Soziale Marktwirtschaft Was würde Ludwig Erhard heute in der Krise tun?

Die FDP-Politikerin Linda Teutetberg ist Mitglied der Ludwig-Erhard-Stiftung. Im November 2020 wurde sie zur stellvertretenden Vorsitzenden der Stiftung gewählt. Quelle: dpa

Mehr Staat, mehr Schulden und mehr Dirigismus: In der Pandemie werden die Rollen zwischen Politik und Wirtschaft neu verteilt. Ist das Nachkriegsmodell der Sozialen Marktwirtschaft noch aktuell? Linda Teuteberg, Vorständin der Ludwig-Erhard-Stiftung und FDP-Politikerin, über die Haltbarkeit des ökonomischen Klassikers

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WirtschaftsWoche: Frau Teuteberg, im Kampf gegen die Pandemie hat der Staat eine dominierende Rolle übernommen. Die Ausgabe von Impfmitteln und Hilfsgeldern steht im Vordergrund. Versagt die Marktwirtschaft in großen Krisen wie diesen?
Linda Teuteberg: Wir haben keine Krise des Wirtschaftssystems, sondern eine Veränderung des staatlichen Ordnungsrahmens aufgrund der Notwendigkeit, die Pandemie durch einschneidende Maßnahmen zu bekämpfen. Aus Gründen des Infektionsschutzes ist das soziale Miteinander und damit auch die Wirtschaftstätigkeit stark eingeschränkt. Will irgendjemand ernsthaft behaupten, dass im Sozialismus unter Pandemiebedingungen eine höhere Wertschöpfung stattfände? Das funktioniert schon unter Normalbedingungen nicht. Wer behauptet, die Marktwirtschaft würde in der Krise versagen, will sie aus anderen Gründen diffamieren.

Der Ruf nach dem Staat ist unüberhörbar.
Die Sehnsucht nach Plan- und Staatswirtschaft haben manche schon vor Corona bedient. Das stimmt. Aber die Marktwirtschaft beweist gerade jetzt ihre Leistungs- und Anpassungsfähigkeit. Dass wir überhaupt so schnell Impfstoffe haben ist das Ergebnis von Wettbewerb und Innovation. Und das gilt auch für unser leistungsfähiges Gesundheitssystem, das jetzt in großer Zahl Behandlungsmöglichkeiten und intensivmedizinische Versorgung bietet und damit im internationalen Vergleich sehr gut dasteht.

Sind Impfmittel nicht eher ein Erfolg wissenschaftlicher Forschung? Und ist unser Gesundheitssystem nicht deshalb so stark, weil es nach dem Solidaritätsprinzip organisiert ist und nicht auf reine Markteffekte abzielt?
Marktwirtschaft und ein Sozialversicherungssystem zur Abdeckung der großen Lebensrisiken passen sehr gut zusammen: Zur Grundidee der Sozialen Marktwirtschaft gehört, dass zuerst das private Engagement und die Belohnung des Marktteilnehmers für seine im Wettbewerb erbrachte Leistung kommt - und danach erst der soziale Ausgleich. Für diesen besteht Dank der Effizienz der wettbewerblich organisierten Wirtschaftsordnung mehr Verteilungsspielraum.

Menschen der Woche: Roland Tichy und Sawsan Chebli, Christian Lindner und Linda Teuteberg, Jens Weidmann und Dorothee Bär, Ludwig Erhard, Sigmund Freud, Judith Butler und Simone de Beauvoir. Dazu letzte Anmerkungen.  
von Dieter Schnaas

Das bedeutet …
… dass wir ohne Marktwirtschaft weder exzellente Wissenschaftsstrukturen noch ein so leistungsfähiges Gesundheitssystem finanzieren könnten. Auch die Forschung, die zu großen Teilen in privaten Unternehmen stattfindet, ist nur bezahlbar, wenn in einer Marktwirtschaft Gewinne erzielt werden. Ohne die Gewinnorientierung der Marktwirtschaft hätten wir jetzt so schnell kein Impfmittel und auch nicht so hochinnovative Medikamente und Medizintechnik.

