4. Für die Grünen hat sich die Strategie nicht bewährt, CDU und CSU gegeneinander auszuspielen.
Zum ersten Mal sind CDU und CSU in Sondierungsparteien so aufgetreten, als handele es sich um zwei unterschiedliche Parteien. Das lag am internen Streit um Flüchtlingsthemen, es lag aber auch an den Grünen, die lange vor der Wahl ihre Kontakte zur CDU pflegten – die zur CSU aber ausdrücklich nicht. Das führte während der Sondierungsgespräche dazu, dass die Grünen bei heiklen Fragen wie Klima, Steuersenkungen und Migration oft zwei Widersacher hatten – FDP und CSU.
Die CSU hat diese Strategie gestärkt, und selbst ein ehemals schwacher Minister wie Dobrindt konnte den Eindruck erwecken, als habe er die Chance, durch ständiges Neinsagen einen Erfolg der Verhandlungen zu verhindern.
Jamaika gescheitert: Drei Szenarien möglich
Eine schwarz-rote Koalition ist rechnerisch möglich. Theoretisch könnten CDU, CSU und SPD also Verhandlungen aufnehmen. Die SPD ist aber nicht bereit für eine Neuauflage der „GroKo“. Am vergangenen Freitag schloss die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles eine große Koalition erneut aus. Auch Parteichef Martin Schulz sieht die SPD nur in der Opposition.
Fazit: nahezu ausgeschlossen
Einer möglichen Koalition aus CDU/CSU und FDP fehlen 29 Sitze zur Mehrheit im Bundestag. Schwarz-Gelb müsste also bei Abstimmungen auf Stimmen aus den anderen Fraktionen hoffen. Das Gleiche gilt für Schwarz-Grün; hier fehlen 42 Sitze zur Mehrheit. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ist jedoch keine Freundin wechselnder, unsicherer Mehrheiten. Eine Minderheitsregierung hat es nach einer Bundestagswahl auch noch nie gegeben, eben weil sie so riskant ist.
Fazit: unwahrscheinlich
Der Weg zu einer Neuwahl ist verschlungen - weil es die Verfassung so will. Vor eine Neuwahl unter den aktuellen Umständen hat das Grundgesetz nämlich die Kanzlerwahl gestellt.
Der Bundespräsident muss zunächst jemanden für das Amt des Bundeskanzlers vorschlagen. Diese Person wird Kanzler(-in), wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder des Bundestages für sie stimmen („Kanzlermehrheit“). Bisher wurden alle Kanzler der Bundesrepublik in diesem ersten Wahlgang gewählt.
Findet der Vorschlag des Bundespräsidenten keine Mehrheit, beginnt die zweite Wahlphase. Der Bundestag hat jetzt zwei Wochen Zeit, sich mit absoluter Mehrheit auf einen Kanzler zu einigen. Die Zahl der Wahlgänge ist nicht begrenzt, ebenso wenig die Zahl der Kandidaten. Dem Bundestag steht es also frei, die zwei Wochen ungenutzt verstreichen lassen - oder etwa fünfzehn Mal zu versuchen, einen Kandidaten zu wählen.
Kommt auch in diesen zwei Wochen keine Kanzlermehrheit zustande, beginnt die dritte Wahlphase. In diesem letzten Wahlgang reicht schon die relative Mehrheit. Gewählt ist also, wer von allen Kandidaten die meisten Stimmen gewinnt.
Nun muss wieder der Bundespräsident handeln. Wird jemand nur mit relativer Mehrheit gewählt, kann der Bundespräsident sie zur Kanzlerin oder ihn zum Kanzler einer Minderheitsregierung ernennen - er kann aber auch den Bundestag auflösen. Innerhalb von 60 Tagen muss es dann Neuwahlen geben.
Fazit: wahrscheinlich
5. Die Dauer der Verhandlungen war nicht das eigentliche Problem.
Die Medien haben ständig über den zähen Verlauf der Sondierungsgespräche berichtet – und Kritikern ständig viel Raum gegeben. Dabei liefen die Verhandlungen vor vier Jahren auch nicht viel schneller ab. Je größer das Misstrauen zwischen den Verhandlungspartnern, desto umfangreicher fallen Koalitionsverträge aus.
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich alle Beteiligten absichern wollen. So entstehen zunehmend ausführliche Sammlungen von Spiegelstrichen, die das Regierungshandeln über Jahre hinweg prägen. Es ist daher nicht falsch, sich mit den einzelnen Punkten ausführlich zu beschäftigen. Daran hätten auch Journalisten gelegentlich erinnern können.