Herr Weil, die Steinbrück-Debatte platzt mitten in ihren Wahlkampf. Wie finden Sie das Auftreten ihres Parteikollegen als Kanzlerkandidat?
Stephan Weil: Da, wo ich mit Peer Steinbrück aufgetreten bin, war das immer ein voller Erfolg. Die Diskussion über ihn auf Bundesebene halte ich für sehr übertrieben. Für uns in Niedersachsen hat das keine negativen Auswirkungen. Unsere Umfragewerte sind stabil, es sind keine Bremsspuren erkennbar.
Haben Sie sich nicht auch mal gefragt, wieso das Feuer eigentlich noch brennt, das Steinbrück entfacht hat?
Die Debatte ist eine Welle in den Medien, die aber im Bewusstsein der Niedersachsen keine wesentliche Rolle spielt. Den Leuten ist klar, dass es hier um eine Landtagswahl geht.
Die aber auch einige bundespolitische Aspekte in sich trägt.
Die Niedersachsen-Wahl wird bundespolitische Auswirkungen haben. Aber die Bundespolitik wird nicht über den Ausgang der Niedersachsen-Wahl entscheiden.
Ist es nicht bitter, dass Steinbrück bei den Bürgern inzwischen sogar unbeliebter ist als Außenminister Guido Westerwelle?
Möglichweise ist die Beliebtheit von Herrn Westerwelle ein Reflex auf die Unbeliebtheit von Herrn Rösler.
Für die Bundes-SPD, die ja im Grunde den Sieg in Niedersachsen schon eingepreist hat, dürfte sich, wenn das Erhoffte nicht eintritt, doch einiges ändern nach der Wahl am 21. Januar.
Mir war immer klar, dass es knapp wird. Jetzt kommt es darauf an, dass wir den Vorsprung auf den letzten Metern stabilisieren, ausbauen und ins Ziel bringen.
Wir würden Sie im Fall der Fälle mit den Linken umgehen?
Ich kämpfe eindeutig für eine rot-grüne Koalition und freue mich, wenn die Linke nicht in den Landtag einzieht. Das unterscheidet mich im Übrigen von Herrn McAllister. Lediglich der noch amtierende Ministerpräsident hat ein Interesse daran, dass die Linke in den Landtag einzieht. Meine Botschaft lautet: Jede Stimme für die Linke ist eine Stimme für McAllister.
Als Windstromland ist die Energiewende für Niedersachsen von besonderer Bedeutung. Wie läuft Ihrer Ansicht nach die Umsetzung seitens des Bundes?
Derzeit laufen wir Gefahr, durch das Energiewende-Chaos der Bundesregierung schwere Schäden zu erleiden. Die Offshore-Firmen an der Küste haben in den letzten Jahren tausende von Arbeitsplätzen geschaffen. In den Büchern stehen jetzt aber nur noch Aufträge bis Mitte des Jahres. Investoren neuer Windparks haben ihre Pläne reihenweise zurückgestellt, weil ihnen die Rahmenbedingungen zu unsicher sind. Das kann dazu führen, dass eine Zukunftsindustrie stirbt, bevor sie richtig zu leben begonnen hat.
"Bei Energiewende geht es um Nervenstrang der Wirtschaft"
Was ist zu tun?
Im Erneuerbare-Energien-Gesetz ist auch das so genannte Stauchungsmodell geregelt. Es wurde entwickelt, um durch einen verkürzten Auszahlungszeitraum der EEG-Vergütung die Offshore-Projekte wirtschaftlich besser zu stellen ohne den Stromkunden zusätzlich zu belasten. Diese Regelung läuft 2017 aus. Das kann nicht so bleiben, wir brauchen schleunigst eine Verlängerung. Sonst kann der von allen gewollte beschleunigte Ausbau der Offshore-Windenergienutzung in Deutschland nicht erreicht werden.
Ist die Lage wirklich so ernst?
Ich kann wirklich nicht erkennen, dass bei der Energiewende irgendetwas voran geht. Mit Ausnahme der Energiepreise: die schießen durch die Decke. Und Merkel lässt es treiben. Für mich grenzt es schon an Arbeitsverweigerung, was sich die Bundesregierung in Sachen Energie leistet. Es gibt keinen Plan.
Wäre ein Bundes-Energieministerium, in dem die Aufgaben gebündelt wären, sinnvoll?
Ja. Da sprechen Sie mit einem Überzeugungstäter. Wenn man die Minister Altmaier und Rösler beobachtet, würde man nicht auf die Idee kommen, dass sie Mitglieder ein und derselben Regierung sind. Ich finde das verantwortungslos. Bei der Energiewende geht es um den Nervenstrang der deutschen Wirtschaft.
