem Grünen-Sondierungsteam, die die Stärke dieser Partei Bündnis 90/Die Grünen, all ihrer Vielfalt und Breite abbildet. Alle haben sich da eingebracht und ihren Beitrag geleistet, dass wir für die Sache, für die wir brennen, gut verhandelt haben und vieles erreicht haben.
Ich will das ausdrücklich sagen. Eine Verständigung wäre möglich gewesen, guten Willen vorausgesetzt. Wir waren zu dieser Verständigung bis zur letzten Sekunde bereit, auch da noch mal weiter zu gehen, wo man eigentlich nicht mehr weitergehen kann. Aber das setzt eben voraus, dass alle diese Bereitschaft haben - und ein Partner hatte sie heute Abend offensichtlich nicht, und er hatte sie nicht erst heute Abend offensichtlich nicht, sondern auch schon am Start des Tages offensichtlich nicht.
Ich finde, meine Partei Bündnis 90/Die Grünen hat sich da wirklich toll präsentiert, mit einer hohen Sachkompetenz, brennen für die Sache, aber immer bereit dazu, dass man die Sachen vom Ende her denkt und deshalb bereit ist, auch auf den anderen zuzugehen.
Darum auch der Respekt vor unseren Verhandlungspartnerinnen und Verhandlungspartnern, auch ich will ganz besonders der Bundeskanzlerin danken, die sich von Anfang bis Ende bemüht hat, die widerstrebenden Ansichten zusammenzubringen, für ein gemeinsames Ganzes. Ich will mich ausdrücklich bedanken auch bei Horst Seehofer und seiner Partei, der ebenfalls aus einer schwierigen Perspektive kommend seinen Beitrag versucht hat zu leisten, dass wir am Ende zusammenkommen. Herzlichen Dank.“
„Ich will ausdrücklich sagen, dass wir sehr viel mehr Verständnis füreinander gewonnen haben in dieser Zeit. Und dass es für uns staatspolitische Verantwortung ist, auch bis zum Schluss gesprächsbereit zu bleiben. Das waren wir auch heute Abend, das waren wir auch heute den ganzen Tag, so wie wir es vier Wochen lang gewesen sind. Ich will ausdrücklich sagen, dass ich davon ausgehe, dass dieses Bündnis hätte zustandekommen können.
Wir waren an wenigen Punkten am Schluss noch auseinander, ja, in der Tat, und ich bin sogar überzeugt davon, dass es nicht mehr lange Zeit gebraucht hätte, auch da zusammenzukommen.
Ich glaube, es wäre für dieses Land auch ein gutes Signal gewesen. So gespalten, wie es zu sein scheint, wenn sich so unterschiedliche Partner darauf verständigen, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Gerade bei den so zentralen Themen, bei denen wir am Ende doch näher beieinander waren, als wir es gedacht hätten. Bei der Menschheitsfrage Klimaschutz, bei der Frage der Landwirtschaft, ja selbst bei dem großen Thema Migration - glaube ich - wäre es gelungen, nicht nur, dass sich diese Partner einigen, sondern dass sie auch dazu beitragen können, dass dieses Land wieder zusammenwächst, gemeinsam weiter vorankommt. Daran haben wir hart gearbeitet. Und ich will mich bei allen bedanken, die daran mitgearbeitet haben.
Ich bedanke mich herzlich, ganz besonders herzlich, bei den Menschen, die jetzt hier hinter uns stehen, und bei Cem Özdemir, der neben mir steht, weil wir in dieser Zeit tatsächlich gespürt haben, das machen wir gemeinsam, das machen wir als Partei gemeinsam - auch in dieser so schwierigen Konstellation, die sich niemand ausgesucht hatte, von der niemand gedacht hätte, dass wir sie jemals verhandeln würden.
