
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz zieht für die SPD in den Bundestagswahlkampf 2017. Ob er auch Außenminister oder SPD-Kanzlerkandidat werden will, ließ der 60-Jährige am Donnerstag aber offen. Er bestätigte nur, dass er nicht mehr für das Amt des EU-Parlamentspräsidenten kandidieren, sondern auf Platz eins der SPD-Landesliste Nordrhein-Westfalen antreten will.
Damit klärt sich nach langen Spekulationen das Bild zumindest für die EU-Politik. Schulz hatte zuletzt immer wieder durchblicken lassen, dass er eigentlich gerne EU-Parlamentspräsident bleiben wollte - ein Amt, das er seit 2012 bekleidet. Allerdings beansprucht die konservative Europäische Volkspartei den Posten ab Januar 2017 für sich, so dass Schulz wenig Chancen hatte.
Der SPD-Politiker sagte, die Entscheidung sei ihm nicht leicht gefallen. Das Amt des EU-Parlamentspräsidenten sei eine große Ehre und er habe in den vergangenen fünf Jahren viel erreichen können. Er habe versucht, die Sichtbarkeit und Glaubwürdigkeit der europäischen Politik zu erhöhen.
Die SPD-Führung
Seit 2009 Parteichef, macht die SPD in regelmäßigen Abständen mit Alleingängen nervös. War im Sommer in der Krise, bekam beim Ja zur Vorratsdatenspeicherung reichlich Gegenwind. Punktete in der Flüchtlingskrise aber wieder. Hat Anspruch auf Kanzlerkandidatur 2017 angemeldet. Bei seiner Rede gab er sich staatsmännisch und warb für einen Kurs der Mitte. Die Linke goutierte das nicht. Die herbe Quittung: Nur 74,3 Prozent nach 83,6 Prozent vor zwei Jahren.
Landesmutter in Nordrhein-Westfalen, lange als Gabriel-Konkurrentin gehandelt, will von Bundespolitik aber nichts mehr wissen. Konzentriert sich voll auf die Landtagswahl 2017 an Rhein und Ruhr. In der Flüchtlingskrise wieder präsenter. Parteivize seit 2009, bei der letzten Parteitagswahl vor zwei Jahren 85,6 Prozent. Am Freitag fehlte sie wegen Fieber und Schüttelfrost. Geschadet hat es nicht: Sie kam auf 91,4 Prozent Zustimmung.
Seit 2011 SPD-Vize (Wahl 2013: 79,9 Prozent). Die Flüchtlingskrise wäre für die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung eigentlich die große Zeit, um Akzente zu setzen. Sie blieb bislang aber eher blass - auch als Parteivize. Geht mit ihrer zurückhaltenden Art im SPD-Gefüge etwas unter. Als einzige Migrantin unter den Vizes hat die Tochter türkischer Kaufleute in diesen Zeiten dennoch einen festen Platz. Der Lohn: 83,6 Prozent.
Landes- und Fraktionschef der hessischen SPD, wird oft unterschätzt, müht sich um bundespolitisches Profil. „TSG“ kümmert sich auch um die internationalen SPD-Kontakte. Der Mann mit den dicken Brillengläsern - in der Jugend drohte er zu erblinden - ist glühender Bayern-Fan, trat aus Protest gegen die Hoeneß-Steueraffäre aber beim Rekordmeister aus. Bekam 2013 als Vize 88,9 Prozent. Schaffte das Resultat diesmal fast: 88,0 Prozent.
Wird als kluger Verhandler in der SPD geschätzt, wie bei den Bund-Länder-Finanzen. Für den Fall, dass Gabriel irgendwann nicht mehr will oder darf, fällt stets auch sein Name. Hat bei den Delegierten aber oft einen eher schweren Stand. Vor zwei Jahren bekam er als Vize nur 67,3 Prozent. Das Nein seiner Hamburger zur Olympia-Bewerbung der Hansestadt war für Scholz ein Dämpfer. Der Parteitag leistete etwas Aufbauarbeit: 80,2 Prozent.
