Sozialstaat Hartz-IV-Sanktionen – zu hart oder gerecht?

Die Zahl der Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger ist leicht gestiegen. Arbeitsminister Heil hält nicht alle Strafen für sinnvoll.

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Viele Hartz-IV-Empfänger erinnern Terminerinnerung per SMS. Quelle: dpa

Berlin Niemand soll sagen, die Bundesagentur für Arbeit (BA) gehe nicht mit der Zeit. 400.000 SMS verschicken die Jobcenter Monat für Monat, um Hartz-IV-Empfänger an Termine zu erinnern. Denn wenn diese unentschuldigt nicht auftauchen, können die Leistungen gekürzt werden.

Knapp 953.000 solcher Sanktionen verhängten die Jobcenter im vergangenen Jahr – rund 1,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Gemessen an allen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten lag die Sanktionsquote unverändert bei 3,1 Prozent. „Die allermeisten Leistungsberechtigten halten sich an die gesetzlichen Spielregeln, nur ein ganz geringer Teil wird überhaupt sanktioniert, sagt BA-Chef Detlef Scheele.

Rund drei von vier der Sanktionen entfallen auf Meldeversäumnisse, also etwa verpasste Termine beim Jobcenter. In diesem Fall wird die Regelleistung – derzeit 416 Euro im Monat für einen Alleinstehenden – für drei Monate um zehn Prozent abgesenkt.

Schwerer wiegt, wenn ein Hartz-IV-Bezieher Verhaltenspflichten missachtet, sich also etwa auf vorgeschlagene Jobs nicht bewirbt oder eine Qualifizierung nicht antritt oder abbricht. In diesem Fall muss er mit einer Kürzung des Regelbedarfs um 30 Prozent rechnen. Im vergangenen Jahr kam das knapp 99.000 Mal vor.

In gut 83.000 Fällen wurden Hartz-IV-Bezieher bestraft, weil sie gegen ihre Eingliederungsvereinbarung verstoßen hatten. In diesem Vertrag ist festgelegt, welche eigenen Anstrengungen ein Leistungsbezieher unternehmen muss, um irgendwann wieder auf eigenen Füßen zu stehen.

Harz IV kann bei wiederholten Regelverstößen gestrichen werden

Bei wiederholten Pflichtverstößen innerhalb von zwölf Monaten wird das Arbeitslosengeld II um 60 Prozent gekürzt und im Falle weiterer Regelverletzungen dann sogar ganz gestrichen. Das schließt dann auch die Übernahme der Miet- und Heizkosten ein. Bei Kürzungen von mehr als 30 Prozent kann das Jobcenter Lebensmittelgutscheine als Ausgleich verteilen, leben Kinder im Haushalt des Leistungsempfängers, dann ist das Pflicht.

Für Kritiker der Arbeitsmarktreformen von SPD-Kanzler Gerhard Schröder sind die Sanktionen ein Beleg dafür, dass der Dualismus aus Fördern und Fordern eine unsoziale Schlagseite hat: „Fast eine Million Sanktionen gegen Hartz-IV-Beziehende zeigen, wie unmenschlich das Hartz-IV-System ist“, twitterte die Linke.

„Von Willkür oder Drangsalierung kann keine Rede sein“, kontert der sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Pascal Kober. Wie von jedem Arbeitnehmer pünktliches Erscheinen erwartet werde, müsse auch ein Bezieher der Grundsicherung Termine mit Arbeitsvermittlern wahrnehmen.  

Dass die Sanktionen in absoluten Zahlen leicht gestiegen sind, hat mit der ebenfalls leicht gestiegenen Zahl von Hartz-IV-Empfängern zu tun. So ist die Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten 2017 im Jahresdurchschnitt um gut 50.000 gegenüber dem Vorjahr gestiegen – vor allem, weil Flüchtlinge nach Abschluss ihres Asylverfahrens in die Grundsicherung rutschten.

Auch wenn der leichte Anstieg also kein Grund für Alarmglocken ist, wird über die Sanktionen weiter heftig debattiert. Der Paritätische Wohlfahrtsverband fordert, sie ganz abzuschaffen. So weit will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nicht gehen. Er werde aber prüfen, „welche Sanktionen noch sinnvoll sind“, sagte er der Wochenzeitung „Die Zeit“.

Kürzungen seien zwar grundsätzlich in Ordnung, weil die Gesellschaft für Kürzungen, die sie gewähre, eine Gegenleistung erwarten könne. „Aber ich halte es nicht für sinnvoll, dass – wie es derzeit der Fall ist – für Jüngere strengere Regeln gelten als für Ältere“, sagte Heil. „Oder dass das Wohngeld gekürzt wird und die Leute auf der Straße stehen.“

Unter 25-Jähriger werden besonders hart bestraft

Schon Heils Amtsvorgängerin Andrea Nahles hatte in der letzten Wahlperiode im Zuge der Rechtsvereinfachung im Hartz-IV-System den Versuch gestartet, die gesonderten Sanktionen für Jugendliche abzuschaffen – und war damit aber am Widerstand der CSU gescheitert.

Nach geltender Rechtslage werden unter 25-Jährige besonders hart bestraft. Schon beim ersten Mal, wenn sie ein Jobangebot nicht annehmen oder eine Qualifizierungsmaßnahme schmeißen, wird ihnen der Regelsatz komplett gestrichen. Nur die Kosten für Unterkunft und Heizung zahlt der Staat weiter. Bei weiteren schwerwiegenden Verstößen entfällt dann auch diese Leistung.

Hier anzusetzen, hält auch BA-Chef Scheele für sinnvoll. Die strikten Sonderregelungen bei Jugendlichen führten zu besonders einschneidenden Leistungskürzungen. Auch die Kürzung der Miete bei wiederholten Regelverstößen von Jugendlichen wie Erwachsenen sieht der frühere Hamburger Sozialsenator kritisch: „Drohende Wohnungslosigkeit hilft uns bei der Vermittlung und auch sonst nicht weiter.“ 

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