Ich will mich aber auch ganz ausdrücklich bedanken bei der Bundeskanzlerin. Und das sage ich nicht nur für mich, das sage ich für uns alle, für die komplette grüne Delegation, dafür, dass sie in Verantwortung für dieses Land immer wieder weitergesprochen hat, immer wieder nach neuen Möglichkeiten, nach neuen Kompromissen, nach neuen Wegen gesucht hat. Ganz herzlichen Dank also von uns an Angela Merkel und an die vielen Verhandlungspartner, die wir während dieser Zeit hatten, an eine Union, die die Verantwortung mit übernehmen wollte.
Die FDP hat sich entschieden, sie haben sich anders entschieden, sie haben sich nicht für gemeinsame Verantwortung entschieden, das müssen wir respektieren. Aber ich sage ganz klar, wir werden in dieser Haltung, in der Verantwortung für unser Land auch die nächsten Wochen und Monate gestalten.“
Dieses Klima herzustellen, wäre vor allem eine Aufgabe der Kanzlerin gewesen. Zu Beginn der Großen Koalition vor vier Jahren ist ihr das mit Horst Seehofer und Sigmar Gabriel noch gelungen, durch frühe Absprachen in kleiner Runde. Diesmal hat sie es nicht ausreichend versucht.
2. Angela Merkel kann Krisen. Das wird sie jetzt kurzfristig noch einmal stärken.
Kurz nach dem Scheitern der Verhandlungen trat Angela Merkel vor die Kameras und verkündete, dass sie als geschäftsführende Bundeskanzlerin nun alles dafür tun werde, dass Deutschland gut durch die schwierigen nächsten Wochen komme. Horst Seehofer dankte ihr ausdrücklich, die versammelten Unions-Unterhändler applaudierten. Man konnte ihnen die Erleichterung über die Einigkeit der Parteichefs von CDU und CSU ansehen.
Das wird nun noch eine Zeitlang so bleiben – nichts schweißt so sehr zusammen, wie ein gemeinsamer Widersacher, in diesem Fall: Die FDP. Hinzu kommt: Merkel kann Krise – also das, was jetzt bevorsteht. Selbst SPD-Chef Martin Schulz betont bei jeder Gelegenheit, wie gut die Nerven der Kanzlerin sind. Trotz aller Raufereien um ihre Nachfolge, die ebenfalls im Gange sind, sind darüber zunächst einmal die meisten Unionspolitiker sehr froh.
3. Hätte die SPD die Große Koalition nicht schnell ausgeschlossen, gäbe es sie jetzt.
Die SPD hat das Scheitern der Jamaika-Koalitionsgespräche nicht vorhergesehen. Die Spitzenleute waren davon genauso überrascht wie die Unionsspitze am Abend der Bundestagswahl vom klaren Nein der SPD zum gemeinsamen Regieren. Nun müssen die Sozialdemokraten unter Zeitdruck viel entscheiden: Wollen sie im Fall der Fälle vielleicht doch mit der Union regieren – und wenn ja, mit wem an ihrer Parteispitze?
Für Martin Schulz, den geschwächten Vorsitzenden, spricht immerhin, dass er am Wahlabend eine richtige Entscheidung gefällt hat: Hätte die SPD nicht so schnell und unmissverständlich ausgeschlossen, dass sie mit Angela Merkel weiterregiert, wäre Jamaika noch schneller gescheitert. Die SPD wäre womöglich doch wieder in einer Regierung gelandet, die ihre Basis nicht mehr will.
Misstrauen und heikle Themen
4. Für die Grünen hat sich die Strategie nicht bewährt, CDU und CSU gegeneinander auszuspielen.
Zum ersten Mal sind CDU und CSU in Sondierungsparteien so aufgetreten, als handele es sich um zwei unterschiedliche Parteien. Das lag am internen Streit um Flüchtlingsthemen, es lag aber auch an den Grünen, die lange vor der Wahl ihre Kontakte zur CDU pflegten – die zur CSU aber ausdrücklich nicht. Das führte während der Sondierungsgespräche dazu, dass die Grünen bei heiklen Fragen wie Klima, Steuersenkungen und Migration oft zwei Widersacher hatten – FDP und CSU.
