SPD-Kanzlerkandidat Schulz „Wir wollen dieses Land führen“

Martin Schulz will mit der SPD bei der Bundestagswahl siegen. Die Partei wirkt erleichtert. Doch der ehemalige EU-Parlamentspräsident könnte schon schnell unter Druck geraten.

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Vom Präsidenten des Europaparlaments zum deutschen Bundeskanzler? Martin Schulz wird Kanzlerkandidat der SPD. Quelle: dpa

Berlin Seit wann er denn wisse, dass er angeblich der Beste in der SPD sei, wird der frischausgerufene Kanzlerkandidat und Parteivorsitzende der Sozialdemokraten, Martin Schulz, am Dienstagabend im Berliner Willy-Brandt-Haus gefragt. „Schon immer“, witzelt der noch amtierende SPD-Chef Sigmar Gabriel.

„Herr Gabriel und ich haben uns am Samstag getroffen und nach einer sehr konkreten Analyse der Ausgangslage miteinander vereinbart, dass wir diesen Weg gehen wollen“, antwortet Schulz. „Es kann sein, dass ich die besten Chancen habe, für die SPD die Bundestagswahl zu gewinnen.“

Tatsächlich ist Schulz der ungetrübte Stolz anzusehen, obwohl er sich seit drei Tagen auf die Situation vorbereiten konnte. Und er macht auch keinen Hehl aus seinen Befindlichkeiten: „Heute ist für mich ein besonderer Tag“, sagt der ehemalige Präsident des EU-Parlaments. „Das ist eine außergewöhnliche Ehre, die ich mit Stolz, aber auch der gebotenen Demut annehme.“

Vorangegangen war ein Paukenschlag bei den Sozialdemokraten: Völlig überraschend hatte Gabriel einige Stunden zuvor vor der Fraktion erklärt, nicht als Kanzlerkandidat antreten zu wollen und den Parteivorsitz abzugeben. Seine Begründung, die auch im zeitgleich auf den Markt geworfenen Interview mit dem Magazin „Stern“ nachzulesen war: Schulz habe die besseren Chancen.

Gabriel hatte also eingesehen, dass er trotz politischer Erfolge mit seinen schlechten Umfragewerten bei einer Kandidatur das Ende der stolzen Sozialdemokratie hätte heraufbeschwören können. Gemeinsam mit den beiden stellvertretenden Parteivorsitzenden Hannelore Kraft und Olaf Scholz hatte er dann im SPD-Präsidium offiziell den Vorschlag gemacht, Martin Schulz ins Rennen zu schicken.

Kraft und Scholz standen am Dienstagabend sichtlich erleichtert ebenfalls in der Parteizentrale. Sie wirkten locker und scherzten mit SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Die Parteiführung schien froh über die überraschende Wendung in der K-Frage.

Acht Monate vor der Bundestagswahl steht nun also endlich fest, welcher Sozialdemokrat gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) antreten wird. Doch vor Schulz dürfte keine leichte Zeit liegen. Der gelernte Buchhändler, der sich eigentlich eine Karriere als Fußballer erträumte, wegen einer Verletzung dann aber erst Bürgermeister seiner Heimatstadt Würselen bei Aachen wurde und 1994 als EU-Abgeordneter nach Brüssel ging, um dort zum EU-Parlamentspräsident zu avancieren, steht nun mächtig unter Druck.


Gute Startbedingungen für Schulz

Zwar steht er für viele in der SPD für den so heiß ersehnten Neuanfang. Doch viel Zeit für erste Akzente bleibt Schulz nicht. Schnell müssen die Umfragen für die SPD aus dem 20-Prozent-Loch, um Aufbruchsstimmung nicht nur unter den Anhängern zu verbreiten.

Ein erster Prüfstein dürfte zugleich die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai sein. Dort könnte es für Ministerpräsidentin Hannelore Kraft eng werden. Eine Niederlage in der „Herzkammer der Sozialdemokratie“ könnte die Partei sogleich in eine neue Sinnkrise stürzen – und den frischgekürten Kanzlerkandidaten gleich mit.

Der wurde bereits am Dienstagabend in der SPD-Parteizentrale programmatisch: „Wir wollen, dass die hart arbeitenden Menschen in diesem Lande sicher und gut in Deutschland leben können“, erklärte Schulz. Es müsse gerecht und fair zugehen. Alle müssten die gleichen Chancen haben, sich in dieser Gesellschaft zu verwirklichen. „Wir wollen in dieser Zeit von selbsternannten Eliten, dass die Menschen nach ihren Taten und nach ihren Motiven beurteilt werden und nicht nach ihrer Herkunft und ihrem Geldbeutel“, betonte Schulz.

