SPD-Kanzlerkandidat privat Was in Schulz' Tagebuch steht

In seinen Reden gibt SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz immer wieder Details über sein Privatleben preis: Er spricht über seinen Lieblingsklub, sein neues Berliner Büro – und zitiert aus seinem Tagebuch.

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SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz: „Ich liebe meine Frau“. Quelle: dpa

Seit fast 40 Tagen ist Martin Schulz als SPD-Kanzlerkandidat nominiert. Seitdem hat er öffentlich angekündigt, die Agenda 2010 zurückdrehen zu wollen, Managergehälter zu deckeln, Steuerflucht zu bekämpfen und die Milliardenüberschüsse des Staates in Investitionen zu stecken.

Doch bei seinen Auftritten gewährt er immer wieder auch Einblicke in sein Privatleben, sein Umfeld und seine persönlichen Vorlieben. So erfährt der Wähler etwa, dass Schulz Anhänger des 1. FC Köln ist oder dass in seinem neuen Berliner Büro eine kleine Statue von Willy Brandt steht – eine Mini-Ausgabe der überlebensgroßen Brandt-Skulptur von Rainer Fetting, die das Atrium der SPD-Zentrale ziert.

Fast schon als Standardpassage kann Schulz‘ Abriss über den eigenen Fall und Werdegang gelten. Er sei „Sohn einfacher Leute“, hebt er in seinen Reden dann an. „Meine Mutter war eine katholische, konservative Hausfrau, mein Vater war Polizist, der elfte Sohn eines Saarländischen Bergmanns“, erzählte er. „Meine Mutter war auch eine Mitbegründerin der CDU in meiner Heimatstadt“, erklärte er neulich. „Noch kurz vor ihrem Tod habe ich ihr gesagt: Clara, das ist der Beweis dafür, dass auch große Frauen nicht frei von Irrtümern sind.“

Dann spricht er über seine jungen Jahre: „Ich war ein begeisterter Fußballspieler und deshalb lieber auf dem Sportplatz als auf der Schulbank.“ Als hier zuletzt zustimmendes Klatschen aufkam, fügte er gleich hinzu, es seien offenbar „Gesinnungsgenossen“ im Saal.

Als junger Mann seien seine Fußballträume jedoch zerplatzt und in dieser Zeit habe er „die Orientierung“ verloren. Damit deutet Schulz seine damalige Alkoholsucht an. „Ich weiß, was es bedeutet, wenn man vom Weg abkommt, aber ich weiß auch, wie gut es sich anfühlt, wenn die Familie und Freunde einen wieder aufrichten und man dadurch eine zweite Chance bekommt“, erklärt der SPD-Kanzlerkandidat stets.

Er sei stolz darauf, eine Buchhändlerlehre absolviert zu haben, berichtet der 61-Jährige gerne. Er schwärmt dann von dem kleinen Buchladen, den er eröffnete, den es immer noch gibt und der „gut sortiert“ sei. Einmal sagt er: „Ich bin Buchhändler von Beruf“, dann stutzt er und korrigiert: „Also heute bin ich Politiker von Beruf, aber ich habe einen ordentlichen Beruf gelernt.“

Überhaupt die Literatur. Bei seinem Auftritt in Lübeck, der ersten Station seiner „Zeit für mehr Gerechtigkeit“-Tour, schwärmte Schulz natürlich von Thomas und Heinrich Mann. Diese beiden Schriftsteller, „Heinrich noch mehr“, hätten ihn durch sein ganzes Leben begleitet. „Als Literaturfreund nach Lübeck zu kommen, ist so wie wenn man nach oben fährt“, erklärte er, „ein emotionaler Moment“.


„Martin, ich will eine Regierung von Dir“

Schulz, der mit einer Landschaftsarchitektin verheiratet ist und zwei erwachsene Kinder hat, preist außerdem regelmäßig seinen Wohnort Würselen im Rheinland. „Es ist die Stadt, in dessen Schatten sich Aachen relativ gut entwickelt hat“, witzelte er kürzlich. Doch er beteuert stets, nichts dagegen zu haben, als „Kommunal-Fuzzi“  oder „Dorfbürgermeister“ tituliert zu werden. Er sei elf Jahre Bürgermeister der „wunderbaren Stadt“ Würselen mit ihren 40.000 Einwohnern gewesen.

