SPD-Debatte nach Jamaika-Abbruch „Sprechen muss man natürlich immer“

Nach dem Jamaika-Scheitern wäre eine Große Koalition möglich, die hatte die SPD aber kategorisch abgelehnt. Nun deutet sich ein Richtungswechsel an. Mancher Sozialdemokrat will Gespräche nicht grundsätzlich ausschließen.

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Die SPD hat sich noch entschieden. Quelle: dpa

Berlin In der SPD ist eine Debatte darüber entbrannt, wie man auf die gescheiterten Jamaika-Sondierungen reagieren soll. „Alle Parteien müssen sich nun neu sortieren und überlegen, wie es weitergeht“, sagte Johannes Kahrs, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD, dem Handelsblatt. Er warnte vor schnellen Festlegungen. „In der Ruhe liegt die Kraft.“ Die FDP hatte die Jamaika-Sondierungen in der Nacht platzen lassen.

Bisher hatte die SPD Gespräche über eine Neuauflage der Großen Koalition kategorisch ausgeschlossen. Doch nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen gibt es Stimmen, die Gesprächsbereitschaft einfordern. „Sprechen muss man natürlich immer“, sagte Hans-Peter Bartels (SPD), Wehrbeauftragter des Bundestages, dem Handelsblatt. Neben einer Großen Koalition wäre theoretisch auch eine Duldung einer Minderheitsregierung durch die SPD denkbar.

Frank Schwabe, Sprecher der „Denkfabrik“, eines Zirkels junger, linker Sozialdemokraten in der SPD-Bundestagsfraktion, warnte vor vorschnellen Festlegungen. „Ich sehe in der Tat die Notwendigkeit sich die historisch schwierige Lage bewusst zu machen. Wir dürfen nicht leichtfertig entscheiden“, sagte Schwabe dem Handelsblatt. „Aber gerade im Sinne der Demokratie halte ich eine erneute Große Koalition für Gift.“ Deshalb, so seiner Einschätzung, gebe es auch „jetzt keine andere Entscheidung der SPD“.

Wie sich die Sozialdemokraten am Ende verhalten, lässt sich derzeit nicht mit Gewissheit sagen. Bei allen Diskussionen dürfte auch eine Rolle spielen, dass die Partei erst vor acht Wochen von den Wählern mit 20,5 Prozent gedemütigt wurde. Nun könnte die SPD mit einem Schlag zurück im Geschäft sein – wenn sie es denn wollte.

Nachdem die FDP die Jamaika-Sondierungen abgebrochen hat, sind die Sozialdemokraten für Angela Merkel neben einer – unwahrscheinlichen – Minderheitsregierung der einzige Ausweg, eine drohende Neuwahl abzuwenden. Die Wahlergebnisse von Union und SPD hätten trotz Verlusten für eine Große Koalition gereicht. Doch die SPD legte sich am Wahlabend fest: Ein Bündnis unter der Kanzlerin werde sie nicht mehr eingehen. Ob das immer noch gilt, nachdem sich jetzt die Lage dramatisch geändert hat? In Niedersachsen war die Große Koalition unter Führung der Sozialdemokraten in 14 Tagen unter Dach und Fach. Lässt sich die SPD von Merkel breitschlagen?

Nun sei zunächst der Bundespräsident am Zug, sagte Kahrs. Die Diskussionen in den Parteien bräuchten dann Zeit. Die könne man sich nehmen. „Es gibt eine geschäftsführende Bundesregierung und ein handlungsfähiges Parlament“, betonte der SPD-Politiker.