Wir haben jetzt Politiker in Aufsichtsräten erlebt, die keine Glanzleistung vollbracht haben – Stichwort: Großflughafen Berlin. Bei Thyssen-Krupp saß Steinbrück im Aufsichtsrat, der allerdings nicht mal in der schweren Krise des Konzerns Zeit für Aufsichtsratssitzungen hatte.
Die gute Aufsicht von Unternehmen ist mit Sicherheit nicht davon abhängig, ob ein Politiker im Aufsichtsrat sitzt oder nicht. Bei komplexen Projekten müssen immer alle Räder ineinander greifen, damit sie zum Erfolg werden.
Dafür haben Politiker möglicherweise nicht die nötige Zeit und Expertise. Würden Sie sagen: Politiker raus aus Aufsichtsräten?
Ich bin selbst Mitglied diverser Aufsichtsräte. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich der Aufgabe nicht gewachsen bin. Ansonsten muss man gehen.
"Deckelung von Managergehältern wäre Beitrag zum sozialen Frieden"
Manchmal ist man ja qua Amt Mitglied in einem Aufsichtsrat.
Wenn man sich überfordert fühlt, kann man die Aufgabe delegieren. Wenn man qua Amt in einem Aufsichtsrat sitzt, dann hat das schon seinen Grund. Nehmen Sie nur das Beispiel Volkswagen.
Freuen Sie sich auf den VW-Aufsichtsrat?
So weit sind wir noch nicht. Aber wenn ich zum Ministerpräsidenten gewählt werden sollte, dann würde ich mich auch auf diese interessante Tätigkeit freuen.
Wie stehen Sie zum VW-Gesetz, ist es für alle Zukunft in Stein gemeißelt?
Das VW-Gesetz ist aus niedersächsischer Sicht nicht verhandelbar. Dafür gibt es historische und ökonomische Gründe.
Warum?
VW ist für Niedersachsen das mit Abstand wichtigste Unternehmen. Sehr verantwortungsbewusste, kluge Privateigentümer, ein sichernder Einfluss des Landes und eine sehr verantwortungsbewusste Arbeitsnehmerseite – das ist das VW-Erfolgsgeheimnis.
Würden Sie sich als VW-Aufsichtsrat für eine Deckelung der Vorstandsgehälter einsetzen? Der Verdienst von VW-Chef Winterkorn hat mit 17 Millionen Euro eine Dimension erreicht, die die Bürger nicht mehr verstehen.
Bevor ich nicht in den Aufsichtsrat eines Unternehmens eingetreten bin und dessen Regularien kenne, werde ich mich zu solchen Fragen ganz bestimmt nicht öffentlich äußern.
Wir können die Frage auch allgemein betrachten.
Ich glaube, dass Manager insgesamt gut beraten sind, die soziale Akzeptanz von Gehältern mit zu bedenken. Geld ist an dieser Stelle häufig eine Chiffre für die damit verbundene Leistung und Ausdruck der Wertschätzung. Das passt in vielen Fällen nicht mehr zusammen. Es gibt einfach eine Unwucht, insbesondere wenn ich mir anschaue, wie Menschen im Niedriglohnsektor ausgebeutet werden. Es wäre gut, wenn man mit führenden Kreisen der deutschen Wirtschaft ganz offen darüber reden könnte.
Was wäre für Sie der Maßstab für eine gerechte Bezahlung?
Man kann das nicht pauschalisieren. Ich bin auch dagegen, dass wir von staatlicher Seite Regelungen ergreifen, dass Menschen nicht mehr als die Summe x verdienen dürfen. Da setze ich schon darauf, dass man in den Unternehmen eine entsprechende Reife und Umsicht hat, Entgelte zu vereinbaren, die einerseits leistungsgerecht sind und andererseits außerhalb des Unternehmens auch verstanden werden. Die Bereitschaft zur Deckelung von Vorstandsgehältern wäre sicherlich ein starker Beitrag zum sozialen Frieden in Deutschland.
"Klares Vorgehen gegen Banken stabilisiert Staatseinnahmen"
Stichwort NordLB: Dass Landesbanken unter Umständen zum Risiko für einen Landeshaushalt werden können, haben wir zur Genüge gesehen. Wie stellen Sie sich die Zukunft der NordLB vor, haben Sie vor, den Status quo weiterzuführen?
