SPD-Chef Schulz trommelt in Düsseldorf für GroKo

SPD-Chef Martin Schulz muss weiter für die ungeliebte GroKo werben. Am Dienstagabend ist er in Düsseldorf. Er versucht, diejenigen zu umgarnen, die Nachbesserungen fordern. Doch der Protest ist laut.

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Der SPD-Vorsitzende wirbt für Koalitionsverhandlungen bei den rheinischen Delegierten des SPD-Bundesparteitags. Quelle: dpa

Dortmund, Düsseldorf, Irsee, Mainz Endlich hat Henriks Stunde geschlagen – und in diesem Fall handelt es sich nicht um ein schiefes Sprachbild: Mit aller Kraft prügelt der 15-jährige Gymnasiast auf die Trommel ein, die er vor seinen Bauch geschnallt hat.

Gemeinsam mit etwa 30 anderen Jusos brüllt er aus aller Kraft „Nie, nie, nie wieder Groko“, als Personenschützer Martin Schulz am Dienstagabend vorbei an Transparenten, Kameras und „GroKo ist Mist“-Plakaten ins Foyer des Holiday Inn Hotels in Düsseldorf schieben. Die Jusos geben ihr bestes, um dem Parteichef der SPD trotz des Schmuddelwetters einen heißen Empfang zu bereiten. Schulz lächelt gequält.

Tag zwei seiner Werbereise für das Bündnis mit der Union führt den SPD-Chef nach Düsseldorf. Am Montag hatte er in Dortmund um die Unterstützung der Delegierten aus Westfalen und Ostwestfalen-Lippe gerungen. Der oberste Genosse versucht die Herzen in den Landesverbänden für sich zu gewinnen, die besonders viele Delegierte am Sonntag zum Parteitag nach Bonn schicken und viele Unentschlossene unter sich haben: Bayern, Rheinland-Pfalz und allen voran NRW. Nur noch wenige Tage bleiben dem Hauptdarsteller dieses SPD-Krimis, um zu verhindern, dass er zum Antihelden einer Tragödie wird.

Also umgarnt er in Düsseldorf vor allem diejenigen in seiner Partei, die Nachbesserungen fordern. Wie auch in Dortmund wiederholt er vor den Journalisten im Hotel, dass „Sondierung“ bedeute, auszuloten, ob Koalitionsverhandlungen Sinn machten. Michael Groschek, der Chef der NRW-SPD, und Svenja Schulze, die Generalsekretärin der SPD Nordrhein-Westfalen, die neben ihm stehen, nicken brav.

Die Botschaft an die Skeptiker: Wenn ihr mir die Chance gebt, mit der Union zu verhandeln, geht noch was. „Kommentierungen der CSU in den letzten Tagen“, Schulz spielt auf bajuwarische Schmähungen wie den „Zwergenaufstand“ an, seien dafür „absolut nicht zuträglich und hilfreich“. Der SPD-Parteichef zeigt sich zudem überzeugt, dass die SPD als Regierungspartei das Land verbessern, den Zusammenhalt der Gesellschaft „vor allem durch die Erneuerung der Solidarsysteme“ stärken könne. Zusätzlich, so Schulz, würden mit einer SPD in der Regierung „90 Prozent der Steuerzahler beim Soli in Höhe von zehn Milliarden Euro entlastet“.

Der Juso Henrik kann gerade beim Stichwort Rente nur den blonden Schopf schütteln. „Ich will nicht dass Deutschland einschläft“. Die SPD mache keine Politik für seine Generation. „Wir werden kaum noch Rente bekommen, wenn wir soweit sind, müssen aber den Großteil aufbringen“. Er wünscht sich jüngere Gesichter in der Partei. Schulz, das ist für Henrik klar, könne mit seinem Schlingerkurs die Partei nicht weiter führen.

Das Problem, sagt die amtierende Umweltministerin Barbara Hendricks dem Handelsblatt, die Schulz an diesem Abend genau wie Andrea Nahles, die Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, unterstützt, sei nicht die Absage an eine GroKo am Wahlabend selbst gewesen. „Wir hätten uns nach dem Scheitern der Jamaika-Koalition ein paar Tage Zeit nehmen sollen, um die Lage in Ruhe zu bewerten“. Schulz hatte zu dem Zeitpunkt aber weiter auf dem Gang in die Opposition beharrt. Das hat seine Glaubwürdigkeit aus Sicht vieler SPD-Mitglieder beschädigt.

Doch nicht nur das. Während Henrik dafür sorgt, dass vor dem Hotel Trommelfelle und Eingeweide vibrieren, sitzt die SPD-Delegierte Silvia Richter im Konferenzraum des Hotels und sortiert ihre Gedanken. Sie habe vollstes Verständnis für die Haltung der Jusos, sagt das Vorstandsmitglied der SPD-Mühlheim. „Ich fühle mich verarscht und belogen“.

Die SPD, sagt Richter, sei gegenüber der CDU eingeknickt und entferne sich zu weit von ihren sozialen Werten. Das mache sie an der Obergrenze für Flüchtlinge und dem „Nein“ der Union zum Familiennachzug fest. Diese Meinung teile ihr ganzer Bezirk, sagt sie. Für die GroKo würden doch die Genossen stimmen, die ein Bundestagsmandat hätten.

