
Im Koalitionsstreit über das Vorgehen in der NSA/BND-Geheimdienstaffäre verschärft die Union ihre Kritik an der SPD. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Armin Laschet warf den Sozialdemokraten indirekt vor, die Sicherheit Deutschlands aufs Spiel zu setzen. „In einer Phase, in der wir Bedrohungen des internationalen Terrorismus ausgesetzt sind wie nie zuvor, ist es unverantwortlich, leichtfertig die Beziehungen zu den USA und die Geheimdienstkooperation zu gefährden“, sagte er dem „Tagesspiegel“ (Montagsausgabe).
Der neue Skandal um BND und NSA
Der BND soll dem US-Geheimdienst NSA jahrelang geholfen haben, Ziele auch in Europa auszuforschen. Es geht dabei um große Datenmengen, die der BND an seiner Abhörstation in Bad Aibling abgreift und die die NSA nach europäischen Unternehmen und Politikern durchforstet haben soll. In Bad Aibling belauscht der BND internationale Satellitenkommunikation, angeblich vor allem aus Krisenregionen wie Afghanistan oder Somalia. Es ist aber nicht ganz klar, was dort tatsächlich alles abgefischt wird.
BND und NSA vereinbarten vor Jahren, dass die Amerikaner nach bestimmten Suchmerkmalen (Selektoren) Zugriff auf diese Daten bekommen - zur Terrorbekämpfung und unter Einhaltung deutscher Interessen. Die Amerikaner hielten sich aber wohl nicht an diese Vereinbarung, sondern nutzten die Daten keineswegs nur für den Kampf gegen den Terror, sondern möglicherweise auch zur Wirtschaftsspionage und für andere Zwecke, die deutschen und europäischen Interessen zuwiderlaufen.
Um aus den großen Datenmengen relevante Informationen herauszusuchen und die Kommunikation von Verdächtigen aufzuspüren, filtern sie diese nach bestimmten Suchmerkmalen - zum Beispiel E-Mail-Adressen, Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern. Die NSA hat dem BND massenhaft solche Suchkriterien übermittelt, damit dieser die Daten aus Bad Aibling danach maschinell durchkämmt und anschließend an die USA weitergibt. Wie viele Selektoren die Amerikaner geliefert haben, ist unklar. Die Rede ist von mehreren Hunderttausend oder mehr als einer Million. Sie werden ständig überarbeitet und ergänzt.
Der BND prüft nach eigenen Angaben durchaus, was die NSA an Daten anfragt und welche Suchkriterien sie übermittelt. Und der Geheimdienst beteuert, dass er Selektoren, die deutschen Interessen widersprechen, aussortiert und keine Daten dazu liefert. Angesichts der riesigen Mengen an Daten und Selektoren sind die Prozesse aber computerbasiert. Der Grünen-Obmann im NSA-Ausschuss, Konstantin von Notz, geht deshalb davon aus, dass alles grundsätzlich automatisiert und ohne Prüfung der einzelnen Suchmerkmale abläuft. „Dieses System ist unkontrollierbar“, sagt er. „Und der BND wusste das auch.“
Der BND bemerkte schon 2005, dass die NSA in dem Wust an abgehörten Daten auch nach europäischen Zielen suchte - nach den Firmen EADS und Eurocopter und nach französischen Behörden. Nach den Enthüllungen der NSA-Affäre 2013 schaute sich der BND die Suchanfragen noch genauer an und stieß auf rund 2000 kritische Selektoren der NSA. Insgesamt hat der BND über die Jahre rund 40 000 solcher Suchkriterien der USA abgelehnt. Nach eigenen Angaben fischten die BND-Mitarbeiter diese heraus, gaben den Amerikanern dazu also keine Daten.
Doch die Linke-Obfrau im NSA-Ausschuss, Martina Renner, glaubt nicht an diese Version. „Wir gehen davon aus, dass ein Teil der Selektoren auch eingesetzt wurde.“ Wen genau die Amerikaner alles ausforschen wollten und bei welchen Stellen ihnen das in welchem Umfang gelang, ist noch unklar. Das Kanzleramt erfuhr angeblich erst vor ein paar Wochen von der ganzen Sache - nachdem der NSA-Untersuchungsausschuss nachhakte.
Laschet reagierte damit auf die Forderung des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel und von Generalsekretärin Yasmin Fahimi, die Spählisten des US-Geheimdienstes NSA notfalls auch gegen den Willen der Amerikaner freizugeben. Vor allem Fahimi zieht den Unmut der Union auf sich. Sie hatte im „Tagesspiegel“ die Forderung nach Freigabe der NSA-Listen mit Suchbegriffen für den BND mit dem Satz begründet: „Eine deutsche Kanzlerin darf nicht unterwürfig sein gegenüber den USA.“ Fraktionschef Volker Kauder (CDU) monierte in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ die „schrillen Töne aus der SPD-Parteizentrale“ und sprach von einer „Belastung in der Koalition“. Zugleich mahnte er: „So geht man nicht miteinander um in einer Koalition.“
CDU-Vize Julia Klöckner sagte dem „Tagesspiegel“ (Montagsausgabe): „Man bekommt immer mehr den Eindruck, dass die SPD dringend ein Thema sucht, um aus ihren schlechten Umfragewerten zu kommen.“ Sie warnte die SPD davor, „in der Regierungskoalition die Opposition geben zu wollen“. Dies sei noch nie gut gegangen. Unterstützung erhielt Gabriel von Altkanzler Gerhard Schröder (SPD). Dieser nannte die Forderung nach Freigabe der Listen in der „Bild“-Zeitung (Montag) „eine berechtigte Forderung“, nicht zuletzt weil deutsche Unternehmen und europäische Partner betroffen seien. Die Vorgänge müssten unverzüglich aufgeklärt werden. „Es kann doch wohl nicht so sein, dass ein deutscher Geheimdienst Daten zur Verfügung stellt, mit denen deutsche Unternehmen ausgeforscht werden oder auch befreundete Regierungen“, sagte Schröder.
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte Kanzlerin Angela Merkel in der „Leipziger Volkszeitung“ (Montagsausgabe) ebenfalls zur raschen Aufklärung der Vorwürfe auf. Sie warnte: „Wenn die Kanzlerin die Dinge weiter treiben lässt, gefährdet sie das Grundvertrauen der Bürger in das demokratische System der Bundesrepublik.“
Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Konstantin von Notz machte die Bundesregieurung in der „Welt“ (Montagsausgabe) für „zehn Jahre rechtliches Chaos beim BND“ verantwortlich. Sie habe sich bewusst gegen eine Gesetzesinitiative zur Problematik der Fernmeldeaufklärung in der digitalen Kommunikation entschieden und „den BND bei der Täuschung und Umgehung parlamentarischer Kontrollgremium zumindest gewähren lassen“. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner warnte in der „Rheinischen Post“ (Montagsausgabe): „Wenn die Kanzlerin nicht für rückhaltlose Aufklärung sorgt, kann diese Affäre ein Ausmaß annehmen wie seinerzeit die Watergate-Affäre in den USA.“ Wegen der Abhöraffäre im Hotel Watergate war US-Präsident Richard Nixon 1974 zurückgetreten.