Die CSU hat diese Strategie gestärkt, und selbst ein ehemals schwacher Minister wie Dobrindt konnte den Eindruck erwecken, als habe er die Chance, durch ständiges Neinsagen einen Erfolg der Verhandlungen zu verhindern.
Jamaika gescheitert: Drei Szenarien möglich
Eine schwarz-rote Koalition ist rechnerisch möglich. Theoretisch könnten CDU, CSU und SPD also Verhandlungen aufnehmen. Die SPD ist aber nicht bereit für eine Neuauflage der „GroKo“. Am vergangenen Freitag schloss die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles eine große Koalition erneut aus. Auch Parteichef Martin Schulz sieht die SPD nur in der Opposition.
Fazit: nahezu ausgeschlossen
Einer möglichen Koalition aus CDU/CSU und FDP fehlen 29 Sitze zur Mehrheit im Bundestag. Schwarz-Gelb müsste also bei Abstimmungen auf Stimmen aus den anderen Fraktionen hoffen. Das Gleiche gilt für Schwarz-Grün; hier fehlen 42 Sitze zur Mehrheit. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist jedoch keine Freundin wechselnder, unsicherer Mehrheiten. Eine Minderheitsregierung hat es nach einer Bundestagswahl auch noch nie gegeben, eben weil sie so riskant ist.
Fazit: unwahrscheinlich
Der Weg zu einer Neuwahl ist verschlungen - weil es die Verfassung so will. Vor eine Neuwahl unter den aktuellen Umständen hat das Grundgesetz nämlich die Kanzlerwahl gestellt.
Der Bundespräsident muss zunächst jemanden für das Amt des Bundeskanzlers vorschlagen. Diese Person wird Kanzler(-in), wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages für sie stimmen („Kanzlermehrheit“). Bisher wurden alle Kanzler der Bundesrepublik in diesem ersten Wahlgang gewählt.
Findet der Vorschlag des Bundespräsidenten keine Mehrheit, beginnt die zweite Wahlphase. Der Bundestag hat jetzt zwei Wochen Zeit, sich mit absoluter Mehrheit auf einen Kanzler zu einigen. Die Zahl der Wahlgänge ist nicht begrenzt, ebenso wenig die Zahl der Kandidaten. Dem Bundestag steht es also frei, die zwei Wochen ungenutzt verstreichen lassen - oder etwa fünfzehn Mal zu versuchen, einen Kandidaten zu wählen.
Kommt auch in diesen zwei Wochen keine Kanzlermehrheit zustande, beginnt die dritte Wahlphase. In diesem letzten Wahlgang reicht schon die relative Mehrheit. Gewählt ist also, wer von allen Kandidaten die meisten Stimmen gewinnt.
Nun muss wieder der Bundespräsident handeln. Wird jemand nur mit relativer Mehrheit gewählt, kann der Bundespräsident sie zur Kanzlerin oder ihn zum Kanzler einer Minderheitsregierung ernennen - er kann aber auch den Bundestag auflösen. Innerhalb von 60 Tagen muss es dann Neuwahlen geben.
Fazit: wahrscheinlich
5. Die Dauer der Verhandlungen war nicht das eigentliche Problem.
Die Medien haben ständig über den zähen Verlauf der Sondierungsgespräche berichtet – und Kritikern ständig viel Raum gegeben. Dabei liefen die Verhandlungen vor vier Jahren auch nicht viel schneller ab. Je größer das Misstrauen zwischen den Verhandlungspartnern, desto umfangreicher fallen Koalitionsverträge aus.
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich alle Beteiligten absichern wollen. So entstehen zunehmend ausführliche Sammlungen von Spiegelstrichen, die das Regierungshandeln über Jahre hinweg prägen. Es ist daher nicht falsch, sich mit den einzelnen Punkten ausführlich zu beschäftigen. Daran hätten auch Journalisten gelegentlich erinnern können.