Einer von ihnen ist Sebastian Hartmann, MdB aus dem Rhein-Sieg-Kreis. Er ist einem Bündnis mit der SPD gegenüber aufgeschlossener, allerdings nicht auf Basis des aktuellen Sondierungspapiers. Er sitzt im Verkehrsausschuss und moniert, dass wesentliche Inhalte zur Finanzierung der Infrastruktur und für eine ökologische Verkehrswende fehlten: „Die Sondierung ist ein Fundament, sollte das der Beschlusstext sein, können wir das ganze aber vergessen.“

Sollten sich unter den 65 Parteitagsdelegierten vom Mittel- und Niederrhein, die am Dienstagabend mit Schulz über die Zukunft der Partei diskutieren, nicht noch ein paar mehr Fürsprecher befinden, sieht es finster für den Stimmensammler aus Würselen aus.

Nervös sei sie nicht, sagt Hendricks, die im Sitzungssaal mit den Delegierten auf die Ankunft von Schulz wartet. Ihre Position als Ministerin sei nicht so wichtig, sagt Hendricks, die in einer Hand ihre Kaffeetasse hält und sich mit der anderen an die Stirn fasst. „Mich treibt um, wie es mit unserem Land und der SPD weitergeht, sollten Koalitionsverhandlungen nicht zustande kommen. Denn dann wird es ziemlich sicher ziemlich bald Neuwahlen geben und mit welchen Argumenten sollen wir dann auf die Wählerinnen und Wähler zugehen?“

Damit es nicht so weit kommt, wirbt Schulz nach Dortmund und Düsseldorf am Mittwoch im bayerischen Irsee und soll sich am selben Abend mit dem Parteirat der SPD Rheinland-Pfalz in Main zu Beratungen treffen.

Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz (SPD), hofft darauf, die Kritiker in ihrer Partei noch zugunsten einer großen Koalition umzustimmen. „Ich glaube, dass wir gut tun, dass wir jetzt einfach das Gespräch überall suchen“, sagte Dreyer am Dienstag in Mainz. „Dann bin ich auch zuversichtlich, dass sich die Delegierten mehrheitlich für diesen Weg entscheiden.“ Sie rief die Genossen dazu auf, „alle gemeinsam jetzt an einem Strang“ zu ziehen.

Michael Groschek, den die Genossen nur Mike nennen, sagte dem Radiosender WDR2 am Dienstag, es gebe viel Unsicherheit in seiner Partei. „Wir haben Mitglieder, die sagen Ja, und welche, die sagen Nein, und dazwischen ist ein großer Teil von nachdenklichen Unentschlossenen.“

Am Montag hatte sich etwa der Vorstand der Berliner SPD gegen Verhandlungen über eine Neuauflage der großen Koalition ausgesprochen. Für die 23 Berliner Delegierten auf dem Sonderparteitag ist die Entscheidung aber nicht bindend. Bereits am Samstag hatten die Delegierten eines Landesparteitags in Sachsen-Anhalt mit einer Stimme Mehrheit gegen ein neues Bündnis mit CDU und CSU gestimmt. Der Landesvorstand in Brandenburg befürwortete derweil mit 9 zu 2 Stimmen die Aufnahme von Verhandlungen über eine GroKo und auch im Landesvorstand des Saarlands unterstützen die Genossen den GroKo-Kurs.

Im Falle einer Zustimmung der SPD rechnet CSU-Chef Horst Seehofer mit einem schnellen Start der Koalitionsverhandlungen. „Dann beginnen die Koalitionsverhandlungen sofort nächste Woche und dann sollen sie nach Möglichkeit bis zur circa ersten Februarwoche abgeschlossen sein“, sagte er am Dienstag am Rande der Klausur der CSU-Landtagsfraktion im fränkischen Kloster Banz.

Bereits im Sondierungspapier fänden sich viele „ganz grundlegende Weichenstellungen“, die geeignet seien, den Zusammenhalt im Land zu stärken, die Polarisierung zu überwinden und gleichzeitig auch das Land erneuern könnten. Die Regierungsbildung müsse dann bis spätestens vor Ostern zustande kommen. „Das Land braucht nach innen und außen Führung und Stabilität.“

Die Lage ist aber völlig offen. Stimmt beim Parteitag am Ende eine Mehrheit gegen den Kurs der Führung, müsste Martin Schulz vermutlich sofort abtreten. Zusätzlich wären die Mitglieder der Parteispitze, die für ein Ja zu Koalitionsverhandlungen geworben haben, nachhaltig beschädigt. Bei einer Neuwahl könnte die SPD zudem, wie Hendricks schon angedeutet hat, unter die 20-Prozent-Marke rutschen.

Juso-Trommler Henrik, der Schlagzeuger in einer Band ist, wäre das egal. Gerade gibt er einem Kumpel ein Interview, statt einem Mikrofon hält der ihm einen seiner Schlegel vors Gesicht. „Wir müssen wieder klare Positionen finden“, sagt er staatsmännisch, dann bekommen wir auch die AfD ganz schnell eingedämmt“. Schulz tue ihm gar nicht leid, sagt er noch, dann knallen seine Trommelschläge wieder durch die verregnete Düsseldorfer Nacht.

Mit Material von dpa.

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