„Sorgen über mögliche Folgen“ Bundesbank: Coronavirus dürfte deutsche Exporte dämpfen

Coronavirus dürfte deutsche Exporte dämpfen, warnt die Bundesbank Quelle: dpa

Chinas weiter andauernde Coronavirus-Epidemie beschäftigt Menschen und Unternehmen weltweit. Peking verschiebt seinen Volkskongress. Die Bundesbank erwartet „Lieferengpässe“ und einen Rückgang bei deutschen Exporten.

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Die Bundesbank sieht in der Coronavirus-Epidemie in China eine neue Gefahr für die ohnehin schwächelnde deutsche Wirtschaft. „Konjunkturrisiken bestehen im Hinblick auf den Coronavirus-Ausbruch in der Volksrepublik China“, warnt sie in ihrem am Montag veröffentlichten Monatsbericht. „So dürfte dort ein vorübergehender Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die deutsche Exportaktivität dämpfen.“ Zudem könnten globale Wertschöpfungsketten durch die Sicherheitsvorkehrungen beeinträchtigt werden. „Lieferengpässe in einzelnen Branchen hierzulande wären die Folge“, betonte die Bundesbank.

Sie verwies darauf, dass im Kampf gegen die Ausbreitung des Virus das öffentliche Leben in China seit Mitte Januar weitgehend lahmgelegt worden sei. Das drücke im laufenden Quartal die Konjunktur beim wichtigsten deutschen Handelspartner. „Die Wachstumseinbußen könnten spürbar höher ausfallen als während der SARS-Epidemie von 2002/2003, bei der die Zahl der Infizierten deutlich kleiner war und die Behörden weniger rigoros reagiert hatten“, schrieb die Bundesbank. „Gleichwohl sollte auch für die aktuelle Krankheitswelle gelten, dass sich nach ihrer Eindämmung die Wirtschaftstätigkeit wieder zügig normalisieren wird.“ Die Finanzmärkte seien derzeit von „Sorgen über mögliche Folgen des Coronavirus geprägt“.

Die deutsche Wirtschaft ist im vergangenen Jahr wegen schwacher Weltkonjunktur, Handelskonflikten und Brexit-Chaos mit 0,6 Prozent so langsam gewachsen wie seit 2013 nicht mehr. Für dieses Jahr geht die Bundesbank bislang von einem Plus beim Bruttoinlandsprodukt von 1,0 Prozent aus.

Das Coronavirus habe schon viele Branchen in Mitleidenschaft gezogen, kommentierte die Beratungsfirma Boston Consulting Group (BCG). „Aber die Autoindustrie sticht hervor als eine, die die Auswirkungen schnell und tief spürt angesichts der entscheidenden Rolle Chinas.“ So sei das Land der größte Absatzmarkt für Neuwagen und zugleich wichtiger Standort für Hersteller und Zulieferer. „Die Autoindustrie wird lokal und rund um den Globus betroffen sein“, schreiben die Berater mit Blick auf gestörte Lieferketten. Allein in der besonders betroffenen Provinz Hubei würden an gut einem Dutzend Standorten fast zwei Millionen Autos pro Jahr gefertigt, heißt es in einer Studie der BCG. Das seien etwa acht Prozent der Fahrzeugproduktion Chinas.

Insgesamt gebe es über 700 ausländische und chinesische Zulieferer in der Provinz mit ihrer abgeriegelten Hauptstadt Wuhan. Auch ausländische Autohersteller seien in Hubei stark engagiert: Ein Großteil der Produktion von Gemeinschaftsfirmen mit chinesischen Unternehmen entfalle auf die Provinz, so BCG. Gemeinschaftsfirmen des chinesischen Herstellers Dongfeng mit Honda, PSA und Renault etwa haben ihren Hauptsitz in Wuhan. Ein Produktionseinbruch könnte globale Folgen für Lieferketten haben, da China einer der größten Exporteure von Fahrzeugteilen sei – etwa bei Bremsen, Elektronik, Fahrgestellen und Rädern. Jede dieser Kategorien stehe für Exporte im Wert von 5 bis 6 Milliarden US-Dollar, so BCG. Über die Hälfte dieser Ausfuhren gehe in die USA und die EU. Die Folgen gestörter Lieferketten würden „in den Firmenzentralen rund um den Globus zu spüren sein“, prophezeien sie. Autokonzerne mit großem China-Geschäft sollten ihre Lieferketten rüsten für Turbulenzen oder Aktivitäten in andere Länder verlagern.