Aber wird jetzt in der Krise durch die „Bazooka“ des Finanzministers nicht das Prinzip von Angebot und Nachfrage ausgehebelt?
Wenn der Staat schon helfen muss, dann darf das nicht nach einer „Freibier-für-alle“-Mentalität erfolgen. Es ist richtig, in einer wirklichen Krise wie jetzt die Ausnahmeregel der Schuldenbremse anzuwenden. Aber es ist auch ein Gebot der Generationengerechtigkeit und der Demokratie, dass wir uns nicht in einem Maße verschulden, das nachfolgenden Generationen jeglichen haushalterischen Gestaltungsspielraum raubt. Die Regierung überbietet sich mit immer neuen Versprechen und immer höheren Ausgaben. Aber das Prinzip muss lauten: So viel wie nötig, aber so wenig wie möglich. Im Übrigen würde es schon mal helfen, die zugesagten Hilfen überhaupt einmal zeitnah auszuzahlen anstatt immer neue Versprechen zu machen.

Wie soll das alles finanziert werden? Einige fordern mehr sparen, andere wollen von den „Reichen“ einen höheren Beitrag eintreiben. Was hätte Ludwig Erhard gegen die Coronakrise getan?
Er hätte ganz sicher nicht die Steuern erhöht, sondern die Wachstumskräfte gestärkt. Weil wir uns nicht aus der Krise heraussparen können, müssen wir aus ihr herauswachsen. Wenn wir auf Konsolidierung durch Wachstum setzen, verbieten sich wachstumsschädliche Belastungen etwa durch Steuererhöhungen. Statt Ideen aus der Mottenkiste hervorzukramen, muss die Politik alle Kräfte darauf richten, günstige Bedingungen für Investitionen und Arbeitsplätze zu schaffen. Die Erfahrungen der letzten Monate sollten dazu führen, mehr Eigenkapital und Rücklagenbildung zu ermöglichen.

Kliniken schließen? Verwaltungen ausdünnen? Leistungsträger mies entlohnen? Wenn uns die Coronakrise bereits eines lehrt, dann dies: Die soziale Marktwirtschaft benötigt eine Rückbesinnung auf das Gemeinwohl.
von Lars Klingbeil

Der zweite Lockdown trifft vor allem die Geschäftsleute in den Innenstädten, während der Onlinehandel profitiert. Was halten Sie von einer Steuer auf den Onlinehandel, um so den stationären Handel zu stärken?
Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht: eine Paketsteuer führt nicht weiter. Die meisten stationären Geschäfte haben sich längst einen zweiten, digitalen Absatzweg aufgebaut. Eine „Strafsteuer“ für den Onlinehandel würde innovationsfeindlich wirken. Der ganze Vorschlag zeigt nur die Hilflosigkeit der Großen Koalition im Umgang mit der Digitalisierung. Für attraktive Innenstädte mit einem konkurrenzfähigen stationären Einzelhandel brauchen wir keine staatliche Interventionsspirale, sondern verlässliche Rahmenbedingungen mit weniger Bürokratie und einer intelligenten Stadtentwicklungs- und Verkehrspolitik. Und Einzelhändler, die mit eigenen Stärken die Kunden überzeugen, wenn sie ihre Geschäfte wieder betreiben können.

Die große Mehrheit der Ökonomen lobt die Feuerkraft der Bazooka und beurteilt die Rettungspolitik der Regierung positiv. Sind die Ökonomen in Deutschland zu staatsgläubig?
Richtig ist, dass der Staat in Krisen eine stärkere Rolle einnehmen und vorübergehend auch Einkommen ersetzen muss. Aber ich stimme vor allem den Ökonomen zu, die jetzt daran erinnern, dass wir uns diese ganze Rettungspolitik nur deshalb leisten können, weil die Marktwirtschaft so gut funktioniert hat, weil sie nämlich Wertschöpfung, Gewinne und damit auch reichlich Steuereinnahmen ermöglicht hat. Niemand will sich in diesen Tagen die Wirtschaft ohne den Staat vorstellen. Den Staat ohne die Wirtschaft aber besser auch nicht.

Die Kritiker der Rettungspolitik haben vor einer massenhaften Beteiligung des Staates an bedrohten Unternehmen gewarnt. Abgesehen von Lufthansa und TUI hat sich der Staat aber nur noch an fünf weiteren und vergleichsweise kleinen Firmen mit eher geringeren Summen beteiligt. Hat sich die Horrorvision vom Staat als übermächtigem Unternehmen in Luft aufgelöst?
Die kritische öffentliche Debatte hat dazu geführt, dass es nicht so weit gekommen ist. Es gab ja bei manchen in der Bundesregierung durchaus andere Bestrebungen. Nehmen Sie nur den Versuch, etwa bei der Lufthansa eigene Personalvorschläge in den Gremien des Unternehmens unterbringen zu wollen.

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