Sozialstaat Warum ein Bürgergeld besser wäre als Hartz IV

Mit den Worten von "spätrömischer Dekadenz" kritisierte FDP-Chef Westerwelle die Hartz-IV-Regelung. Die jahrealte Alternative der Liberalen wäre ein Bürgergeld - das viele Vorteile brächte. Warum eigentlich?

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Guido Westerwelle Quelle: REUTERS

Der real existierende Sozialstaat verführt die Bürger zu „spätrömischer Dekadenz“. So jedenfalls textete kürzlich FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle. Nicht nur die Opposition, auch Teile der eigenen Partei protestierten gegen seine Wortwahl. Angemessen oder nicht – Westerwelles Rüpel-Rhetorik lenkt davon ab, dass die FDP nicht nur scharfe Töne produziert, sondern auch ein diskussionswürdiges Modell für die Reform des Sozialstaats entworfen hat – das sie angesichts der aufgeheizten Debatte derzeit aber nur verschämt propagiert.

Die FDP-Kommission „Bürgergeld“ schlug schon vor fünf Jahren einen radikalen Umbau der sozialen Sicherung vor. Der Ansatz: Sämtliche Transfers in eine Pauschale packen. Allein die Finanzämter sollen festsetzen, wie viel den Bedürftigen zusteht. Droht dadurch das Ende des Sozialstaats? Nein, denn der Maximalanspruch auf Bürgergeld entspricht etwa den derzeitigen Hartz-IV-Stützen. Ein Single ohne eigenes Einkommen bekäme monatlich 662 Euro, eine Familie mit drei Kindern und ohne Hauptverdiener 1919 Euro – deutlich mehr als die Hartz-Regelsätze von 359 Euro für Alleinstehende und 646 Euro für Ehepaare. Hartz IV wird jedoch um Wohn- und Kindergeld aufgestockt, die Bürgergeldpauschale enthält dagegen schon alle Kosten für Wohnen, Heizen, Schwangerschaft oder Krankenversicherung.

Wie viel ist sozial

Die Pauschalierung verhindert einen entscheidenden Nachteil: „Zieht ein Hartz-IV-Empfänger in eine billigere Wohnung, bringt ihm das nichts, weil er weniger Mietkosten überwiesen bekommt“, kritisiert Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Das Bürgergeld dagegen bleibt nach einem Umzug gleich hoch, der Bezieher kann das Gesparte behalten.

Weniger Bürokratie

Die Reform könnte zudem die Verwaltung und den Bezug von Sozialtransfers vereinfachen. Da allein die Finanzämter Leistungen prüfen, berechnen und zahlen, wird an anderer Stelle Bürokratie gespart. Auch für die Transferempfänger wäre eine einzige Behörde als Ansprechpartner bequemer. Momentan müssen sie die unterschiedlichsten Stellen abklappern. Dabei blicken Neulinge schlechter durch als Hartz-Veteranen, die sich dank langjähriger Praxis im Sozialdickicht bestens auskennen.

Noch wichtiger: Es wird lukrativer, einen Teil seines Geldes selbst zu verdienen. Empfänger von Arbeitslosengeld II dürfen derzeit über den Freibetrag von 100 Euro hinaus nur 20 Prozent ihrer Einkünfte aus geringfügigen Beschäftigungen behalten. Das Bürgergeld stellt bei Verdiensten bis 600 Euro brutto den doppelten Prozentsatz frei.

Negative Einkommensteuer

Milton Friedman Quelle: AP

Das Konzept basiert auf der alten Idee einer „negativen Einkommensteuer“. Diese geht zurück auf den 2006 verstorbenen Wirtschaftsnobelpreisträger Milton Friedman und sieht, stark vereinfacht, so aus: Wer mehr verdient als das Existenzminimum, zahlt seine Steuern auf den übersteigenden Betrag. Wer mit seinem Jahresverdienst darunter bleibt, erhält vom Finanzamt soviel Geld, dass es für den Lebensunterhalt reicht.

Der Beamte berechnet die Steuer nach folgender Formel: Einkommen minus Freibetrag, multipliziert mit dem Steuersatz. Wer keine eigenen Einkünfte hat, dem zahlt der Fiskus bei einem Steuersatz von beispielsweise 50 Prozent also die Hälfte des staatlich festgelegten Freibetrags.

Das Problem: die Kosten

Das Problem des Bürgergelds sind allerdings die Kosten. Die höheren Freibeträge machen das System erst mal teurer als Hartz IV. Allerdings sinken laut FDP-Kommission Bürokratieaufwand und Leistungsmissbrauch, während die Sozialversicherungen wegen der gestiegenen Arbeitsanreize mehr einnehmen. Nach einem Simulationsmodell des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) könnte das Bürgergeld tatsächlich einen beachtlichen Beschäftigungseffekt haben. Doch der wäre mit Nettokosten von über 40 Milliarden Euro sehr teuer erkauft. „Wegen der Subvention von Teilzeit würden viele weniger arbeiten und den geringeren Verdienst mit Bürgergeld ausgleichen“, warnt IZA-Experte Hilmar Schneider.

Angesichts der prekären Haushaltslage dürfte die Politik vor diesem Risiko zurückschrecken – und das Bürgergeld vorerst graue Theorie bleiben.

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