Aus dieser Zeit wisse er, dass jedes Problem am Ende in den Rathäusern lande – die Probleme beim Arbeitsamt, bei der Polizei und Feuerwehr, beim Jugend- und Sozialamt, in den Schulen und Altenheimen, bei den Mittelständlern und kleinen Ladenbesitzern. „Wer das gemacht hat, weiß, wie die Alltagsprobleme der Bürger aussehen“, versichert er – und  will sich damit volksnaher und empathischer geben als Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU).

„Ich ziehe mir mal die Jacke aus, das ist mir zu warm hier, echt“, rief er bei seiner Veranstaltung in Lübeck nach zehn Minuten aus. „Ich war zwar fünf Jahre EU-Parlamentspräsident, aber die Etikette liegt mir immer noch nicht so“, kokettierte er. Doch bei den Leuten kommt das gut an. Zumindest erntete er Applaus für seine demonstrative Hemdsärmeligkeit.

„Würselen ist überall“, las Schulz kürzlich in Leipzig ein Plakat vor, das ein Genosse im Zuschauerraum in die Höhe reckte. Das gefiel ihm. In Lübeck las er vor: „Steuererhöhungen für Nazis“ und witzelte: „Ich weiß nicht, ob das Bundesverfassungsgericht das mitmachen würde, aber dass diese Typen in unserem Land keinen Platz haben, drückt dieses Schild aus, und damit habt Ihr Recht.“ In Würzburg lautete ein Plakat: „Martin, ich will eine Regierung von Dir“.

Auch von Schulz kommt gerne mal ein lockerer Spruch. In Kiel erzählte er vor Publikum, wie er als Präsident des EU-Parlaments einen griechischen Abgeordneten wegen rassistischer Äußerungen aus dem Plenum warf. Danach habe er ihn in sein Büro zitieren müssen. „Lieben Sie Ihr Land?“, habe ihn der Grieche gefragt, berichtete Schulz. Er habe in Anlehnung an Gustav Heinemann geantwortet: „Ich liebe meine Frau.“ Heinemann hatte als Bewerber um das Amt des Bundespräsidenten einst auf die Frage, ob er die Bundesrepublik liebe, geantwortet: „Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau!“

Seine Frau hält SPD-Kanzlerkandidat Schulz bislang allerdings raus aus dem Politikgeschäft. Er habe ihr versprochen, sie nicht zur „Werbefigur“ für den Politiker Schulz zu machen, erklärte Schulz schon kurz nach seiner Nominierung als SPD-Kanzlerkandidat. „Dieses Versprechen halte ich seit 30 Jahren“, betonte der ehemalige EU-Parlamentspräsident. Aber seinen Sohn und seine Tochter erwähnt Schulz regelmäßig in seinen Reden – wenn er die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen geißelt.

Der Wähler erfuhr von Schulz außerdem, dass er wichtige Ereignisse schriftlich festhält. „Ich führe jeden Tag ein Tagebuch, am Ende des Tages. Das wissen meine Freunde“, erzählte Schulz in Bielefeld bei der SPD-Arbeitnehmerkonferenz. Dann las er einen seiner jüngsten Einträge vor, das Zitat eines Altenpflegers, den er beim Besuch eines Pflegeheims in Moers kennengelernt hatte: „Pfleger ist was für Melancholiker. Die Diskrepanz zwischen dem was man tun kann und dem was man tun will ist schwierig. Man geht nach der Arbeit mit einem schlechten Gefühl nachhause. Das ist ungeheuer belastend für die Pfleger und für die Bewohner, die ihr Lebensende und ihr Kapital einbringen und nicht das bekommen was sie verdienen. Das Gefühl den Erwartungen als Pfleger nicht gerecht zu werden ist ein sehr schlechtes Gefühl“, so soll es demnach in Schulz‘ Tagebuch stehen. Grund genug für den SPD-Kanzlerkandidaten, „sichere und gute Arbeit mit hoher Tarifbindung“ zu fordern.

An diesem Sonntag wird Schulz in Nordrhein-Westfalen auftreten, in der Kamener Stadthalle. Hier dürfte, wie schon in Würzburg, sein Fazit sein: „Ich stehe zu meinem Leben, so wie es gelaufen ist.“

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