
„Ohne Malu“, sagt ein Parteivize an diesem Wahlabend im Berliner Willy-Brandt-Haus, „ohne Malu wären wir noch nicht hier unten.“
Hier unten, das muss man angesichts der Zahlen gleich dazu sagen, ist das schiffartige Foyer der Parteizentrale. Dort hat sich am Wahlabend die Berliner SPD versammelt, viele Ministeriumsmitarbeiter, Sympathisanten, Journalisten. Und dass sich gegen 19 Uhr schon einige der führenden Köpfe der Partei mit Weißwein unters Volk mischen und ihre Interpretationen anbieten, ist ein gutes Zeichen. Für Sigmar Gabriel.





Ohne Malu Dreyer wären wir nicht hier. Das soll heißen: Ohne den Wahlsieg in Rheinland-Pfalz säßen die Oberen stattdessen zusammen in der 5. Etage, auf der Präsidiumsebene, und würden wahrscheinlich einen neuen Parteichef suchen. Oder wenigstens sofort nach einem anderen, besseren Kanzlerkandidaten fahnden. Keine 15 Prozent der Stimmen in Sachen-Anhalt und Baden-Württemberg bedeuten eine Infragestellung des Volksparteien-Status, nicht weniger. Ohne Rheinland-Pfalz also wäre es ein Desaster historischen Ausmaßes.
Mit Dreyers überraschend deutlichen Sieg in Mainz aber, gegen die gefühlte Amtsinhaberin Julia Klöckner (CDU), ist es nur eine Art Zweidrittel-Katastrophe. Eine mit seltsam bittersüß schmeckendem, gerade noch glücklichem Abgang.
Sigmar Gabriel versucht bei seiner Rede gar nicht erst, einen unverhofften Triumph auszuschlachten. Es sei ein Abend mit „gemischten Gefühlen“, ruft er. Wahrscheinlich weiß niemand besser als Gabriel selbst, dass er sein politisches Überleben nur teilweise selbst in der Hand hatte. Ja, es stimmt, es gibt keine Putschisten, wie das Gabriel-Lager immer wieder raunt. Aber es gibt eben auch längst kein Gabriel-Momentum mehr, Hoffnungsüberschuss kann er schon länger nicht mehr produzieren.
Die Zweifel an ihm, ohnehin nicht gerade klein, wachsen immer weiter. All das Problematische an Gabriel wird in den wenigen Minuten seines Auftritts im Willy-Brandt-Haus deutlich. Gleich zweimal verwendet er eine interessante Wendung, die von „Liberalität und sozialem Zusammenhalt“. Man könnte sagen, dass es die SPD im Bundestags-Wahlkampf 2013 vor allem mit letzterem versucht hat, Gabriel wiederum hat in den vergangenen Monaten den Versuch unternommen, den inneren Pol der Partei ein wenig in Richtung des ersteren zu verschieben. Zur, wie er das nannte, „arbeitenden Mitte“, den Leistungsträgern in der Gesellschaft von Krankenschwestern bis hin zu, ja, Managern.
Nur: In den vergangenen Wochen der Landtagswahlkämpfe und der Flüchtlingskrise betonte derselbe Gabriel lieber wieder die Sorgen und Nöte der kleinen Leute, mischte Abstiegsangst der eigenen Bevölkerung mit den ur-sozialdemokratischen Investitionswünschen für einen starken Staat, der Millionen Flüchtlinge integrieren muss – und dementierte damit zugleich die eigene Wohlfühlpolitik der großen Koalition. Auch am Wahlabend betont Gabriel weiter diesen „Solidarpakt“, den man 2017 zum Wahlkampfthema machen werde. Da ist der Parteichef wieder einmal der genialisch-irrlichternde Stimmungssurfer; der Mann, der es schafft, in internen Runden Besonnenheit anzumahnen, um direkt vor der Tür die schärften Attacken in die erste Kamera zu bellen – kurzum: der Mann ohne Haltung und Kompass. Das ist ein alter Mangel, der gerade wieder sehr stark spürbar wird unter Genossen.
Er habe „einen Plan“, hat der Parteichef nach der Wahl 2013 seinen Genossen immer und immer wieder zugerufen, um sie zu beruhigen. Eine Zeitlang hat das exzellent funktioniert, da wirkte Gabriel sicher, schlafwandlerisch, souverän. Mittlerweile dämmert es den meisten, dass er gar keinen Plan hat. Er hat nur sich und seinen Instinkt.