Weltweit drifte die Gesellschaft auseinander, diagnostizierte der 61-Jährige. Es gebe eine große Verunsicherung unter den Menschen. „Der Verunsicherung muss man mit Mut und Zuversicht entgegentreten“, beschwor Schulz die anwesenden Genossen. Die SPD sei eine mutige Partei und ihre Zuversicht müsse sich auf die gesamte Bevölkerung übertragen. „Wir wollen einen Wahlkampf machen, der uns als SPD am Ende mit dem Auftrag ausstattet, dieses Land zu führen“, gab er sich kämpferisch. „Denn dieses Land braucht in schwierigen Zeiten eine neue Führung.“

Tatsächlich hat Schulz in der Partei gute Startbedingungen. Die Parteilinke steht hinter ihm, obwohl Schulz zum konservativen Flügel der SPD zählt. Doch die Zuneigung könnte schnell erlöschen, speiste sie sich doch vor allem aus einer ablehnenden Haltung gegenüber Gabriel und nicht aus echter Begeisterung für Schulz. Hier könnten neue Flügelkämpfe drohen.

Das gilt umso mehr, da noch gar nicht klar ist, welche Positionen der bislang EU-fokussierte Schulz zu für die SPD so wichtigen Themen wie etwa Vermögensteuer, Rente oder Arbeitsmarkt vertritt. Zwar lobte Gabriel am Dienstagabend, Schulz kenne „alle Politikfelder“ und wisse, was „für unser Land“ wichtig sei. Doch das muss Schulz erst noch konkret unter Beweis stellen.

Gleiches gilt für seine Fähigkeit, im Wahlkampf zuzuspitzen und die SPD gegenüber der Union abzugrenzen. Zwar ist es für Schulz von Vorteil, als SPD-Kanzlerkandidat nicht dem Bundeskabinett anzugehören, also nicht der Regierungsdisziplin unterworfen zu sein. Das verschafft ihm im Wahlkampf Beinfreiheit.

Allerdings ist bekannt, dass er als EU-Parlamentspräsident einen sehr engen Draht zu Merkel hatte und auf Zuruf der Kanzlerin in Brüssel die gewünschten Mehrheiten organisierte. Hier muss er nun eindeutige Distanz schaffen.


Gabriel nimmt den Mund noch einmal voll

Zugleich muss Schulz der SPD überhaupt eine Machtposition eröffnen, damit die Partei nicht wieder als Juniorpartner in einer Großen Koalition endet. Eigentlich wollte Schulz an diesem Dienstag bei der Gruppierung R2G auftreten, einem rot-rot-grünen Zusammenschluss, der für ein Deutschland mit einer linken Bundesregierung mobil macht. Auch wenn seine Kür zum Kanzlerkandidaten den Termin durchkreuzte – Schulz scheint eine solche Option zumindest nicht abzulehnen.

Anders als Gabriel verfügt Schulz laut Umfragen sowohl bei SPD-Anhängern als auch beim übrigen Wahlvolk über Glaubwürdigkeit und anständige Zustimmungswerte – noch. Denn die Union dürfte bereits ihre Gegnerbeobachtung angekurbelt haben. Die Kampagnenstrategen könnten zunächst die EU-Reden des Martin Schulz nach kritischen Aussagen durchleuchten – in der Hoffnung, jenseits von der bekannten Werbung für umstrittene Euro-Bonds in Zeiten der Euro-Krise noch andere Themen mit Sprengkraft zu entdecken.

Am Dienstagabend profilierte Schulz seine SPD indes als aufrechte Kämpferin gegen den Rechtspopulismus. „Mit mir wird es kein Bashing gegen Europa geben. Mit mir wird es keine Hatz gegen Minderheiten geben“, versprach Schulz. „Ich sage in dieser auseinanderdriftenden Gesellschaft allen Populisten und den extremistischen Feinden unserer Demokratie hier entschieden den Kampf an.“ Die SPD werde ihr offenes Gesellschaftsmodell verteidigen.

Am Sonntag nun will Schulz auf einer Veranstaltung in der SPD-Parteizentrale erste konkrete Punkte des Wahlprogramms erläutern. An diesem Mittwoch will er die SPD-Fraktion im Bundestag für sich einnehmen. „Es wird ein Wahlkampf, von dem ich glaube, dass er spannend und interessant und für die SPD erfolgreich werden wird“, sagte Schulz.

Und auch Gabriel nahm den Mund noch einmal voll. „Ein bisschen habe ich Sie heute vermutlich überrascht“, sagte der Noch-SPD-Chef am Dienstagabend. „Aber seien Sie sicher: Wir haben uns vorgenommen, Sie in präzise acht Monaten ungefähr um diese Zeit noch einmal sehr zu überraschen“, betonte er mit Blick auf die Bundestagswahl am 24. September. „Sie wissen ja: Was wir uns vornehmen, das halten wir ein.“

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