Soziale Medien Warum deutsche Facebook-Nutzer schlechte Karten im Datenskandal haben

Bittere Einschätzung von Juristen: Wer seine Daten an Facebook weitergibt, hat rechtlich praktisch keine Handhabe, wenn andere unerlaubt darauf zugreifen.

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Theoretisch könnten von dem Datenskandal mehr als 30 Millionen Nutzer des sozialen Netzwerks in Deutschland betroffen sein. Quelle: dpa

Berlin Der Datenskandal bei Facebook wirft ein Schlaglicht auf die Frage, ob und wie viele der mehr als 30 Millionen Nutzer des sozialen Netzwerks in Deutschland betroffen sein könnten. Darauf gibt es bislang keine Antwort. Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) hat deshalb hochrangige Vertreter des Unternehmens aus Europa nach Berlin geladen.

Nachdem bekannt wurde, dass die britische Analyse-Firma Cambridge Analytica unerlaubten Zugriff auf rund 50 Millionen Profile von Facebook-Nutzern hatte und die dadurch gewonnenen Daten für die Manipulation des jüngsten US-Wahlkampfes missbraucht worden sein sollen, ist der Informationsbedarf groß. Denn sollte sich herausstellen, dass auch deutsche Accounts in irgendeiner Weise tangiert sind, würde der Skandal plötzlich eine ganz neue, vor allem auch rechtliche Dimension bekommen.

Die Politik müsste dann die Frage beantworten, welche rechtlichen Möglichkeiten deutsche Facebook-Nutzer hätten, um gegen einen Datenmissbrauch vorzugehen. Und auch die Bundesregierung selbst müsste prüfen, wie sie sich verhalten sollte. Aus Sicht mehrerer Verfassungsjuristen ist die rechtliche Handhabe äußerst begrenzt.

Facebook sei zwar „auf Grund seiner monopolartigen Stellung und überragenden Marktmacht gehalten, wirksame Vorkehrungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte zu treffen“, sagte der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart dem Handelsblatt. Das sei offenbar nicht erfolgt, vielmehr habe Facebook Zugang zu Nutzerdaten gewährt. „Allerdings bin ich der Auffassung, dass derjenige, der seine Daten an Facebook weitergibt, damit auch seine Persönlichkeitssphäre in erheblichem Umfang preisgibt und sich nicht uneingeschränkt auf seine Persönlichkeitsrechte berufen kann.“

Eine unberechtigte Weitergabe von persönlichen Daten würde zwar genauso wie ein unberechtigtes „Sich-Verschaffen“ solcher Informationen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung tangieren. „Allerdings sind es hier private Unternehmen, denen der Eingriff zuzurechnen ist“, betonte Degenhart. „Diese sind nicht unmittelbar grundrechtsgebunden.“

Ähnlich sieht es der Staatsrechtler Joachim Wieland. „Die Rechtsbeziehungen deutscher Nutzer zu Facebook sind privatrechtlich, so dass sich die Nutzer nicht unmittelbar auf Grundrechte berufen können, wohl aber auf eine Verletzung des vereinbarten Schutzes ihrer Daten“, sagte der Professor an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer dem Handelsblatt.

Auch die rechtlichen Möglichkeiten staatlicherseits, etwa juristisch gegen Facebook vorzugehen, hält Wieland für begrenzt. Aus den Grundrechten folgten zwar Schutzpflichten des deutschen Staates für deutsche Facebook-Nutzer, sagte er. „Der Staat verfügt allerdings über ein weites Ermessen, wie er seine Schutzpflichten erfüllt, so dass eine Klage nicht ganz einfach sein dürfte.“

Bevor sich solche Fragen stellen, muss Facebook erst noch etliche Antworten liefern. Justizministerin Barley wird am Montag unter anderem mit Facebooks Politik-Chef in Europa, Sir Richard Allan, über die Folgen des Skandals sprechen. Allan, britischer Baron, ehemaliger Politiker und Archäologe, gilt als Cheflobbyist von Facebook Europe. Seit 2009 arbeitet er als Politik-Direktor für das Unternehmen.

Facebook unterstrich am Freitag erneut seine Bereitschaft, Konsequenzen zu ziehen. „Unsere Priorität ist es nun, die Vorfälle aus der Vergangenheit aufzuklären, Datenmissbrauch in Zukunft zu vermeiden und den Menschen mehr Kontrolle zu geben“, erklärte Semjon Rens von Facebook Deutschland. Bereits seit 2014 hätten Apps nur noch einen limitierten Zugriff auf Nutzerdaten. Dieser werde weiter eingeschränkt. Rens stand am Freitag mit weiteren Facebook-Vertretern in Berlin dem Bundestags-Ausschusses Digitale Agenda Rede und Antwort.

