SPD-Kanzlerkandidat Schulz Kampf der chauvinistischen Internationalen

Martin Schulz wettert: Gegen entfesselte Marktkräfte, gegen deregulierte Finanzmärkte, aber auch gegen nationalistische Abschottung. Als Kanzler will er „verbindliche Regeln“ – und zielt dabei auch auf Unternehmen.

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Der Kanzlerkandidat fordert Transparenzpflichten für Unternehmen. „Keine Mauer kann hoch genug sein, um uns auf Dauer vor globalen Problemen zu schützen, so Schulz. Quelle: AFP

Berlin Der designierte SPD-Kanzlerkandidat braucht nicht lange, um grundsätzlich zu werden. Nur kurz schwärmt Martin Schulz an diesem Montagvormittag von der Progressiven Allianz als der „Speerspitze“ im Kampf für eine offene und tolerante Gesellschaft. Dann erklärt er noch kurz, dass sich Vizekanzler, Bundesaußenminister und Noch-SPD-Chef Sigmar Gabriel als „junger Vater“ um seine kranke Familie zu Hause kümmern müsse und deswegen nicht bei der internationalen Konferenz sozialdemokratischer und sozialistischer Parteien in Berlin dabei sein könne.

Dann kommt der Rundumschlag: Eine neue Form der Globalisierung fordert Schulz und kritisiert harsch nationalistische Abschottung. „Als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland will ich dafür sorgen, dass Deutschland all sein Gewicht dafür einsetzt, die Globalisierungsprozesse durch gemeinsam verbindliche Regeln gerecht zu gestalten“, verspricht er bei der Konferenz der rund 130 Parteien im Willy-Brand-Haus. „Das heißt, wir brauchen Rechenschafts- und Transparenzpflichten für Unternehmen entlang der Lieferketten“, forderte Schulz und verlangte den Aufbau von sozialen Sicherungssystemen und die Einführung von „lebenssichernden“ Löhnen.

Es müsse auch deutlich gemacht werden, dass Abschottung keine Lösung sei. „Denn keine Mauer kann hoch genug sein, um uns auf Dauer vor globalen Problemen zu schützen oder uns gegen sie abzuschirmen“, sagte Schulz vor dem Hintergrund der Politik von US-Präsident Donald Trump. „Ich halte die Auseinandersetzung mit der Globalisierung gerade angesichts der Propaganda einer illiberalen Gesellschaft, wie sie in manchen Ländern regierungsamtlich vorgeschlagen wird, für überfällig“, sagte er.

In den USA würden Menschen pauschalisiert wegen ihrer Religion oder Nationalität an der Einreise gehindert. Journalisten würden grundlos inhaftiert und zum Schweigen gebracht, sagte er mit Blick auf die Türkei. „So wird zurzeit schleichend in der Türkei die Demokratie demontiert“, kritisierte er. In Frankreich und den Niederlanden griffen „rechtsautoritäre“ Kandidaten nach Staats- und Regierungsämtern. Eine neue „chauvinistische Internationale“ fordere die liberalen Demokratien heraus und stehe für eine „aggressive Rollback-Politik“.


Abrüstung als globale Friedensagenda

Die offenen Gesellschaften werden nach Einschätzung des designierten SPD-Chefs zunehmend von autoritären Kräften unter Druck gesetzt. Die autoritären Kräfte stünden für nationalistische Abschottung und setzten mit aller Härte auf Spaltung. „Sie machen soziale, religiöse oder ethnische Unterschiede zu Gegensätzen. Sie grenzen aus und stellen die Menschen gegeneinander“, beklagte Schulz. Sie wollten ein Politik- und Gesellschaftsbild aufzwingen, das progressiven Überzeugungen diametral entgegenstehe.

„Wir wollen uns dem Druck auf die Absenkung von sozialen und ökologischen Standards nicht einfach so ergeben“, sagte Schulz vor den Delegierten der Progressiven Allianz. „Wir wollen uns nicht dem Diktat von ökonomischen Sachzwängen bedingungslos anpassen.“ Über Jahrzehnte hinweg sei von Regierungen, von globalen Institutionen und auf internationalen Foren ein einseitig euphorisches Bild der Globalisierung „gefeiert“ worden. Die Kürzungen von Staatsausgaben, die Privatisierung von staatlichen Unternehmen seien darüber zum wirtschaftspolitischen Pflichtprogramm geworden. „Soziale, ökologische und demokratische Ziele waren den Marktprozessen unterzuordnen“, kritisierte Schulz.

Es gelte zwar, auch die Errungenschaften der Globalisierung anzuerkennen. „Sie bewertet Menschen nicht nach ihrer Hautfarbe, nicht nach ihrer Religion, auch nicht nach ihrer Nation. Sie baut keine Mauern. Im Gegenteil: Sie öffnet Grenzen, sie erweitert die Freizügigkeit und sie vermehrt das Wissen der Menschheit“, lobte Schulz. Innovation, die Deregulierung der Finanzmärkte, die Entfesselung der Marktkräfte und die technologische Vernetzung hätten aber auch wachsende soziale und ökonomische Ungleichheit gebracht. Es gebe eine „zweischneidige Bilanz“ der Globalisierung.

Der designierte SPD-Kanzlerkandidat forderte zugleich eine angemessene finanzielle Ausstattung der humanitären Hilfe und eine Krisendiplomatie, die helfe, militärische Eskalationen zu verhindern. „Das heißt, wann immer es möglich ist, Brücken zu bauen, niemals den Dialog abreißen zu lassen und konkret die Abrüstung ins Zentrum einer globalen Friedensagenda zu rücken“, sagte Schulz. „Nur wenn wir eine erneute Aufrüstungsspirale verhindern, werden wir in der Lage sein, mehr Geld für die Bekämpfung von Konfliktursachen aufzubringen.“

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