Landesbanken können in der Tat ein Risiko für die Landeshaushalte sein. Auch wenn wir in Niedersachsen im Gegensatz zu anderen Ländern glimpflich davon gekommen sind, müssen wir überlegen, wie wir weiterhin das Risiko begrenzen.
In der Schweiz wurden sie als Bankenschreck wahrgenommen, nachdem sie neulich Schweizer Banken mit Lizenzentzug gedroht haben.
Einem guten amerikanischen Beispiel folgend. Die Schweizer Banken sind dem amerikanischen Fiskus gegenüber wesentlich kooperationswilliger geworden, nachdem ihnen angedroht wurde, dass sie, wenn sie beim Datenaustausch nicht mitziehen, ihre Lizenz verlieren. Meine Meinung ist: Wer Steuerhinterziehung zum Geschäftsmodell macht, dem muss das Wasser abgegraben werden. Die Bundesregierung geht gerade leider einen anderen Weg. Das halte ich für völlig falsch. Das Steuerabkommen mit der Schweiz ist zu Recht abgelehnt worden.
Wofür sind Sie?
Ich bin sehr dafür, dass Schweizer Banken in Deutschland Geschäfte machen. Ich bin strikt dagegen, wenn sie das gleichzeitig mit einer systematischen Beihilfe zum Steuerbetrug verbinden. Es gibt seriöse Schätzungen aus Nordrhein-Westfalen, dass dem deutschen Fiskus jährlich 30 Milliarden Euro durch den Abfluss von Steuergeld auf ausländische Konten verloren gehen. Stellen Sie sich mal vor, was man mit diesem Geld machen könnte. Die Hälfte würde Herrn Schäuble reichen, um seine Neuverschuldung auf Null zu senken. Die andere Hälfte würden die Länder bekommen, die dann plötzlich ganz andere Möglichkeiten zur Sanierung ihrer Haushalte hätten und Spielraum, um in Bildung und Infrastruktur zu investieren.
Jetzt kriegen sie gar nichts, weil das Steuerabkommen gescheitert ist.
Einspruch! Nie zuvor haben wir über Selbstanzeigen so viel Geld bekommen, wie gegenwärtig. Ich bin sicher, dass ein klares Vorgehen gegen Banken sehr dazu beiträgt, Staatseinnahmen weiter zu stabilisieren. Dabei geht es nicht nur um Schweizer Banken, sondern auch um andere ausländische, aber auch deutsche Institute.
"Zockergeschäfte dürfen nicht von Kleinsparern finanziert werden"
Eigentlich sind für solche Fragen die Bankenaufsicht oder die Bundesbank zuständig und nicht die Politik.
Meinen Sie? Es ist gut, wenn sich die Bankenaufsicht an klare Regeln hält. Diese Regeln stehen im Kreditwesengesetz und das beschließt der Deutsche Bundestag.
Und das wollen sie verschärfen.
An dieser Stelle ja.
Werden Sie sich denn auch für eine strikte Trennung des Investment-Bankings vom Kredit- und Einlagengeschäft stark machen?
Das halte ich für richtig.
Das würde dann allerdings auf eine Zerschlagung auch der Deutschen Bank hinauslaufen.
Es geht nicht um Zerschlagung, sondern um eine klare Trennung der Tätigkeitsfelder. Zockergeschäfte dürfen nicht durch die Einlagen von Kleinsparern refinanziert werden. Wir müssen uns und die Sparer vor Risiken schützen. Das ist die zentrale Frage, um die es geht.
Läuft die SPD damit nicht in eine Glaubwürdigkeitsfalle? Peer Steinbrück hatte als Bundesfinanzminister unter Kanzlerin Angela Merkel eine Bankenzerschlagung noch strikt abgelehnt. Und noch im September 2010 sagte er mit Blick etwa auf die Macht chinesischer Geldinstitute, das Exportland Deutschland könne froh sein, mit der Deutschen Bank einen globalen Spieler zu haben. Besser wären zwei oder drei.
Das sehe ich wie Peer Steinbrück: Es besteht kein Widerspruch darin, einerseits die Geschäftsfelder zu trennen und andererseits Global Player zu sein. Es geht um Organisation und Struktur, darum wie sich eine Bank aufgestellt hat.
Also eine Lernkurve bei Steinbrück.
Bei uns allen. Vor allem bei allen so genannten Experten, die die Finanzkrise in ihrem Ausmaß nicht mal im Ansatz haben kommen sehen.
Ist die SPD eine Anti-Banken-Partei?
Die SPD ist die Partei der Steuergerechtigkeit. Über mich habe ich im Handelsblatt gelesen, ich hätte den Charme eines Sparkassendirektors. Insofern sind wir vielleicht doch eine Banken-Partei.