Seit 2009 Parteivize (Wahl 2013: 80,1 Prozent). Die Bundesfamilienministerin hat sich in der SPD einen guten Stand erarbeitet - gerade mit ihrem Thema Frauen und Familie. Früher intern mitunter belächelt, gilt sie heute als wichtige Figur im Parteiengefüge, mit Aussicht auf höhere Aufgaben. Mit SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann soll sie das Wahlprogramm für 2017 erarbeiten. Erwartet derzeit ihr zweites Kind. Die Delegierten bescherten ihr mit 92,2 Prozent das beste Ergebnis aller Vizes.
Allzweckwaffe vom linken Flügel, SPD-Erklärbär auf allen Kanälen. Träumt seit Jahren davon, Generalsekretär zu werden - darf aber nicht, weil es nach dem Fahimi-Rückzug wieder eine Frau sein sollte. Der Kieler Landeschef erhielt 2013 bei seiner Wahl zum Vize 78,3 Prozent. Auch er kann sein Niveau in etwa halten: 77,3 Prozent.
Von Gabriel als Generalsekretärin ausgeguckt. Bislang in der Bundespolitik kaum in Erscheinung getreten. Sitzt seit 2013 im Bundestag, muss nun den nächsten Wahlkampf vorbereiten. Machte vor der Politik Karriere als Juristin. Kein Wadenbeißer-Typ, eher ruhig, zurückhaltend. Muss sich in der SPD erst noch einen Namen machen. Der Parteitag gibt ihr mit 93 Prozent eine großen Vertrauensvorschuss. Fast 20 Punkte mehr als ihr künftiger Chef Gabriel.
Auch künftig werde er dem europäischen Projekt eng verbunden bleiben, nur werde er sich nun von Berlin aus dafür einsetzen. „Die europäische Einigung ist in meinen Augen das größte Zivilisationsprojekt der vergangenen Jahrhunderte“, sagte Schulz.
Er werde versuchen, das Leben der Menschen etwas besser und die Gräben zwischen nationaler und europäischer Politik etwas kleiner zu machen. Nur so lasse sich verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Bis zum Ende seiner Amtszeit werde er das Amt des EU-Parlamentspräsidenten weiter erfüllen.
Schulz ist seit 1974 SPD-Mitglied. Er gilt als leidenschaftlicher Europapolitiker und beherrscht sechs Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Holländisch). In dem kleinen Ort Würselen bei Aachen war er von 1987 bis 1998 Bürgermeister und Buchhändler. Dann begann in Brüssel der Aufstieg von „Mister Europa“, bis an die Spitze des EU-Parlaments.
Während seiner Zeit in Brüssel und Straßburg schärfte Schulz sein außenpolitisches Profil und steigerte seinen Bekanntheitsgrad in Deutschland - auch weil er kein Blatt vor den Mund nimmt. 54 Prozent der Deutschen wünschen ihn sich laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des „Stern“-Magazins als zukünftigen Außenminister.
Bei der Suche nach einem SPD-Kanzlerkandidaten gilt Schulz als mögliche Alternative zum Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel. Im Gespräch ist er auch als Nachfolger für Außenminister Frank-Walter Steinmeier, den die große Koalition als gemeinsamen Kandidaten für die Wahl zum Bundespräsidenten im kommenden Februar aufgestellt hat.
Vizekanzler Gabriel hat als SPD-Chef den ersten Zugriff in der „K-Frage“. Er scheint aber noch unentschieden, ob er antritt. Würde Gabriel wie 2013 angesichts mäßiger Beliebtheitswerte zurückziehen, könnte Schulz' Stunde schlagen. Als weiteren Aspiranten nennt die „Süddeutsche“ Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz. Die SPD will aber nach eigenen Angaben bei ihrem verkündeten Zeitplan bleiben und erst im Januar einen Kanzlerkandidaten küren.