Auf Twitter hatte sich Kahrs indes schon deutlich für mögliche Verhandlungen mit der Union stark gemacht. „Ich hätte auch gerne regiert. Der Oppositionsauftrag war aber eindeutig“, schrieb Kahrs am Sonntagvormittag in dem Kurznachrichtendienst. Er erklärte erklärte allerdings auch: „Wenn Jamaika scheitert, kann man gerne neu verhandeln, vorher nicht.“

Der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Rainer Arnold schloss Gespräche über eine mögliche Große Koalition unter bestimmten Voraussetzungen nicht aus. „In unsicheren Zeiten bewegt man sich am besten vorsichtig tastend“, sagte Arnold dem Handelsblatt. Das Scheitern von Jamaika sei zuallererst das Scheitern von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). „Und deshalb wäre der nächste Schritt der Rücktritt von Frau Merkel.“ Mit Blick auf eine Neuauflage der Großen Koalition fügte Arnold hinzu: „Weil ich für ein tastendes Vorgehen bin, würde ich das auch erst nach ihrem Rückzug bewerten.“


Trittin für Neuwahlen zu Ostern, Tauber dagegen

Der SPD-Bundestagesabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Ulrich Kelber, plädierte hingegen für Neuwahlen. „Die Wählerinnen und Wähler haben am 24. September einer Großen Koalition eine Absage erteilt. Das gilt auch nach dem Scheitern der Schwampel (Jamaika-Koalition, Anm. der Redaktion)“, sagte Kelber dem Handelsblatt. „Es führt wohl kein Weg an Neuwahlen vorbei.“

In diese Richtung denkt auch der Grünen-Unterhändler Jürgen Trittin. Er rechne Ostern mit Neuwahlen, sagte Trittin im Deutschlandfunk. Diese Entscheidung hänge allerdings von der Haltung des Bundespräsidenten ab. Deutschlands Nachbarn erwarteten Stabilität. Es gebe berechtigte Zweifel, ob das mit einer Minderheitsregierung zu gewährleisten wäre, betonte Trittin.

CDU-Generalsekretär Peter Tauber sprach sich gegen Neuwahlen aus. Die Menschen erwarteten von den Politikern, dass sie die Probleme lösten, sagte Tauber im Deutschlandfunk. Man könne die Verantwortung, vor der sich die FDP leider gedrückt habe, jetzt nicht einfach abgeben.

CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn machte unüberbrückbare Differenzen zwischen FDP und Grünen für das Scheitern der Jamaika-Sondierungen verantwortlich. Union und FDP wären in zwei Wochen fertig gewesen, sagte Spahn im ZDF. Nun stelle sich erneut die Frage an die SPD, ob sie Verantwortung übernehmen oder weiter hämisch in der Ecke bleiben wolle.

Der stellvertretende SPD-Vorsitzende Ralf Stegner bekräftigte indes, die Sozialdemokraten stünden nicht noch einmal für eine Große Koalition zur Verfügung. Die Wähler hätten deutlich gemacht, dass sie keine Fortsetzung wollten, sagte Stegner im Deutschlandfunk.

Ähnlich äußerte sich die Vorsitzender sozialdemokratischer Frauen, Elke Ferner. „Auch die Verweigerung der FDP zu regieren, ändert nichts an der Tatsache, dass die GroKo abgewählt worden ist“, sagte Ferner dem Handelsblatt. Deshalb könne sie sich nicht vorstellen, dass die SPD ohne ein erneutes Votum der Wähler „Koalitionsverhandlungen mit wem auch immer aufnimmt“.

Auch der stellvertretende SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel machte deutlich: „Die SPD ist nicht das Ersatzrad am schlingernden Wagen von Frau Merkel.“  Andererseits zeigte sich Schäfer-Gümbel offen für andere Optionen. Einer Minderheitsregierung werde sich die SPD nicht verschließen, sagte er dem Radiosender hr-Info.

Ob es eine solche Variante geben könne, müsse Merkel entscheiden, sagte der SPD-Linke Schwabe. Auch einen Neuwahl schloss Schwabe nicht aus. Dann seien aber „klare politische Alternativen“ nötig. Deshalb empfehle er eine „klare Bezugnahme“ auf ein Linksbündnis aus SPD, Linkspartei und Grünen „und was damit inhaltlich für das Land verbunden wäre“. Dann müsse das Ergebnis auch nicht unbedingt  wie die jetzigen Umfragen aussehen. „Eine Stärkung der AfD wäre dann jedenfalls kein Schicksal“, so Schwabe.

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