Die weltweite Konjunktur hängt inzwischen viel stärker vom Wohle Chinas ab als noch während der Sars-Epidemie 2002/2003. „Der Anteil Chinas an der globalen Wirtschaftsleistung hat sich seitdem verdreifacht und China ist zu einem wesentlichen Käufer praktisch jedes Rohstoffs geworden“, sagt Portfoliomanager Jeroen Blokland vom Vermögensverwalter Robeco. Die schiere Größe der chinesischen Volkswirtschaft führe dazu, dass andere aufstrebende Länder in der Region zumindest zeitweilig ebenfalls eine Wachstumsdelle erleiden werden.

Die Quarantäne für zahlreiche Millionenstädte wie Wuhan, dem Zentrum der Coronavirus-Krise, könnte das chinesische Wirtschaftswachstum 2020 um 0,4 Prozentpunkte schmälern, prognostiziert Anlagestratege Frank Häusler von der Bank Vontobel. Ursprünglich hatten Experten ein Plus von sechs Prozent erwartet. Sollte die chinesische Industrieproduktion länger ins Stocken geraten, werde sich dies wegen der eng verwobenen Lieferketten vor allem auf Taiwan, Malaysia und Südkorea auswirken, warnt Ulrich Stephan, Chef-Anlagestratege für Privat- und Firmenkunden bei der Deutschen Bank.

Bei den Schwellenländern außerhalb Asiens gilt Lateinamerika als besonders anfällig. Im vergangenen Jahr trieben Investoren schwere Unruhen in Chile und in Kolumbien um. Die Bemühungen um marktfreundliche Reformen wurden letztlich zunichte gemacht. „Der Coronavirus-Schreck war sicherlich nicht hilfreich“, resümieren die Nikko-Experten.

Wegen der Brisanz hat die Regierung in Peking Experten zufolge keine andere Wahl, als mit allen verfügbaren Mitteln die Verbreitung des Virus zu stoppen. Mit massiven fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen müsse zudem der unvermeidbare scharfen Einbruch der Wirtschaft im ersten Quartal aufgefangen und im weiteren Jahresverlauf wieder ausglichen werden, rät Adolf Rosenstock, volkswirtschaftlicher Berater vom Vermögensverwalter MainSky.

Da die chinesische Notenbank bereits mit Geldspritzen und Zinssenkungen reagiert und die Regierung geringere Steuern und Abgaben in Aussicht gestellt hat, setzen viele Experten auf eine rasche Erholung der Konjunktur in China und weltweit. Große Investmenthäuser wie JPMorgan oder die Vermögensverwaltung der Bank UBS halten an ihren positiven Schwellenländer-Prognosen für 2020 fest. „Die Bewertungen sind wirklich überzeugend, und wir haben Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung gesehen“, sagt Portfolio-Manager Robert Phipps vom Vermögensverwalter Per Stirling. „Wenn beim Coronavirus erst einmal die Pausetaste gedrückt ist, wird das meiner Meinung nach wieder der Haupttrend sein.“

Virus lässt Chinas Volkskongress platzen

Vorerst ist Peking aber noch um die Eindämmung bemüht. Mit dem Anstieg erfasster Coronavirus-Infektionen auf mehr als 70.000 plant China nun eine Verschiebung der Jahrestagung seines Parlaments. Es ist das erste Mal in der jüngeren Geschichte der Volksrepublik, dass die Sitzung des nationalen Volkskongresses verlegt wird. Das wichtigste politische Ritual des Jahres hätte am 5. März in Peking beginnen sollen.

Der Führungskreis des Ständigen Ausschusses halte die Verschiebung des Volkskongresses auf einen angemessenen Zeitpunkt für „notwendig“, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua am Montag. Formell soll der Ausschuss am nächsten Montag darüber entscheiden. Rund 6000 Abgeordnete des Volkskongresses und Mitglieder der parallel tagenden beratenden Konsultativkonferenz hätten aus allen Provinzen in die Hauptstadt kommen müssen. Die ungewöhnliche Verschiebung wurde auch damit begründet, dass viele der Abgeordneten „an vorderster Front“ gegen die Covid-19-Epidemie kämpften.

Innerhalb eines Tages war zuvor die Zahl erfasster Ansteckungen mit dem neuen Coronavirus Sars-CoV-2 im Land um mehr als 2000 auf über 70.500 gestiegen. Mehr als 100 weitere Todesfälle wurden gemeldet. Damit starben bis Montag in China rund 1770 Menschen an der Covid-19 genannten Lungenkrankheit. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer bei den Fallzahlen aus. Besonders schwer ist in Zentralchina die 60 Millionen Einwohner zählende Provinz Hubei mit der Metropole Wuhan betroffen.

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