„Persönliche Daten sind der Rohstoff unserer digitalisierten Zeit, sie sind sozusagen das Erdöl des 21. Jahrhunderts, wenn man so will“, sagte Barley am Freitag im Bundestag. „Und das weckt Begehrlichkeiten.“ Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass unsere Daten uns auch manipulierbar machten, dann sei das der Datenskandal um Cambridge Analytica. Menschen seien in deren Folge mit politischen Botschaften bombardiert worden, „je nachdem, wie sie eingeschätzt waren“.

Cambridge Analytica hatte sich über eine App unerlaubt Zugang zu einigen Daten von Facebook-Nutzern verschafft. Mit dem Datenbestand soll auch gezielt der Wahlkampf von US-Präsident Donald Trump unterstützt worden sein. So sollen etwa potenziellen Wählern der Demokratin Hillary Clinton Aufforderungen geschickt worden sein, nicht zur Wahl zu gehen. Facebook-Chef Mark Zuckerberg hatte sich nach tagelangem Schweigen entschuldigt und weitere Änderungen beim Zugang zu den Nutzerdaten angekündigt.

Ob weitere Datenbestände mit Informationen aus Deutschland im Umlauf sein könnten, habe Facebook am Freitag nicht beantwortet, sagte der CDU-Digitalpolitiker Thomas Jarzombek. „Obwohl der Vorfall schon 2015 entdeckt wurde, gab es bisher offenbar weder Informationen an die betroffenen Nutzer, noch konnte eine Auskunft gegeben werden, inwieweit deutsche Nutzer betroffen waren“, kritisierte der CDU-Politiker.

Die deutschen Facebook-Vertreter seien im Detail „viele Antworten“ schuldig geblieben. „Wir werden deshalb die Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg nach Ostern in den Ausschuss einladen“, sagte Jarzombek dem Handelsblatt. „Wir wollen wissen, ob auch deutsche Nutzer von Datenmissbrauch betroffen sind.“ Außerdem solle Sandberg darüber aufklären, wie viele Apps es auf der Facebook-Seite gebe, um damit Datenbestände zu generieren. „Vor allem wollen wir wissen, ob zu der Quiz-App vergleichbare Apps auf Deutsch eingesetzt werden, um mit den daraus gewonnen Daten Wahlen zu beeinflussen.“

Politiker von SPD und Grünen befürchten weitere Fälle von Datenmissbrauch bei Facebook. Im Digitalausschuss hätten die deutschen Vertreter des US-Konzerns gesagt, dass nun alle weiteren Apps mit Zugang zu Nutzerdaten untersuchen würden. „Daraus kann man nur den Schluss ziehen, dass sie nicht ausschließen können, dass es weitere Fälle geben kann“, sagte der Digitalexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Jens Zimmermann, dem Handelsblatt. Bei der Befragung im Ausschuss sei deutlich geworden, dass Facebook das Ausmaß der Probleme selbst nicht einschätzen könne. „Umso mehr befremden mich Aussagen, dass das Unternehmen keine Rechtsbrüche begangen haben will.“

Auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek hält es nach der heutigen Befragung für „extrem unwahrscheinlich“, das Cambridge Analytica der einzige Fall bei Facebook von massenhaftem Missbrauch von Nutzerdaten sei. „Facebook hat offensichtlich über viele Jahre auf eine wirksame Kontrolle verzichtet und fühlt sich auch weiterhin an geltendes Recht nicht gebunden“, sagte Janecek dem Handelsblatt. Janecek verlangte Konsequenzen. „Die wirksame Regulierung großer Internetplattformen auch in steuerlicher Hinsicht muss endlich ins Zentrum der politischen Debatte“, sagte er. „Technologie ist für die Menschen da, nicht umgekehrt.“

Barley verwies aber auch auf die neue Datenschutz-Grundverordnung, die am 25. Mai europaweit in Kraft treten wird. Dann können bei Verstößen Bußgelder in Höhe von vier Prozent des weitweiten Jahresumsatzes verhängt werden. Für Facebook werde das eine beträchtliche Summe sein, sagte Barley.

Der Staatsrechtler Degenhart zeigte sich indes verwundert über die Wucht, mit der die politische Debatte geführt wird – vor allem mit Blick auf die Rolle öffentlicher Institutionen, wenn es um die Nutzung von Facebook geht. „Sie sollten jedenfalls zurückhaltend sein und die Datenkrake nicht noch füttern“, sagte er. „Warum zum Beispiel muss eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt auf Facebook zu finden sein“, fragte der Jurist. „Wenn öffentliche Institutionen glauben, sie müssten auf Facebook präsent sein, tragen sie bei zur bedrohlichen Omnipräsenz und Marktmacht“.

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