"Gehälter von Sparkassenvorständen veröffentlichen"
Sparkassendirektoren sind ja ehrenwerte Leute.
Völlig richtig. Sparkassen sind gerade für ein Flächenland wie Niedersachsen und unsere regionale Wirtschaft unersetzlich. Deswegen habe ich das auch positiv verstanden.
Die auch gut verdienen. In NRW gibt es ein Transparenzgesetz, das die Offenlegung der Sparkassengehälter vorschreibt. Können Sie sich so etwas auch in Niedersachsen vorstellen?
Ja. Ich würde das mit dem Sparkassenverband besprechen. Es spricht eine Menge dafür, die Gehälter von Sparkassenvorständen zu veröffentlichen.
Sie sind für unternehmerische Freiheit, wenn es um die Höhe von Managergehältern geht, aber im Fall des Wohnungsbaus für Dirigismus. Oder wie soll man das Papier der SPD verstehen, das eine drastische Mietpreisbremse angekündigt?
Die Handlungsmacht von Vorstandmitgliedern ist eine andere als die von Mietern in überhitzten Wohnungsmärkten. Das Mietrecht ist ein klassisches Beispiel dafür, dass der Staat vor allem schwächere Wettbewerber schützen muss.
Aber die Probleme sind doch regional unterschiedlich. Da kann man doch nicht ein Instrument schaffen, dass als bundesweit verbindliche Vorgabe ein Problem lösen soll, das nur in wenigen Regionen auftritt.
Das Instrument greift da, wo die Probleme sind. Die Mietpreisexplosion findet nicht in der Fläche statt. Da braucht es in der Tat nicht eine solche Regelung. Es geht vor allem um städtische Ballungsräume in Niedersachsen, aber auch in Berlin, Hamburg, München etc.
In dem Papier stehen nicht nur neue Regeln zum Wohnungsbau, sondern auch eine Position zur Rente, die die bisherige Rente mit 67 aufweicht. Auch der Bildungssoli steht in dem Papier und eine Kappung des Ehegattensplittings. Das sind alles Vorhaben, die letztlich eine solide verdienende Mittelschicht treffen würden. Glauben Sie, dass die Sie noch wählen würden?
Natürlich, denn in den Vorschlägen der SPD geht es darum, dass wirklich starke Schultern mehr tragen. Die Mittelschicht kennt die Probleme steigender Mieten und horrender Maklergebühren übrigens ganz genau. Ebenso ist das Bedürfnis nach besserer Bildung hier sehr ausgeprägt. Ich glaube, dass wir insgesamt konstatieren müssen, dass wir zu wenig in die Zukunft investieren. Wir sind ein reiches Land. Wir erleben im Moment aber eine Situation, dass relativ viele erwerbsfähige Menschen relativ wenig der nachkommenden Generation überlassen werden. Die Kernaufgabe, vor der die deutsche Politik in den nächsten Jahren daher stehen wird, ist, unser Gemeinwesen zukunftssicher zu machen. Deswegen brauchen wir zwingend Mittel für Bildung.
Woher sollen die kommen?
Im Moment leisten wir uns niedrigere Steuern im Spitzensteuerbereich. Das kann nicht so bleiben. Wir brauchen mehr Geld für Investitionen in unsere Zukunft. Ich halte nichts von dem Terminus Reichensteuer, der appelliert nur an Neidgefühle. Ich spreche lieber von Bildungssoli. Die breiteren Schultern sollen einen etwas höheren Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwesens zahlen.
Bei der umstrittenen neuen GEZ-Gebühr fragen wir uns, warum kein Politiker auf die Barrikaden geht und fragt, ob das, was der öffentliche-rechtliche Rundfunk hier veranstaltet noch tolerabel ist. Wie stehen Sie dazu? Kann das bestehende System unter diesen Umständen so bleiben oder muss die Politik dieser Selbstbedienungsmentalität von ARD und ZDF nicht einen Riegel vorschieben?
Um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland beneiden uns sehr viele Länder, in Europa und darüber hinaus. Das ist wichtig für die Demokratie. Diese Unabhängigkeit und Qualität ist absolut notwendig, verteidigungswert und hat ihren Preis. Die neuen Regelungen sind auch zeitgemäßer. Stellen Sie sich vor, die GEZ müsste künftig fragen, nicht nur wie viele Fernseher und Radios in einem Haushalt sind, sondern auch Smartphones und Computer. Das wäre das bürokratische Monster, das niemand mehr will.